Solidarität statt Öko-Lifestyle

Klima Ich traf im globalen Süden Aktivisten, die später ermordet wurden. Wenn ich das in Deutschland erzähle, empört neuerdings viele, dass ich mit dem Flugzeug reise
Ausgabe 52/2019
Solidarität statt Öko-Lifestyle

Foto: Glies Clarke/Getty Images

Ich weiß nicht, ob Fredi noch lebt. Als ich den Ortsvorsteher einer kleinen Gemeinde nahe der Stadt El Progreso traf, befand sich der Ort in einem jener ungezählten Landkonflikte, die es in Honduras gibt. Der korrupte Bürgermeister wollte die Quelle, von der alle im Ort abhängig sind, an ein privates Unternehmen verschachern. Fredi hatte sich dagegengestellt. Und war damit ein hohes Risiko eingegangen: In keinem anderen Land werden so viele Aktivisten ermordet wie in Honduras – mindestens 120 seit 2010. 2016 wurde Berta Cáceres, die gegen den Agua-Zarca-Staudamm kämpfte, in ihrem Haus erschossen. Als ich das Land 2018 besuchte, hörte ich viele ähnliche, entsetzliche Geschichten, traf so viele Menschen, die trotzdem nie den Mut verloren haben, gegen die Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen zu kämpfen: gegen Goldminen, auf denen Cyanid versprüht wird, gegen Staudämme oder Solaranlagen, deretwegen die Menschen von ihrem Land vertrieben wurden.

Ich weiß nicht, wie es Arti geht, die auf Sumatra mit ihren fünf Kindern bei ihren bettelarmen Eltern lebt, seit ihr Mann von den Wachleuten einer Palmölfirma totgeschlagen wurde, die illegal den Wald ihrer Gemeinde gerodet hatte. Ich weiß aber, dass drei der Aktivisten, die ich während meiner Recherchen kennengelernt habe, bereits tot sind. Der indonesische Aktivist Jopi, Autor eines Buches über Korruption im Palmölgeschäft, wurde erstochen. In Bangladesch wurde der Kleinbauernführer Abdul Karim in einen Hinterhalt gelockt. Der Regenwaldkämpfer Nordin starb kurz nach den verheerenden Waldbränden in Borneo; die Feuer hatten ihn und seinen Sohn krank gemacht.

Das ist Alltag in den Ländern des Südens. Nirgendwo sieht man deutlicher, dass Gewalt gegen die Natur immer auch Gewalt gegen Menschen ist. 2018 wurden laut der NGO Global Witnessjede Woche drei Menschen wegen ihres Kampfes für Umwelt und Menschenrechte getötet.

Wenn ich allerdings bei meinen Vorträgen und Lesungen in Deutschland von den Menschen in den Ländern des Südens erzähle, werde ich neuerdings fast jedes Mal als Erstes gefragt: „Wie vereinbaren Sie das eigentlich mit ihrem Gewissen, dass Sie dorthin mit dem Flugzeug geflogen sind?“

Ich finde diesen Vorwurf bizarr. Schließlich fliege ich ja nicht zum Yoga-Retreat oder Kite-Surfen, sondern auf die Rückseite der Welt. Dorthin, wo sich kein Tourist je hinverirrt. Dort, woher die Rohstoffe für unsere Produkte stammen, wo das Leid der Menschen für uns im globalen Norden unsichtbar ist. Die Frage ist deswegen umso befremdlicher, weil sie zeigt, wie sehr sich die Vorstellung durchgesetzt hat, dass die Welt vor allem von individuellen Konsumentscheidungen gerettet werden könnte. Als seien diese den Kämpfen im Süden ebenbürtig oder vielleicht sogar noch wichtiger. Aber das ist keine politische Strategie, es blendet Macht- und Verteilungsfragen aus. Die Aufforderung, sich einen persönlichen Öko-Lifestyle zuzulegen, zerstört dann, wenn der „gute“ Konsument nur mit dem Finger auf den „bösen“ zeigt, genau jene Solidarität und die Bereitschaft zum Engagement, die wir brauchen, um strukturell und global etwas zu verändern.

Ihr Mut steckt an

Ein indonesischer Aktivist erzählte mir einmal verärgert von einem finnischen NGO-Mitarbeiter, der aus Klimagründen mit dem Schiff gekommen sei, zwei Wochen habe die Reise gedauert. Das müsse sich einer erst einmal leisten können! Was hätte man in den zwei Wochen Reisezeit alles zusammen auf die Beine stellen können!

So viel Entsetzliches ich in den Ländern des Südens gesehen habe, so ermutigend und überwältigend ist es, mit wie viel Mut und Solidarität die Menschen dort – für uns alle – kämpfen. Welche Vorstellungen einer gerechten Welt sie haben. Selbstverständlich sind wir in den reichen Ländern des Nordens, ob wir wollen oder nicht, mit unserer imperialen Lebensweise Teil der globalen Zerstörung. Aber anstatt zu versuchen, das nur individuell zu korrigieren, brauchen die Länder des Südens dringend unsere Solidarität, indem wir unseren mit ihrem Kampf verbinden. Gegen Freihandelsverträge wie Mercosur, für eine global gerechte Landwirtschafts- und Energiewende, für die Durchsetzung von Menschenrechten in den Lieferketten. Dieser Kampf, und das ist erfreulich, hat auch in Deutschland schon begonnen. Auf der Straße, gemeinsam.

Kathrin Hartmann schrieb u. a. die Bücher Die grüne Lüge und Aus kontrolliertem Raubbau

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