So viel Weißbrot für die Katzen

Zwischen Durban und Dakar Sarah Mersch sucht in Tunis nach den Entbehrungen des Ramadan
Ausgabe 22/2019
Wie jedes Jahr zum Ramadan steigen auch auf den Marktplätzen von Tunis die Preise für Lebensmittel. Die Händler nutzen die höhere Nachfrage zum Fastenbrechen für sich
Wie jedes Jahr zum Ramadan steigen auch auf den Marktplätzen von Tunis die Preise für Lebensmittel. Die Händler nutzen die höhere Nachfrage zum Fastenbrechen für sich

Foto: Fethi Belaid/AFP/Getty Images

Der Tunesier Sami schüttelt den Kopf. Der Sinn des islamischen Fastenmonats Ramadan sei es doch, die Entbehrung zu spüren, unter der arme Mitbürger tagtäglich leiden. „Und was macht die Regierung? Sie senkt die Preise.“ Das sei wohl für die Armen gut, aber der Rest würde dann viel zu viele Lebensmittel kaufen und den Rest einfach wegschmeißen.

Abgesehen davon, dass sich der Ramadan durch den Mondkalender jedes Jahr um zehn Tage nach vorne verschiebt, läuft er in Tunesien immer gleich ab: Kurz vorher flattern die Supermarkt-Prospekte mit Sonderangeboten ins Haus, während in den Medien die Lebensmittelpreise diskutiert werden, der Staat für gewisse Produkte Festpreise bestimmt und die Bürger beruhigt, dass alles Wesentliche ausreichend vorhanden sei. Ganz besonders wichtig im Ramadan: Eier, Datteln und Milchprodukte. Denn die Brik, die mit Ei und Thunfisch gefüllten, frittierten Teigtaschen, dürfen beim Fastenbrechen ebenso wenig fehlen wie Sauermilch und ein paar Datteln.

Trotz Wirtschaftskrise, trotz der Verschuldung von zwei Dritteln aller tunesischen Haushalte, trotz sinkender Kaufkraft und steigender Preise waren die Supermärkte am Wochenende vor Ramadanbeginn auch in diesem Jahr rappelvoll. Um ein Drittel würde der Konsum im Ramadan im Durchschnitt ansteigen, sagte der Direktor des tunesischen Statistikinstituts in den Medien – der Sauer- und Buttermilchkonsum vervierfacht sich im heiligen Monat, und 80 Prozent der Jahresproduktion von Malsouka, dem hauchdünnen Teig für die Brik, werden in diesem einen Monat verbraucht.

Wer das alles essen solle, sei ihm schleierhaft, meint der junge Unternehmer Sami. Er würde, wenn er den ganzen Tag gefastet habe, außer einer Suppe und der obligatorischen Sauermilch erst mal gar nichts runterkriegen.

Es wird allerdings nicht nur viel gekauft, es wird auch viel weggeschmissen – 900.000 Brote pro Tag zum Beispiel, wenn man dem tunesischen Verbraucherschutzverband Glauben schenken darf. Das ist fast ein halbes Brot pro Einwohner. Wobei man dazusagen muss, dass die subventionierten Weißbrote für umgerechnet 6 Cent in kürzester Zeit so trocken und zäh werden, dass einem kaum noch etwas anderes übrig bleibt, als sie an die unzähligen streunenden Hunde und Katzen zu verfüttern oder in die Tonne zu werfen.

Auch die Cafés machen im Ramadan oft guten Umsatz – die meisten dann, wenn sich Jung und Alt dort nach dem Fastenbrechen auf Kaffee, Tee oder frische Zitronenlimonade treffen. Andere allerdings auch tagsüber. Denn obwohl die allermeisten Tunesier mehr oder weniger gläubige Muslime sind, fasten längst nicht alle, sei es aus gesundheitlichen oder aus weltanschaulichen Gründen. Und während man zwar kaum jemanden tagsüber in der Öffentlichkeit essen oder trinken sieht, ist, zumindest in den größeren Städten, eine ganze Reihe von Cafés und Restaurants trotzdem geöffnet. Mit Zeitungspapier oder Vorhängen an den Scheiben werden die Gäste vor neugierigen oder auch mal wütenden Blicken geschützt. Drinnen ist es oft ziemlich voll – mit Nichtfastenden.

Sarah Mersch berichtet seit 2010 als freie Korrespondentin aus Tunis

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