sitzen ist für´n Arsch

Sportplatz Der Countdown läuft: Mit dem Freundschaftsspiel gegen Frankreich beginnt für die deutsche Fußballnationalmannschaft die "heiße Phase" vor der ...

Der Countdown läuft: Mit dem Freundschaftsspiel gegen Frankreich beginnt für die deutsche Fußballnationalmannschaft die "heiße Phase" vor der Europameisterschaft 2004. Doch wie die wenig ruhmreiche Qualifikation lehrt, ist von der Begegnung neben einer sportlichen Schlappe für den Vizeweltmeister vor allem ein unappetitlicher Vorgeschmack auf die WM 2006 zu erwarten. Die soll in Deutschland und, wie das Spiel am Sonnabend, in Zweckbauten wie der Arena "Auf Schalke" stattfinden, die dem veränderten Freizeitverhalten Rechnung tragen: Landauf, landab entstehen reine "Sitzstadien" mit überdachten Tribünen, unter denen außer dem Rasen der Fußball selbst zu ersticken droht.

Denn mit den Stehplätzen wird zugleich der Lebensraum jener "Fans" getilgt, die, weil potenziell gewalttätig, fern der Haupttribüne in den "Kurven" stehen. Mit der Betonung auf stehen. Ein "Fan" unterscheidet sich vom normalen Zuschauer dadurch, dass er den Gang ins Stadion weniger als Frei- denn als Arbeitszeit begreift. Und sollten die proletarischen Wurzeln des Fußballs anders denn als Klischee überlebt haben, dann in der Gewissheit, dass Arbeit und Sitzen unvereinbar sind - "auf´m Platz" wie auf den Rängen.

Den Produktionsstätten des modernen Fußballs ist solcher Anachronismus fremd. Und doch ist das Produkt auf jene, die einst die Kurven füllten, angewiesen - ohne sie drohte es von "Cats" und anderen Konkurrenten um Gunst und Geld des Publikums ununterscheidbar zu werden. Auf diesen Widerspruch machten vor Jahren die Fans des FC Schalke 04 aufmerksam. "Sitzen is für´n Arsch" hielten sie mit ungeahnter Ironiefähigkeit auf Bettlaken der Vereinsführung entgegen, die einen Stadionneubau ohne Stehplätze plante. Damit diese schlichte Wahrheit auch zu jenen vordrang, die vor ihr die Augen verschlossen, brachten sie zur Melodie von "Go west" den Appell "Steht auf, wenn ihr Schalker seid!" zu Gehör.

Der Protest, so erfinderisch er war, verpuffte. Die Arena "Auf Schalke" ist der betonierte Beleg, dass der Wandel unumkehrbar und das Lied nurmehr die Reminiszenz an einen Fußball ist, wie er nicht mehr existiert. Was Anhänger anderer Vereine nicht daran hinderte, es in ihr Repertoire aufzunehmen und dort bis heute zu belassen. Dass es am Kontext, der den Aufruf zum kollektiven "Aufstand" gebar, oft fehlt, wird billigend in Kauf genommen. Ein Merkmal des Originals bleibt in den "Cover-Versionen" immerhin erhalten, denn ob "Borussen" oder "Herthaner" - stets sind es die "Fans", von denen die Aufforderung ausgeht und an die sie sich zugleich richtet. Was so erhalten bleibt, ist der lautstarke Protest gegen die "Haupttribüne", von der aus die Domestizierung des Fußballs betrieben wird.

Endgültig pervertiert ist der "Schlachtruf" jedoch, wird er, wie es längst unerträglicher Usus geworden ist, bei Länderspielen angestimmt. "Steht auf, wenn ihr Deutsche seid!" skandiert, bar jeder Ironie, selbst die Haupttribüne, und mancher Arsch entblödet sich nicht, den seinen aus der Sitzschale zu erheben. Das ist leider nicht nur dumm, denn der Adressat befindet sich nicht länger auf dem Rasen, auf der Haupttribüne oder im Präsidium - nicht einmal mehr im Stadion, sondern in jenem diffusen "Außen", gegen das wir zusammen(auf-)stehen müssen, um den "Sieg" (so ein weiterer Dumpfruf von den Rängen) davonzutragen. Der ironische Kommentar auf die Entwicklung (nicht nur) des Fußballs ist so zu einer offenen Kriegserklärung an alles "Undeutsche" geraten, in die Trainer und Mannschaft einstimmen, wenn sie sich beim "tollen Publikum" für die Unterstützung bedanken.

Am Sonnabend kommt nun zwar nicht der Fußball, so doch der "Schlachtruf" nach Hause, und das sollte den Offiziellen des DFB Anlass sein, die Duldung der akustischen Entgleisung zu überdenken: Die Abschaffung der Stehplätze wurde vom internationalen Fußballverband betrieben, um den zunehmenden Ausschreitungen zu begegnen. Doch die verbale Gewalttätigkeit, die von den Sitzplätzen ausgeht, ist längst bedrohlicher als die "reale" der einstigen Stehplatzbesucher. Die polieren sich weiterhin regelmäßig die Fresse - nun außerhalb der Stadien. Aus Angst vor Sanktionen sah sich der englische Verband unlängst genötigt, diesen notorischen Hooligans die Anreise zu Auswärtsspielen zu verbieten. Vielleicht sollte auch der DFB vorbeugen und die notorischen Stehaufmännchen unter den deutschen Zuschauern vorübergehend von den Heimspielen ausschließen.


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