Die österreichische Autorin Marlene Streeruwitz macht ihrem politischen Unmut literarisch Luft. In einem Fortsetzungsroman in dickenscher Manier untersucht sie die Auswirkungen der Politik und der Wahlversprechen der Parteien im gerade angelaufenden Wahlkampf für die Nationalratswahl in Österreich am 1. Oktober 2006 auf das Leben der Figuren des Fortsetzungsromans So ist das Leben.
Streeruwitz will mit diesem literarischen Forschungsverfahren die Wahrheit der Politik herausfinden. Wie schlagen sich politische Maßnahmen im Leben nieder und was ist von den Versprechungen und Ankündigungen der Parteien zu erwarten? Wie wird gelebt?
Von der Darstellung von Politik in Form literarischer Schicksale erwartet sich Streeruwitz Klarheit über die Wirkung von Politik, vor a
die Wirkung von Politik, vor allem auch für die Menschen, die von den Maßnahmen nicht betroffen sind. Sie will beschreiben, wie die Rahmenbedingungen für das Leben bereits verändert wurden und wie politische Maßnahmen und Lebenspraxis immer weiter auseinander geraten, weil weite Teile der Gesellschaft nur noch sich selbst sehen und andere Realitäten gar nicht mehr kennen.Für Streeruwitz machen fiktive literarische Schicksale Politik, wie sie selbst sagt, "besprechbarer". In einer Gesellschaft mit der Erbschaft rigiden Lagerdenkens gelingt ihrer Meinung nach politisches Denken immer schon nur mit Abwehr. Auf der literarischen Ebene ist für sie der Selbstbezug, der die abwehrenden Ängste hervorruft, nicht notwendig. Die politischen Hintergründe von Lebenspraxis werden für Streeruwitz erträglicher und damit fassbarer.Der Fortsetzungsroman So ist das Leben. wird mit Hilfe eines Redaktionskomitees und öffentlichen Veranstaltungen in Wien weitergeschrieben werden und strebt in sich selbst eine Demokratisierung im Inhalt an. Es wird jede Woche zwei neue Kapitel des Fortsetzungsromans geben. Die Wiener Version wird am Donnerstag um Mitternacht auf die Homepage von Marlene Streeruwitz www.marlenestreeruwitz.at ins Internet gestellt. Ein in Deutschland spielender, parallelgeführter Fortsetzungsroman wird ab der kommenden Woche im Freitag erscheinen.In der ersten Folge lernen wir die beiden Hauptfiguren kennen: Nadine "Dini" Ebenegger, 30, promovierte Ärztin, die in Wien in einem Nagestudio arbeitet, bis sie einen Ausbildungsplatz zugewiesen bekommt. Nadines Cousine Barbara "Betty" Hoferhauser ist gerade in Köln gestrandet und muss sich dort durchschlagen. Sieben Wochen lang wird anhand der Schicksale dieser beiden Heldinnen beschrieben, was die Politik mit der Zukunft vorhat.So ist das Leben hat Streeruwitz als Titel gewählt, "weil dieser Satz der erste Hauptsatz des globalisierten Neoliberalismus ist und zur Überschrift über die kleinen und großen Zulassungsbeschränkungen in einer Gesellschaft wurde, in der wirtschaftliches Handeln als Naturereignis nicht mehr besprechbar geworden ist und als unveränderbare, schicksalhafte Naturkatastrophe gesehen werden soll". ERSTE FOLGENadine war dann wieder nach Hause gegangen. Sie hatte gehofft, bei dem Fotoshooting das Geld für die Miete zu verdienen. Oder wenigstens einen Teil davon. Aber dann hatte sich herausgestellt, dass nur das Fahrgeld bezahlt worden war. Die Frau mit dem Clipboard hatte gesagt, dass es umsonst sein sollte, mit dem Bundeskanzler fotografiert zu werden. Sie hatten sich alle auf die Albertinastiegen hinsetzen müssen und die Fotografin und die Frau von der Agentur mit dem Clipboard hatten sich unten hingestellt und sie gemustert. Dann war der Bundeskanzler von hinten gekommen und hatte sich oben auf die oberste Stufe gesetzt. Die Fotografin und die Frau von der Agentur hatten dann zwei junge Frauen und einen Mann zu ihm hinaufgeschickt. Alle anderen mußten wieder gehen. Die Frau von der Agentur hatte Nadine dann noch eine Visitkarte gegeben und gesagt, sie solle anrufen. Nadines Gesicht sei zu auffällig. So ein Gesicht könnten sie auf einem Wahlplakat nicht brauchen. Das lenke vom Kanzler ab und passe nicht in einen Wahlkampf. Da bräuchten sie so normale Gesichter. Nette Gesichter. Frische Gesichter. Aber für andere Produkte. Da könne sie sich Nadines Gesicht schon vorstellen. Oben auf der Stiege saßen die drei Ausgesuchten und der Kanzler und die Fotografin stand vor ihnen und sagte etwas.Nadine hatte für die Zeit des Fotoshootings ihren Platz im Nagelstudio an Jessica Weinström weitergegeben. Die hatte ihr Medizinstudium gerade erst beendet und gleich im Nagelstudio zu arbeiten begonnen. Nadine wartete jetzt eineinhalb Jahre auf ihren Turnusplatz in der Klinik und hatte bei Dr. Handtler im 3. Bezirk eine halbe Praxislehrstelle. Dr. Handtler zahlte ihr dafür freundlicherweise 150 Euro. Vorgeschrieben waren nur 120 Euro. Aber sie mußte sich die Stelle mit dem Neffen von Dr. Handtler teilen. Die Schwester Elfi hätte es gerne gesehen, dass der Volker die ganze Stelle bekommen hätte und richtete Nadine deshalb immer nur die Hälfte von Dr. Handtler aus. Aber das hatte Nadine im Griff. Sie hatte gelernt im Voraus zu wissen, was Dr. Handtler benötigen würde und der Volker brauchte die Schwester Elfi, um das heraus zu finden. Die Patienten spielten da keine große Rolle. Aber dann, wenn sie wirklich arbeiten würde, dann wollte sie das alles nachholen.Nadine dachte, dass sie wieder bei dem Mann vorbeischauen sollte, der die Ausbildungsstellen für Ärzte vergab. Sie war jetzt ein halbes Jahr im Nagelstudio und es war alles irgendwie gegangen. Aber jetzt. Wenn die Mama bei ihr in der Gumpendorferstraße wohnen blieb. Die Mama hatte kein Einkommen. Bis die Dinge mit dem Vater geregelt waren, hatte die Mama nichts. Sie hatte selbst die Mutter bedrängt, den Vater zu verlassen. Die war dann aber erst gegangen, wie der Vater sie gewatscht hatte. Er hatte ihr vorgeworfen, dass sie seine Mutter nicht gut genug gepflegt hatte. Die hätte so lange leben müssen, bis Die die Erbschaftssteuer abgeschafft hätten.Die Irmi Kramreiter hatte er gleich ins Haus genommen, nachdem die Mutter nach Wien zu Nadine gefahren war. Mehr als 300 Euro waren aber für die Mama nicht drin, wenn sie nicht zulassen wollte, dass er das Häuschen verkaufte. Die Mutter hatte das Häuschen mit dem Vater gemeinsam gebaut und es war ein Heiligtum für sie. Aber der Vater würde es ohnehin der Irmi vermachen. Da war Nadine sicher. Und die Tante Pauli hatte gesagt, dass Die mit der Erbschaftssteuer nur anfangen würden, damit sie dann die Grundsteuer erhöhen könnten und dann könnte ohnehin keiner mehr sein Haus behalten. Dann würden sie alle immer übersiedeln müssen. Wie in Amerika.Nadines Cousine Barbara hatte gemailt, dass ihr Projekt am Museum Wilhelm abgesagt worden war. Sie war da angekommen und der Kurator hatte ihr gesagt, dass er die Sache lieber lassen wolle. Der Direktor hatte ihr keinen Termin gegeben. Sie säße nun in Köln und könne nicht nach Wien zurück. Ihren Platz in der WG in Wien habe sie über den Sommer vermietet, und sie hatte mit dem Geld vom Museum gerechnet. Das Projekt war fix abgemacht gewesen, aber natürlich gab es nur mündliche Abmachungen und als Künstlerin konnte sie sich mit einem so mächtigen Museum ohnehin nicht anlegen. Ob sie nach Wien zu Nadine kommen könne. Nadine hatte Barbara eine SMS geschickt, dass ihre Mutter bei ihr in die Gumpendorferstraße eingezogen wäre und dass der Vladi ja auch noch da sei und dass sie nur mehr Platz auf dem Boden im Zimmer habe. Die Mutter schlafe in der Küche. Barbara hatte zurück geSMSt, dass sie es in Köln versuchen würde. Sie hätte sich für das Casting für eine dieser Shows gemeldet. Da bekäme sie eine Woche lang das Essen vom Buffet umsonst.Fortsetzung folgt.