Sommer ist Spektakelzeit

Bühnentreiben Die alljährliche Hochhuth-Posse um Claus Peymann, den nicht gespielten "Stellvertreter" und die Zukunft des Berliner Ensemble war nur ein Auftakt

Warum sich ausgerechnet Sommerspektakel häufen, hat die Theaterwissenschaft noch nicht herausgefunden. Es könnte mit der Sonnwende zu tun haben, als Zeit leicht entrückten Daseins mit besonderer Aufnahmefähigkeit.

Bekanntlich setzt in Berlin seit einigen Jahren die Spektakel-Saison mit einer Hochhuth-Posse ein – Spektakel hier im Sinn von Geschrei. Sie wurde dieses Jahr bereits im Juni eröffnet, als der Dramatiker Rolf Hochhuth dem Berliner Ensemble unter Claus Peymann kündigte, das in seinem Haus spielt. Der Hochhuth-Peymann-Showdown folgt einer festen Dramaturgie, in der man dann nach kleinen Regiezutaten suchen kann. Diesmal war es Hochhuths Satz: „Mein eigentlicher Feind ist der Senat“ – also der eigentliche Mieter des Hauses. Praktisch ein Hinweis ans Spektakelpublikum, sich nicht nur auf die beiden Protagonisten zu fixieren.

Vergangenes Wochenende dann Spektakel anderer Art. Im polnischen Poznan, beim Malta-Festival, gaben Kraftwerk ein Retrospektiv-Konzert, wie bislang nur im New Yorker MoMA, in der Londoner Tate Modern und im Münchner Lenbach-Haus. Eine Institution der Kunstfeier fern aller Spektakelhaftigkeit. Das Malta-Festival, einst als eine Art Edinburgh des Ostens gegründet, gehört inzwischen zu den wichtigsten europäischen Theaterfestivals und wurde diesmal von dem italienischen Star-Regisseur Romeo Castellucci kuratiert. Sein Motto „Mensch Maschine“ war die Einladung an Kraftwerk. Dass die Band sie annahm, war aber wohl in dem Programm begründet, das der kluge Castellucci drum herum baute. Kraftwerk, die schon für alles Mögliche als Vorbilder gefeiert wurden, erschienen als Pioniere der Musik-Performance. Natürlich wurden bei dem Open-Air-Konzert auch Handys zu ihren Hits geschwenkt, aber der Blick durch die 3D-Brillen auf die brillanten Videos war dann doch auch anders: spektakelbewusster. Eine Bedeutung des lateinischen „spectaculum“ bezeichnet sogar Weltwunder.

Im Prater der Berliner Volksbühne ging das „12-Sparten-Haus“ zu Ende, von dem das größte Theaterspektakel der Saison erwartet wurde. Doch der Norweger Vegard Vinge, die Bühnenbildnerin Ida Müller und der Musiker Trond Reinholdtsen durchkreuzten solche Erwartungen mit Videoszenen aus dem vom Publikum nicht zu betretenden Theater. Nur wer gute Kenntnisse von Ibsens Volksfeind und die Bereitschaft mitbrachte, viele Vorstellungen dieser auf unvorhersehbaren Verlauf ausgespielten Performance zu besuchen, konnte sich annähernd ein Bild von dieser Arbeit machen. Spektakel, die punktuell auf die Teilnahme an einem Skandal zugerichtet sind, laufen anders.

Wer das Außerordentliche, auch zeitlich Entgrenzte als besonderes Spektakel empfindet, hat jetzt beim Nature Theater of Oklahoma dazu Gelegenheit, dessen in verschiedenen Längen (bis zu 15 Stunden) Life and Times-Serie beim Foreign-Affairs-Festival der Berliner Festspiele im HAU gezeigt wird. Theater als trubeliges Fest jenseits der einzelnen Aufführung wurde nach der Antike von dem Schweizer Regisseur Benno Besson in einem vorsommerlichen Mai 1973 an der Volksbühne wiedererfunden, als „Spektakel“ zehn Tage lang im und rund ums Haus. Andere griffen danach das spektakuläre Format des Stadttheaters auf. Besson selbst meinte rückblickend, so müsste Theater immer sein, aber das gehe leider nicht. Nun, das echte Spektakel zeigt sich heute da, wo es erwartet wird – und wo es trotzdem überrascht.

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