Skinheads in Gleiwitz

Polen Der Rechtsradikalismus beruft sich auf das antisemitische Erbe von Roman Dmowski und Josef Pilsudski

Alljährlich marschieren militante Anhänger rechtsextremistischer Parteien, vor allem Skinheads, zum Hitlergeburtstag ungehindert durch Gleiwitz und attackieren Demonstranten, die der Opfer der Pogromnacht vom 9. November 1938 gedenken wollen. Regelmäßig zum polnischen Nationalfeiertag am 22. Juli werden jüdische Friedhöfe und Synagogen geschändet. In Gefahr sind ebenso Touristen asiatischer oder afrikanischer Herkunft. Jeder Vierte von ihnen wird - so eine Erhebung des Soziologischen Instituts der Warschauer Universität - während seines Aufenthalts in Polen Opfer rassistisch motivierter Übergriffe. Dementsprechend fällt die Gesamtbilanz neofaschistischer Übergriffe aus - im zurückliegenden Jahrzehnt kam es zu mehr als 16.000 Überfällen, bei denen 50 Menschen ums Leben kamen.
Die Ideologie der rechtsnationalistischen Bewegungen im heutigen Polen ist in starkem Maße in der Tradition des polnischen Antisemitismus verankert, der stets mit extrem antikommunistischen Positionen verbunden war. Das zeigte sich bereits in den siebziger Jahren, als dissidentische Bewegungen das nationalistische und antisemitische Erbe von Roman Dmowski und Josef Pilsudski aus der Zwischenkriegszeit fortführten. Illegal erschienen damals die Protokolle der Weisen von Zion sowie die Letter of Berman to Zambrowski und die Letter of Goldberg to Urban, in denen führende polnische Kommunisten als Handlanger einer angeblich jüdischen Weltverschwörung - "Zydo-komuna" - diffamiert wurden. Auch die katholische Kirche trug vor der Wende zu einer antisemitisch geprägten Atmosphäre bei, indem sie etwa 1982 den in Auschwitz ermordeten Pater Maximilian Kolbe selig sprach, der in den dreißiger Jahren mit anti-jüdischen Publikationen hervorgetreten war. Unterstützung der Kirche erfuhren auch rechtsextremistisch-antikommunistische Gruppierungen wie die einflussreiche Untergrundorganisation Konföderation Unabhängiges Polen (KPN). Seit 1979 von Leszek Mosczulski "geführt", weigerte sie sich 1989, am Runden Tisch von Regierung und Opposition teilzunehmen. Nach der Wende erlangte die KPN Parteienstatus und erreichte bei den Wahlen 1991 8,8 Prozent (1993: 5,8) der Stimmen.
Der Systemwechsel verschaffte indes nicht nur den bereits vorhandenen rechtsradikalen "dissidentischen" Gruppierungen Auftrieb. Es kam zugleich zu diversen Neugründungen neofaschistischer Parteien und paramilitärischer Strukturen, von Verlagen, Zeitungen und Musikbands (Rock Against the Commune, Zyklon B) und Skinheadgruppen, die Verbindungen mit Gleichgesinnten in Deutschland, den USA, Österreich, Spanien, Italien, Frankreich und Südafrika pflegen. Bereits am 1. Mai 1990 fand der I. Kongress der polnischen Rechten in Warschau statt, deren wichtigste Organisation seinerzeit die Polnische Nationale Gemeinschaft - Polnische Nationalpartei (PWN-PSN, 50.000 Mitglieder) war, geführt von Boleslaw Tejkowski, der sich mit anti-jüdischen Verschwörungstheorien hervortat.
Heute sind Zerfallsprodukte der bis Herbst 2001 regierenden Wahlorganisation Solidarnosc (AWS) ultrarechten Tendenzen nicht abgeneigt. Die populistisch-antikommunistische Law-and-Order-Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) unter Lech Kaczycki besitzt derzeit mit 44 Sitzen im Sejm den größten Einfluss im rechtskonservativen Lager - sekundiert von der Liga Polnischer Familien (LRP, 35 Sitze), einem losen Bund von Parteien und Grüppchen, denen die AWS und die PiS zu weit "links" stehen. Außerhalb des Parlaments agiert die seit 1995 von Adam Gmurczyk geleitete Partei Polnische Nationale Wiedergeburt (NOP) mit Organisationen in zwölf Städten (u.a. Warschau, Krakau, Lodz) und verfügt über feste Kontakte zu europäischen faschistischen Gruppen.

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden