Freitag: Nachdem die EU mächtig Druck gemacht hat, plant der Energiekonzern Eon, sein Stromnetz zu verkaufen. Sollte es der Staat erwerben?
HOLGER KRAWINKEL: Ja, damit würden wir einem Trend in der EU folgen: Dänemark verstaatlichte 2005 die Stromnetze und machte es den skandinavischen Nachbarn nach. Ein weiteres Beispiel ist die Schweiz. Dort wurde eine Netzgesellschaft gegründet, die sich mehrheitlich in öffentlicher Hand befinden muss. Diese Länder vermeiden ständige Querelen zwischen privaten Betreibern und staatlichen Regulierungsbehörden um Investitionen und Instandhaltung. Während private Betreiber auf hohe Gewinne aus sind, geht es den Regulierungsbehörden um niedrige Kosten für die Verbraucher und um eine gute Infrastruktur.
Vor allem Finanzinvestoren interessieren sich für das Stromnetz - die Renditen sind sicher, die Risiken kalkulierbar. Sollte sich der Staat auf einen Bieterwettkampf einlassen?
Es ist zu befürchten, dass dies von der Bundesregierung versucht wird. Man wird diesen Prozess aber nicht vollständig steuern können. Paradoxe Entwicklungen sind möglich: RWE geht an Gasprom, Eon verkauft sein Netz an den britischen Netzbetreiber National Grid, Vattenfall an die staatliche schwedische Netzgesellschaft Kraftnät und EnBW an die neue staatliche französische Netzgesellschaft. Über eine Anbindung von deutschen Windparks wird dann in Moskau, London, Stockholm und Paris entschieden.
Inwiefern ermöglicht eine Verstaatlichung eine Energiewende?
Strom aus Wind- und Wasserkraft kann kostengünstig in Norwegen sowie im Mittelmeerraum erzeugt werden. Dazu brauchen wir europäische Übertragungsnetze. Wenn sich die Netze in öffentlichen Händen befinden, ist dies einfacher zu organisieren. Auch die dezentralen Potenziale für erneuerbare Energien erfordern neutrale Netze. Kommunen, die sich von ihren Netzen trennen wollen, brauchen eine öffentliche Alternative. Auch deshalb ist eine öffentliche Netzgesellschaft notwendig.
Früher oder später wird die EU die Energiekonzerne drängen, sich von ihren wertvollen Gasnetzen zu trennen. Sollte der Staat auch diese übernehmen?
Letztlich gilt für Gasnetze dasselbe wie für Stromnetze. Zunächst muss abgewartet werden, ob und inwieweit die EU die eigentumsrechtliche Trennung forciert. Sicher wird es Netzverkäufe geben. Für den Staat ist die Frage, wer künftig die Gasnetze betreibt, so wichtig wie die, wer die Stromnetze beherrscht. Schließlich handelt es sich um wichtige Infrastruktur.
Das Gespräch führte Dirk F. Schneider
Holger Krawinkel ist Energieexperte bei der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbz).
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