So fängt man keine Terroristen

Kein tragfähiges Gesamtkonzept Winfried Hermann, Bundestagsabgeordneter von Bündnis 90/Die Grünen, über ein erweitertes Afghanistan-Mandat, Symbolpolitik und Kompensationsgeschäfte

FREITAG: Afghanistan steht wieder auf der Agenda des Parlaments. Die Bundeswehr soll ein neues Mandat erhalten. Ist das notwendig?
WINFRIED HERMANN: Zunächst ist eine kritische Bilanz notwendig: Was hat der Krieg in Afghanistan überhaupt an Befriedung gebracht. Zweitens: Was wurde durch den ISAF-Einsatz und speziell den der Bundeswehr erreicht. Als Kriegskritiker und Pazifist glaube ich, das Grundübel besteht in der Auffassung, mit Bomben und Raketen ließe sich die Region befrieden. Meine Bilanz dieses Krieges und der Zeit danach ist daher negativ: Jenseits von Kabul ist Afghanistan nach wie vor ein gefährliches und unsicheres Land. Vielfach haben die alten Kriegsherren noch die Macht. Von der Verfolgung der Verantwortlichen des Anschlags auf das World Trade Center - ein Hauptmotiv deutscher Beteiligung - wird schon gar nicht mehr gesprochen. Deshalb sage ich, lasst uns über einen geordneten militärischen Rückzug sprechen und darüber, wie man mit zivilen Mitteln helfen kann.

Aber angenommen, es wird über ein erweitertes Afghanistan-Mandat der Bundeswehr entschieden, ist dann die Kanzlermehrheit sicher?
Zunächst einmal geht es darum, ob die Bundeswehr an einem anderen Standort als Kabul Schutzfunktionen wahrnehmen soll, und dies müsste durch ein weiteres Bundestagsmandat gedeckt sein. Wenn die Bundeswehr jetzt nach Kundus geschickt werden soll, gibt es zwei Varianten: Entweder beschließt die UNO ein neues ISAF-Mandat oder man greift auf das Mandat zu "Enduring Freedom" zurück, mit dem der Krieg gegen Afghanistan geführt wurde und wird. Letzteres halte ich für hochproblematisch. Man kann nicht zivilen Wiederaufbau leisten und dabei auf ein Kriegsmandat zurückgreifen. Da die Mandatsfrage bisher noch nicht geklärt ist, kann ich auch noch nicht sagen, mit welcher Mandatsforderung die Regierung an das Parlament herantritt.

Wenn Minister Struck deutsche Soldaten nach Kundus schicken will, welches politische Konzept steht dahinter?
Ich teile das Urteil, dass man ein Land nicht befrieden kann, wenn man nur in der Hauptstadt für Sicherheit und Wiederaufbau sorgt. Allerdings glaube ich, dass es Symbolpolitik ist, einen weiteren Standtort mit ein paar Leuten auszustatten. Ich sehe kein tragfähiges Gesamtkonzept, wie man aus dieser völlig verfahrenen Lage herauskommt, und habe den Eindruck, dass man sich nicht eingestehen will, dass der Krieg und die Versuche, das Land zu befrieden, gescheitert sind.

Regionale Wiederaufbauteams scheinen Ihnen ungeeignet, das Land zu stabilisieren?
Diese Teams sind Teil eines Konzepts der USA, dem sich die Bundesregierung jetzt anschließen möchte. Darin sehe ich das Grundübel, wobei das Konzept als solches unter anderen Bedingungen sinnvoll sein könnte. Aber in den Augen vieler Menschen in Afghanistan sind die Amerikaner die unrechtmäßigen Besatzer, und so wird auch diese Strategie scheitern. Die eigentliche Gefahr besteht doch darin: Wenn Deutschland Teil eines Okkupationsregimes wird und damit zur Kriegspartei, wächst die Gefahr, dass Soldaten und zivile Aufbauhelfer Opfer von Anschlägen werden.

Was wäre denn nötig, um das Land zu befrieden?
Nach einem falschen Krieg und verfehlter Politik danach kann ein Kriegsgegner kein Friedenskonzept aus dem Ärmel schütteln. Das sage ich ganz offen. Das Land ist groß, die Probleme sind riesig, die Machverhältnisse völlig disparat. Ich kann nur sagen, ich hätte vor zwei Jahren diesen Krieg nicht angefangen. Ich hätte mir einen anderen Weg gewünscht, der gewiss länger und langwieriger gewesen wäre, aber möglicherweise für einen dauerhaften Frieden gesorgt hätte. Mein Credo war: Hilfeleistungen für Menschenrechte und das in Kooperation mit den Menschen und Organisationen vor Ort.

Sie hatten 2001 die Entsendung deutscher Soldaten an den Hindukusch aus genau diesen Gründen abgelehnt. Fühlen Sie sich bestätigt?
Nicht in allen Punkten. Ich fühle mich bestätigt, dass man mit Krieg keinen Frieden schaffen kann, und ich fühle mich absolut darin bestätigt, dass man so keine Terroristen fangen kann. Ich habe auch nicht den Eindruck, dass die Amerikaner das wollten, denn Gefangene müssten dann ja an den Internationalen Strafgerichtshof ausgeliefert werden, den die USA bekanntlich ablehnen.

In einem Punkt allerdings habe ich mich getäuscht. Ich dachte, der Krieg würde sehr viel länger in großem Maße weitergehen und eine humanitäre Katastrophe auslösen. Das ist der positive Punkt, den die andere Seite zu verbuchen hat - millionenfaches Hungern und Sterben wurde verhindert.

Was erwarten Sie mit Blick auf die mögliche Debatte über ein neues Mandat von Ihrer Partei?
Ich würde mir wünschen, dass es diese kritische Bilanzdebatte gibt, mehr als sich das im Moment abzeichnet. Ich sehe aber, dass die Mehrheit argumentiert, Frieden könne man nur mit Hilfe der Bundeswehr sicherstellen.

Wird deutsches Engagement in Afghanistan ausgebaut, um sagen zu können, aus Kapazitätsgründen können wir uns dann nicht auch noch im Irak engagieren?
Konsens bei Rotgrün ist seit einem Jahr, dass sich Deutschland nicht an einem Irakkrieg beteiligen will und nicht an einer Okkupation für die Zeit danach. Daran wird nicht gerüttelt. Ich sehe aber, dass viele Afghanistan anders einschätzen. Hier will man zeigen, dass wir Deutschen nicht generell gegen internationale Militäreinsätze sind. Um das zu untermauern, ist man auch bereit, mehr Verantwortung in Afghanistan zu übernehmen. Insofern ist es schon ein Kompensationsgeschäft.

Das Gespräch führte Dirk Schneider

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Verändern Sie mit guten Argumenten die Welt. Testen Sie den Freitag in Ihrem bevorzugten Format — kostenlos.

Print

Die wichtigsten Seiten zum Weltgeschehen auf Papier: Holen Sie sich den Freitag jede Woche nach Hause.

Jetzt kostenlos testen

Digital

Ohne Limits auf dem Gerät Ihrer Wahl: Entdecken Sie Freitag+ auf unserer Website und lesen Sie jede Ausgabe als E-Paper.

Jetzt kostenlos testen

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden