Solidarität war für ihn kein leerer Begriff

Nachruf Christian Krähling war eine der wichtigsten Persönlichkeiten der Arbeiterbewegung in Deutschland. Den Kampf bei Amazon führte er nicht nur in Bad Hersfeld
Ausgabe 51/2020

Ein Mann mit etwas hoher Stirn und schwarzem T-Shirt geht an das Rednerpult, spricht vorsichtig „Test, Test“ ins Mikro, begrüßt freundlich die noch raunende Menge, nennt kurz seinen Namen: Christian Krähling, Amazon-Arbeiter, für bessere Arbeitsbedingungen kämpfend. Er wolle sich nur ganz kurz vorstellen, sagt er fast entschuldigend und ein wenig unsicher wirkend zu den Delegierten des Landesparteitags der hessischen Linken.

Knapp drei Minuten lang erzählt er von der Situation bei Amazon, vom langen Arbeitskampf, davon, dass die Linkspartei diesen unterstützt hat. Deshalb habe er auch zugestimmt, als er gefragt wurde, ob er bei der Landtagswahl 2018 für einen hinteren Listenplatz kandidieren wolle. „Ich bin kein Mensch, der unbedingt irgendwelche Posten haben muss, aber wenn ihr der Meinung seid, dass euch das unterstützen würde, wäre es mir eine Ehre, für euch zu kandidieren.“

Im Internet gibt es viele Videos und Fotos von Krähling – häufig trägt er eine gelbe Streikweste, erzählt von Selbstbestimmung, von Organisierung im Betrieb, vom langen Atem. Es sind Bilder eines klassen- und selbstbewussten Arbeiters, der keineswegs unsicher ist, sondern einfach jemand, der sich nicht in den Mittelpunkt rücken will. Auch wenn er den Satz nicht gerne über sich gelesen hätte: Es sind Bilder von einer der wichtigsten Persönlichkeiten der Arbeiterbewegung in Deutschland.

Bezos in die Knie zwingen

Davon zeugen die vielen Beileidsbekundungen von Kolleg*innen, Genoss*innen und Weggefährt*innen. Die klassenpolitische Initiative „Organisieren – kämpfen – gewinnen“ schreibt auf Facebook: „Du hinterlässt uns fassungslos, bestürzt. Aber du wirst in uns weiterleben – in jedem Kampf, den wir führen, in jeder Stunde der Verzweiflung, in jeder Stunde des Glücks, jeder Sieg wird auch deiner sein. Du hast so vielen Mut gegeben. GewerkschafterInnen weltweit werden trauern, von Spanien, Polen, USA, Frankreich, China…“. Die Redaktion von Klasse gegen Klasse würdigt Krähling als aufrechten Internationalisten, „der wusste, dass es nichts gibt, was die Kapitalist:innen mehr fürchten als Selbstorganisation und Solidarität der Arbeiter:innen“. Und Dieter Wegner vom Jour Fixe der Gewerkschaftslinken Hamburg richtet seine Worte an den Verstorbenen: „Wenn irgendwann Jeff Bezos/Amazon in die Knie gezwungen sein wird, es wird mit Deinem Namen verbunden sein! Du hast die Grundlagen für diesen Kampf mit gelegt“, schreibt Dieter Wegner vom „Jour Fixe“ der Gewerkschaftslinken Hamburg. (Weitere Nachrufe gibt es bei der gewerkschaftslinken Initiative LabourNet.)

2009 fing Krähling bei Amazon in Bad Hersfeld an, begann früh, Beschäftigte zu organisieren, 2013 kam es zu ersten Warnstreiks. Am Anfang waren nur etwa ein Dutzend in Bad Hersfeld bei Verdi organisiert, heute sind dort mehr als 1.000 Menschen Gewerkschaftsmitglieder.

Mit seinen Kolleg*innen vernetzte er sich bundesweit, fuhr nach Polen und Frankreich, um dort Streiks bei Amazon zu unterstützen. Solidarität war für ihn kein leerer Begriff, sondern eine Notwendigkeit. Ihm war klar: Der Kampf der Arbeiter*innen kann nicht nur in Bad Hersfeld geführt werden. Es braucht internationale Organisierungen entlang der Produktionskette, um die kapitalistische Maschine aufzuhalten. Deshalb gründete er die Amazon Workers International mit – unabhängig vom großen Gewerkschaftsapparat, dem er immer kritisch, nie aber in bloßer Ablehnung gegenüberstand. Er bat nie unterwürfig um Unterstützung, sondern forderte sie ein, wenn die Beschäftigten sie brauchten. Im Kern stand aber die Basisorganisierung im Betrieb.

Am 9. Dezember war Christian Krähling noch bei der Arbeit. Einen Tag später fehlte er bei der Betriebsratssitzung – bei ihm sehr ungewöhnlich. Nachdem ihn niemand telefonisch erreicht hatte, fuhr ein Kollege zu ihm nach Hause – und fand ihn tot in seiner Wohnung.

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