Solipsismusfeminismus

Feminismus Alice Schwarzer ist kein Grund, ein politisches Projekt zur Privatsache von "Alpha-Mädchen" zu machen

Dass Feminismus das Leben schöner macht, erklären derzeit mit viel Verve Meredith Haaf, Susanne Klingner und Barbara Streidl in ihrem Buch Wir Alpha-Mädchen. Dabei fällt ihnen zum Stichwort Feminismus nur Alice Schwarzer ein. Und zusammen mit den Neuen deutschen Mädchen Jana Hensel und Elisabeth Raether wollen sie die Börne-Preis-Trägerin aufs Altenteil schieben. Von der Wirklichkeit, die komplizierter sei, als Schwarzer sich das vorstellen könne, verstünden sie selbst mehr. Doch die von Haensel und Raether beschworene Farbigkeit ihrer Welt erweist sich als recht monochrom. Sie schrieben über das, was "der Feminismus immer verschwiegen" und "als banal abgetan" habe, das Private nämlich. Etwa, "dass einem die Sehnsüchte, die man im Leben so hat, zum Beispiel geliebt zu werden, oft im Weg stehen, eine aufrechte Feministin zu sein".

Haensel und Raether wollen nicht wissen, dass gerade die Erkundung dieses Widerspruchs zwischen politischer Haltung und emotionalen Ambivalenzen, die einer unterworfenen weiblichen Subjektivität geschuldet sind, eines der zentralen Themen des geschmähten Siebziger-Jahre-Feminismus war und von Verena Stefan in Häutungen (1975) oder Anja Meulenbelt in Die Scham ist vorbei (1976) auf oft quälende Weise erkundet und beschrieben wurde. Sie wollen nicht wissen, dass der Satz "Das Private ist politisch" eben nicht darauf zielte, die Irrungen und Wirrungen unseres Intimlebens zu sezieren, sondern darauf, zu erkennen, wie sich patriarchale Verhältnisse und Verhinderungen im Leben jeder Einzelnen materialisieren. Stattdessen begnügen sie sich mit der ermüdenden Wiederholung abgedroschener antifeministischer Klischees - die im Übrigen nie mehr waren als das: stereotypisierende Gemeinplätze, die Diskreditierung und Delegitimierung dienen.

Die "Alpha-Mädchen"-Mannschaft gibt sich im Unterschied dazu kämpferischer; sie wollen das "große, wichtige Projekt" Feminismus "durch das nächste Jahrhundert bringen". Dafür müsse ihre Generation "nicht auf die Straße gehen" - warum eigentlich nicht? -, vielmehr müssten eine Sprache und Handlungsformen gefunden werden, die "die junge Generation kennt" und die "der aktuellen Situation entsprechen" würden. Dem ist im Grunde nur zuzustimmen. Eine Bewegung, ein politisches Projekt, eine Theorie ist nur so lange gut, wie sie Antworten zu geben vermag auf die Fragen ihrer Zeit. Es kann daher kaum darum gehen, den Feminismus aus der Geschichte herauszunehmen, um ihn einzufrieren und so gegen Kritik zu immunisieren, nostalgisch an dessen verklärten Momenten zu kleben und ihn damit zur ewigen Wiederholung seiner selbst zu zwingen. Doch gerade angesichts heutiger globaler Herausforderungen gibt sich der Alpha-Feminismus recht bescheiden, geht es ihm doch um eine bestimmte Gruppe von Frauen: sich selbst. "Manche werden vielleicht die spezifischen Perspektiven lesbischer Frauen oder etwa Migrantinnen vermissen", schreiben Haaf und ihre Mitstreiterinnen. nonchalant gleich auf der zweiten Seite ihres Buches: "Wir wissen, dass nicht alle jungen Frauen in Deutschland gleich leben ... Wir konzentrieren uns hier allerdings erst einmal auf Themen, die einen Großteil [sic!] der jungen Frauen, die heute in Deutschland leben, betreffen".

Ein solcherart solipsistische Haltung mag nun in der Tat die Sprache sein, die die junge Generation kennt - für die Herausforderungen der Zeit wird sie indes nicht genügen. Denn die Kernfragen von Feminismus - Umgestaltung von Herrschaftsverhältnissen, das Recht auf unbedingte politische und gesellschaftliche Teilhabe, die Chance ökonomischer Unabhängigkeit, das Recht auf Wissen und Bildung und die Möglichkeit, ein selbstbestimmtes Leben ohne Gewalt in Freiheit führen zu können, die Möglichkeit der Selbstverständigung über das, was wichtig ist - sie sind global gesehen so aktuell und ungelöst wie je. Wenn der Alpha-Feminismus dazu nicht sprechen will, sollte er von seiner eigenen Freiheit und Selbstverwirklichung schweigen.

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