Welche Arbeitsbedingungen bei Ryanair herrschten, erklärte Hessens grüner Verkehrsminister Tarek Al-Wazir Anfang November verblüfften Abgeordneten der Opposition, gehöre nun wirklich nicht in seinen Zuständigkeitsbereich. Mit Sonderrabatten bei den Airportgebühren hatte die mehrheitlich im Landesbesitz befindliche Flughafengesellschaft Fraport gerade Europas größten Billigflieger nach Frankfurt geholt. „Bis heute war es für mich nicht vorstellbar“, sagte SPD-Fraktionschef Thorsten Schäfer-Gümbel, „dass ausgerechnet der Grüne Tarek Al-Wazir einem Gebührenmodell für Frankfurts Flughafen zustimmt, das dafür sorgt, dass man künftig für 9,99 Euro nach Mallorca fliegen kann.“
Die Episode zeigt auf, was sich in 25 Jahren verändert hat: im Luftverkehr, bei den Grünen, im ordnungspolitischen Selbstverständnis der öffentlichen Hand. Der Triumph der Billigflieger ist dabei nur eine, aber die auffälligste von tiefgreifenden Verschiebungen, die die zivile Luftfahrt von einer weitgehend staatlich organisierten Angelegenheit zu einem durch und durch kapitalistischen Business machten. Letzteres wird dieser Tage etwa durch Tarifauseinandersetzungen und Streiks wie bei der Lufthansa und ihren Tochterfirmen sichtbar.
Nirgends ist der Flugverkehr zuletzt so schnell gewachsen wie in Europa. Starteten 1990 noch 24,2 Millionen Fluggäste von deutschen Flughäfen, waren es 2014 schon 81,6 Millionen. Überdurchschnittlich stieg der Anteil innereuropäischer Flüge: der Wochenendtrip nach Berlin oder Barcelona als fester Bestandteil des Lifestyles einer neuen Konsumentengeneration.
Es wird immer dreckiger
Trotz schadstoffärmerer Triebwerke haben sich die Treibhausgasemissionen der zivilen Luftfahrt in diesem Zeitraum praktisch verdoppelt. Zwar liegt die Fliegerei mit EU-weit derzeit drei Prozent als Klimakiller immer noch deutlich hinter Industrie, Kraftwerken und Autoverkehr. Doch ihre Emissionen wachsen schneller als die jeder anderen Branche. Auf absehbare Zeit rechnet das Umweltbundesamt mit einem Anstieg des flugbedingten CO2-Ausstoßes um drei bis vier Prozent jährlich. Dazu kommen weitere Klimaeffekte in großer Flughöhe durch Stickoxide und Wolkenbildung, die mindestens noch einmal so gravierend sind wie die Folgen des CO2.
Wachstumsmotor ist fast ausschließlich die Billigfliegerei. 20 Jahre nachdem das Modell in den USA von Southwest Airlines entwickelt worden war, kopierte es die bis dahin eher unbedeutende irische Regionalfluggesellschaft Ryanair und eroberte in den späten 1990ern den europäischen Markt. „No frills“, kein Schnickschnack, ist die Devise. Gespart wird nicht nur bei „Extras“ wie Bordverpflegung, Beinfreiheit, Tageszeitungen oder Freigepäck. Ryanair ist berüchtigt für seine Niedriglohn- und Sozialdumpingstrategie: Ein in Deutschland lebender und arbeitender Vollzeit-Flugbegleiter erhält nach Angaben der Gewerkschaft UFO ein Bruttojahresgehalt zwischen 11.000 und maximal 18.000 Euro, hat aufgrund seines irischen Arbeitsvertrags keine deutsche Krankenversicherung, erwirbt keine deutschen Rentenansprüche und bekommt bei Entlassung nicht einmal Arbeitslosengeld – „no frills“ eben.
Nur rund jeder zweite Pilot bei Ryanair fliegt mit Festanstellung, zeigte 2014 eine EU-Studie. Nicht besser sei es beim Mitbewerber Norwegian Air Shuttle, 1993 in Oslo gestartet. Ryanair definierte Trends und Maßstäbe, andere zogen nach. 1998 kam die britische Easyjet als zweiter erfolgreicher Low-Cost-Carrier nach Deutschland, 2002 drängten die deutschen Billigfluggesellschaften Hapag-Lloyd Express, heute TUIfly, und Germanwings nach.
Die Lufthansa, die damals schon 24,9 Prozent der Germanwings-Aktien hielt, spielte frühzeitig mit im Billigfluggeschäft. Deutschlands ehemaliger „Flag Carrier“, der seine Sparprogramme für Personal und Kunden heute unter dem Label Eurowings bündelt, war bis 1997 komplett privatisiert worden. So ging es früher oder später fast allen staatlichen Fluggesellschaften in Europa: British Airways 1984, KLM 1986/87, Air France 1998, Iberia 2001, Swissair 2001/02. Parallel dazu wurden Flughäfen privatisiert, Sicherheitsdienste, Gepäckabfertigung, sogar die Flugsicherung.
Der Prozess war kein Naturereignis, sondern durch politische Entscheidungen in Gang gesetzt: für die USA durch den Airline Deregulation Act von 1978, in Europa durch diverse Liberalisierungsrichtlinien der EU seit 1987, die durch nationale Gesetze und Strategiepläne ergänzt und umgesetzt wurden. Weniger staatliche Regulation bei Zulassung, Streckenführung, Marktzutritt und Preisbindung würde zu mehr Effizienz und Wettbewerb, weniger staatlichen Subventionen und sinkenden Ticketpreisen sowie mehr Kundenfreundlichkeit führen – so die Erzählung, gegen die in jenen Jahren kaum jemand ankam.
Wie weit die handelnden Politiker sich nur vom neoliberalen Zeitgeist hatten anstecken lassen und welche Richtungsentscheidungen direkte Resultate konzertierter Lobbyarbeit waren, ist bemerkenswert wenig erforscht. Fest steht, dass mit dem Abflauen des industriellen Nachkriegsbooms in den 70ern jede Menge frei flottierendes Kapital weltweit nach neuen Anlagemöglichkeiten suchte und seine Lobby eine breite und strategisch angelegte Privatisierungsdebatte initiierte, die die kommenden Jahrzehnte prägen sollte.
Die Unterstützung der Politik beschränkte und beschränkt sich aber nicht darauf, marktfreundliche Rahmenbedingungen zu schaffen. Wie das aktuelle Beispiel Ryanair in Frankfurt zeigt, wird ganz praktisch und handfest ins „freie Spiel der Kräfte“ eingegriffen, wo immer es vertretbar scheint.
Nun erwartet man von Union und FDP nichts anderes. Aber auch Grüne, Linke, SPD und Gewerkschaften spielten das Spiel mehr oder weniger mit: Um den Flughafen Berlin-Schönefeld für Easyjet attraktiv zu machen, gründete der damals noch mehrheitlich im öffentlichen Besitz befindliche Abfertiger Globeground 2003 auf Druck des rot-roten Senats die Billiglohntochter Ground Service International aus. Betriebsrat und Verdi stimmten zu. 2007 wurde Globeground mitsamt der Billigtochter an den privaten Frankfurter Dienstleistungskonzern Wisag, einen der aggressivsten Player der Branche, verkauft. Vorher verzichteten die Beschäftigten mit einem Absenkungstarifvertrag noch auf ein Fünftel ihres Einkommens. Hätte man Easyjet erst einmal nach Berlin gelockt, könnte man das Niveau wieder anheben, so Verdis „Plan“. Er schlug völlig fehl. Nicht einmal zehn Jahre nach dem Startschuss für die Dumpinglohnstrategie bei Globeground arbeiteten 40 Prozent aller Bodenverkehrsbeschäftigten an deutschen Flughäfen im Niedriglohnsektor, oft zu Stundenlöhnen von weniger als acht Euro, mit Leiharbeitsquoten um 50 Prozent, schätzte 2012 der damalige Verdi-Fachgruppenleiter Luftverkehr, Ingo Kronsfoth.
Unselige Gewerkschafter
Zwei Jahre später wechselte Kronsfoth die Seiten und wurde Geschäftsführer bei der Wisag. Der Fall erinnert an den früheren ÖTV-Vorsitzenden Herbert Mai, der nach seiner Gewerkschaftskarriere 2001 für ein Jahrzehnt Arbeitsdirektor bei der gerade teilprivatisierten Fraport AG wurde. Beide stehen für eine unselige „Mauschel-Tradition“, eine Altlast, die Verdi aus der alten ÖTV geerbt hat. Schon immer fragwürdig, wurde sie in der Ära des finanzgetriebenen Kapitalismus völlig dysfunktional – jedenfalls aus Beschäftigtensicht.
Wenig verwunderlich ist es da, dass die Branche heute wohl die mit der höchsten Anzahl teilweise konkurrierender Gewerkschaften ist: Seit 1969 gibt es die Pilotenvereinigung Cockpit. Als eigenständige Gewerkschaft tritt sie allerdings erst seit der Jahrtausendwende auf. 1992 entstand die Unabhängige Flugbegleiter Organisation UFO aus einer ÖTV-Abspaltung. Nach eigenen Angaben ist sie beim Kabinenpersonal seit Jahren stärker als Verdi. 2004 gründeten die Lotsen der inzwischen voll auf Privatisierungskurs befindlichen Deutschen Flugsicherung ihre eigene Gewerkschaft GdF. Vorausgegangen war ein schlechter, von Verdi ausgehandelter Tarifvertrag.
Allerdings hat sich mittlerweile auch Verdi verändert. Mit harten Bandagen und mit Organizing an der Basis konnte die Gewerkschaft in den vergangenen Jahren beachtliche Lohnerhöhungen beim Sicherheitspersonal durchsetzen. Diesen Weg will man nun auch bei der Bodenabfertigung gehen. Mit einer Kampagne für einen Flächentarifvertrag aller deutschen Großflughäfen will Verdi den Unterbietungswettbewerb bei den Löhnen stoppen.
Kommentare 11
"Von Ryanair bis Lufthansa: Die Beschäftigten der Luftfahrtindustrie leiden unter 25 Jahren Sozialdumping":
Nicht nur das
Den "Sklaven des Himmels" wird sogar noch vorgeworfen sie würden die Lufthansa, die sich entschlossen hatte es mit Ryanair aufzunehmen via Eurowings, geradewegs in die Insolvenz treiben mit ihren "unverschämten" Lohnforderungen.
Und die Lufthanseaten trotteln brav hinterher mit ihren berechtigten Befürchtungen, sie seien auch bald fällig für Herrn Spohrs Gesc hichtchen aus dem Wienerwald.
Spohr hat aus seinem eigenen Laden einen wilhelminisch wirkenden Carrier gemacht, in dem Befehl und Gehorsam zu gelten scheinen.
Was aber vergessen wirkt: Herr Spohr selbst war es, der seine (ehemaligen) Kunden förmlich Etihad, Singapore Airlines ea zugetrieben hat.
Die Lufthansa wird sich nicht nur künftig gefallen lassen müssen, auch künftig als "Holzklasse" selbst für Vollzahler bezeichnet zu sehen.
Der Pilotenverschleiss, den Spohr ins Auge gefasst zu haben scheint mit seinen Billigcarriern, der wird unmittelbar auch Spohr und seine Auffassung der Company zurückschlagen, deren Stakeholdern offenkundig zu gefallen scheint LH in die Tonne zu treten.
..."Der Pilotenverschleiss, den Spohr ins Auge gefasst zu haben scheint mit seinen Billigcarriern, der wird unmittelbar auch Spohr und seine Auffassung der Company zurückschlagen, deren Stakeholdern offenkundig zu gefallen scheint LH in die Tonne zu treten"...
Bis nach 80 Flugstunden mal eine Maschine in die Tonne, aaeeh, ins Gras landet/beisst.
Dad' sind bei 300 Toten glatt 25% Kursverlust.
Herr Spohr führt Klassenkampf gegen seine MA.
Und derzeit geben sie ihm (noch) die richtigen Antworten darauf.
Dass aber Herr Weber die LH in den Ausverkauf gebracht hatte in den sich Spohr heutzutage gebracht sehen darf: das klingt fast wie: Spohr macht den Billigflieger.
Und genau den macht er.
Freuen wir uns also darauf wie Fliegen künftig auch aussehen wird: billig eben...
Genaugenommen könnte Spohr sogar als Sozialist durchgehen...
Dass aber ein "psychisch Kranker" einen veritabel wirkenden Carrier zum Relabeling veranlasst haben könnte: warum?
und wie auch?
"Die Episode zeigt auf, was sich in 25 Jahren verändert hat: ..."
Sie zeigt auch, dass ein Grüner Wirtschaftsminister ein Minister für die Wirtschaftsinteressen (d.h. für die Verzinsung investierten Kapitals) ist, und nicht Minister für grüne Interessen (d. h. für Natur-, Gesundheits-, Klimaschutz).
Auch ein grüner Wirtschaftsminister subventioniert Verschmutzer, wenn sie nur lokale Arbeitsplätze versprechen. Dies hat man bisher vorwiegend SPD- und CDU-Politikern angelastet, aber dies ist eben auch die Lehre von nunmehr 30 Jahren (seit der Koalition mit der Börner-SPD 1985) aktiver Teilhabe der Grünen am Politkbetrieb. Wir können davon ausgehen, dass Al-Wazir eigentlich gegen die Subvention für Billigflieger ist, aber er ist nun einmal Minister für Wirtschaft. Und da kann ich mir das (im Sinn leicht hingebogene) Zitat nicht verkneifen:
»EsistnichtdasBewusstseinderMenschen, dasihrSein, sondernumgekehrtihrgesellschaftlichesSein, das ihrBewusstseinbestimmt.«
Warum nicht einfach den Billigfliegern die Lizenz entziehen? Beim Hochfrequenzhandel, an der Börse, ging es doch auch schlicht mit einem „Gesetz zur Vermeidung von Gefahren und Missbräuchen im Hochfrequenzhandel“, welches im Februar 2013 in Deutschland inkraft trat.
Das wirkt natürlich als eine weitere ausgeklügelte Idee, den Menschen verbieten zu wollen, ihren kosmoplitisch durchwirkt wirkenden Geist für mehr als lediglich 65 Euro in die Zukunft zu schießen - die das dann auch noch mit Übergepäck realisieren möchten.
fein
>>Warum nicht einfach den Billigfliegern die Lizenz entziehen?<<
Wahrscheinlich ist die Massenfliegerei schon systemrelevant.
In Sachen Systemrelevanz dürfte kaum jemand zu übertreffen sein.
Gleichwie: es geht um Haushaltsrelevanz wie in jedem besseren Haushalt...
Ich finde den Artikel viel zu einseitig und verallgemeinernd dargestellt. Ihre Statistiken sollten auch einmal überprüft werden.
Was bedeutet eigentlich die Luftfahrt für Deutschland? Wem hilft die Luftverkehrsabgabe? Warum wachsen die billigAirlines rasant überall in ganz Europa, nur fast nicht in Deutschland (die letzten Jahre hat sich der luftfahrtmarkt sogar rückläufig Entwickelt). Warum gibt es keine konkurrenzfähige Deutsche billigairline, im Zentrum Europas? Warum hat man erst grosse Töne gemacht das man unbedingt eine dritte Bahn in FRA braucht nur um dann festzustellen, das hierzu die Flugzeuge fehlen? Ist das zufällig?
Nun versucht man es eben mit dem anwerben von billig Airlines. natürlich rein zufällig.
Warum soll man nicht für 9.99€ aus Frankfurt fliegen dürfen, und natürlich nicht Nachts, es sollen ja nur die anderen Länder leiden während wir hier Nachts ruhig schlafen sollen ( wenn jedes Land so egoistisch wäre mit Nachtflugverbot dann könnte man gar nicht mehr effizient fliegen. Wir bräuchten vielleicht fastdie doppelte Menge an Flugzeugen und Flughäfen....).
Traditionsunternhemen wie Lufthansa mögen Gut sein für die ergrauten Angestellten die jahrelang dabei sind, für junge Menschen bietet dieses Unternehmen jedoch keine Perspektive, besonders für angehende Piloten (und die anderen Verträge sind ja auch schon so das man nicht mehr das Gefühl hat man würde in Deutschland arbeiten. In Europa und weltweit ist die Luftfahrt überall gewachsen, nur in Deutschland nicht und die begehrten Jobs gehen alle ins Ausland.
Die Luftfahrt ist ein sehr globaler Markt und es gibt europaweit keine Zölle und Schranken mehr. Ein Land kann sich nicht mehr schützen!!!! Erst ist die Industrie in billigere Länder abgewandert, das gleiche passiert jetzt in der Luftfahrt und der normale Bürger schaut zu und wundert sich.
Wenn die LufthansaPiloten 300.000 € im Jahr verdienen möchten müssen sie eben nach China gehen, das gibt der Markt nicht mehr her in Deutschland, auch nicht durch eine Umverteilung wie in den letzen Jahren. Oder im Middle East sich als Pilot versklaven und jeden Tag in Angst leben ob man vielleicht plötzlich gefeuert ist - und wie man danun noch schnell das neue Auto zu einem Spottpreis verkaufen kann bevor man das Ausreisevisa verliert.....
Ganz anders hier: spanische Flugschüler kommen mit 70.000€ Nach Deutschland, fliegen bei Germania 500h und sind happy über diesen Deal.
Wenn man sich in der Branche etwas umhört kann man den Geschichten fast nicht mehr glauben. Sie spiegeln jedoch alle den gnadenlosen Wettkampf wieder, in dem wir uns in Europa befinden. Alle gegen jeden?
Gefragt ist die politik! Diese Leute sollten uns doch ein Leben in Würde ermöglichen, Angstfreiund ohne gesundheitliche Risiken......?
Aber die haben doch vielleicht etwas ganz anderes vor - und vertreten die Interessen der Industrie......
sehr trollig, aber nicht jedem scheint das billige Fliegen wirklich gut zu bekommen.
Für die soll es doch diese asozialen Billig-Netzwerke geben, wo sie sich ganz umsonst austoben dürfen.