So einfach geht das

Lea-Sophie in Schwerin Das Kind ist tot

Wieder eins. Und wieder eins. Und wieder eins - verhungert, verdurstet, verkommen. Das fünfjährige Mädchen Lea-Sophie aus Schwerin wog am letzten Tag seines Lebens nur noch 7.400 Gramm, es war völlig verschmutzt, hatte offene Wunden und kein Fünkchen Kraft mehr. Die Ärzte, die das Kind behandeln wollten, waren fassungslos. Noch nie hätten sie einen Menschen in einem solchen Zustand gesehen. Lea-Sophie war nicht zu retten. Jede medizinische Hilfe kam zu spät. Ganz zu schweigen von liebevoller, fürsorglicher, sozialer Zuwendung - die bekam das Kind überhaupt nicht. Jedenfalls nicht von dem Pärchen Stefan T. und Nicole G., die tatsächlich "die Eltern" genannt werden, denen das Mädchen ausgeliefert und wahrscheinlich lästig war. Da hat es eben nichts mehr zu essen gekriegt. So einfach geht das?

So einfach geht das hierzulande! Schrecken und Zorn darüber schärfen den Blick: Die Fälle - Jessica in Hamburg, ein drei Monate alter Säugling aus Iserlohn, Kevin in Bremen und nun Lea-Sophie - sind von ihren Umständen her fast identisch und reißen nicht ab. Die jungen Täter und ihre Taten signalisieren eine aufhaltsame, aber vorerst kaum aufgehaltene Zerstörung des sozialen Klimas. Das ist keine Entschuldigung. Doch wachsende Verrohung, Verwahrlosung und Menschenverachtung bei jungen Leuten werfen Fragen nach dem Zustand der Gesellschaft auf. Was ist faul im Staate Deutschland?

Ganz offensichtlich versagen die zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vorgesehenen Systeme wie das Jugendamt in Schwerin und anderswo: Zu wenig Geld, zu wenig Mitarbeiter, und die sind überlastet und gestresst. Geben sich mit Auskünften zufrieden, bestehen wie im Fall Lea-Sophie nicht darauf, dass Kind zu sehen, haben weder Zeit noch Kraft nachzuforschen. Halten sich aber korrekt an die Vorschriften. Das war Anfang November. 14 Tage später war es zu spät. Die Schweriner Stadtverwaltung will nun intern ermitteln und einen Untersuchungsbericht vorlegen. Im Jahr 2006 gab es in Schwerin 133 Hinweise auf Verwahrlosung oder Misshandlung von Kindern, im ersten Halbjahr 2007 waren es bereits 85 Verdachtsfälle. Bundesweit sollen etwa 80.000 Kinder in Risikofamilien leben. Der Hungertod von Schwerin kann sich also jederzeit wiederholen. Gerade erst wurden in Berlin erneut zwei Fälle von Verwahrlosung bekannt. Zu löchrig ist das Betreuungsnetz besonders bei kleinen Kindern, die weder in einer Krippe sind noch in die Kita gehen und deren regelmäßige gesundheitliche Untersuchung - bekannt als U1 bis U12 - ebenso wie Impfungen ein freiwilliger Akt der Eltern beziehungsweise der Mütter sind.

Die Debatten über den Schutz der Kinder werden nun wieder hektisch geführt. Es geht um verpflichtende Voruntersuchungen (mit oder ohne finanzielle Sanktionen) oder mehr Hilfs- und Beratungsangebote durch freie Träger der Jugendhilfe oder intensivere Familienhilfen. Die zuständigen Politiker streiten sich wie die Kesselflicker darum, mit ihrer jeweiligen Position recht zu behalten und damit Punkte zu sammeln. Denn nächstes Jahr geht das Wählen wieder los. Irgendwie hat man das langsam satt. Auch das Geschrei darüber, dass mit Pflichtuntersuchungen unzulässig in die Privatsphäre eingegriffen würde. Lächerlich, sagen verantwortungsvolle Eltern und fühlen sich keineswegs unter Druck und Verdacht. Sie haben nichts zu verbergen. Ihren Kindern geht es gut. Aber was ist mit den anderen? Es ist Zeit, Konsequenzen aus dem Tod der kleinen Kinder zu ziehen. Die oben genannten Positionen sollten keine "Oder"-Sache sein, sondern schnellstens als Gesamtpaket beschlossen werden. Sonst geht es doch auch ziemlich flott, wie die flächendeckende Spitzelei beim Mobilfunk und bei Computerfestplatten oder die Heraufsetzung des Rentenalters zeigen. Jede Verzögerung geht zu Lasten der Kinder, ihres körperlichen und seelischen Wohls. Am Ende geht es sogar um ihr Leben.

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