Skrupulöser Realismus

Kino Christian Petzold nimmt den Genrestoff von "Wenn der Postmann zweimal klingelt", um in "Jerichow" mit Nina Hoss nüchtern von deutscher Wirklichkeit zu erzählen

Im Heimatfilm, der in den bundesrepublikanischen Kinos der fünfziger Jahre eine ungeheuerliche Popularität genoss, kommen Kriegsheimkehrer selten vor. Die Sehnsucht der Figuren, sich wieder verwurzelt und willkommen zu fühlen, erfüllt sich meist auf unverfängliche Weise. Die Filme versicherten ihr Publikum einer Kontinuität, die Brüche allenfalls in privaten Biografien zuließ.

Es ist ein belastetes, weil geschichtsvergessenes und ausgrenzendes Genre. Anständigerweise haben Filmemacher seither kaum daran angeknüpft. Christian Petzold hält es ohnehin eher mit dem französischen und amerikanischen Kriminalfilm (auch dies ein im europäischen Kino, zumal dem Autorenfilm, anachronistisch anmutendes, wenngleich tendenziell nobleres Genre). Aber die Figuren seines neuen Films treibt eine nämliche Sehnsucht um, einen Ort zu finden, an den sie gehören und eine Gemeinschaft, in der sie aufgehoben sind. Er ist übrigens der erste Regisseur, der bedenkt, dass es in Deutschland wieder Kriegsheimkehrer gibt.

Thomas (Benno Fürmann), der nach einem Einsatz in Afghanistan unehrenhaft entlassen wurde, kehrt zur Beerdigung seiner Mutter in die Prignitz zurück. Er will sein Geburtshaus renovieren; der Arbeitsmarkt hält wenig Zukunftsaussichten für ihn bereit. Da bietet ihm Ali (Hilmi Sözer), den er nach einem Verkehrsunfall heimfährt, einen Job als Fahrer an. Der Deutschtürke besitzt eine Kette von Imbissbuden, deren Betreiber er versorgen und kontrollieren muss. Bald verliebt sich der Ex-Soldat in Alis Frau Laura (Nina Hoss) und schmiedet mit ihr Pläne, den Ehemann aus dem Weg zu schaffen.

Diese Geschichte, in der Liebe und Freundschaft auf fatale Weise verraten werden, erinnert nicht von ungefähr an James M. Cains Roman Wenn der Postmann zweimal klingelt. Insgeheim erzählt Jerichow nicht nur von der Schwierigkeit, Figuren heimisch werden zu lassen, sondern auch davon, altgediente Geschichten in der Gegenwart und einer anderen Kultur zu verwurzeln. Dabei ist Petzold ein Regisseur der wachsamen Zeitgenossenschaft, der seinen Blick versenkt in Bereiche der sozialen Landschaft, die dem deutschen Kino sonst ungeläufig sind. In Yella etwa hat er originelle Einblicke gewährt in die Welt des Risikokapitals. Die soziologische Neugierde schlägt in seinen Filmen bewundernswert oft um in eine erzählerische, denn er hegt eine lebendige Faszination für die Mechanismen der Geschäftswelt, für trickreiche Verhandlungstechniken, die Sprache der Blicke und Gebärden.

Reflexive Strenge

Seine filmischen Befunde sind keine Innenansichten, sie verhehlen nicht, dass sie recherchiert sind: Die geschilderten Milieus dürfen dem Zuschauer fremd bleiben. Auch in Jerichow bestimmen die Besitz- über die Liebesverhältnisse, auch hier treffen sich Thema und Stilwille in der Ökonomie, im Haushalten mit wenigen Elementen, die im lakonischen Erzählgestus Eindeutigkeit gewinnen und ihr Geheimnis nicht verlieren sollen. Die beharrliche Hinwendung zum Genrekino entspringt weder der Nostalgie noch einer Zitierlust, die den Eingeweihten schmeicheln soll. Es ist eine Verlockung, der er nur mit reflexiver Strenge folgt. Er benutzt klassische Erzählmuster, um vom Alltag im Deutschland der Nachwendezeit zu erzählen.

Petzold hat gegenüber der Vorlage kluge Aktualisierungen vorgenommen: das Imbissstuben-Imperium Alis erlaubte Reflexionen über den Trotz, seinen Geschäftssinn in einer Welt durchzusetzen, die einen nicht haben will; zumal der Migrationshintergrund des Selfmade-Man Ali sich nicht in einem Milieu entfaltet, in dem er aufgehoben wäre. Dennoch verstärkt sich der Eindruck, das erzählerische Modell sei ein Korsett, aus dem Petzold sich nicht entschieden genug befreit hat. Das Gefühl von Unausweichlichkeit, die im romantischen Pessimismus des Film noir Glaubwürdigkeit besaß, will sich in der Erzählstrategie der Deplacierung nicht einstellen.

Dem Mordplan gebricht es an Konsequenz; der Taumel der Gefühle ist für den nüchternen Filmemacher ein undankbares Terrain. Auf die Siedegrade der Leidenschaft, die es dazu brauchte, mag er sein Kino nicht erhitzen. Das sommerliche Flirren des Ambientes übersetzt Hans Fromm in kühle, kristallklare Bilder, die die Schauplätze organisch in die Personenkonstellationen einbeziehen. Eine tödliche Obsession aber kann hier nicht aufflammen. Petzold ist ein zu skrupulöser Realist, um sein Kino rückhaltlos dem Suggestiven zu überantworten.

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