Sommer mit Beton

Was läuft Augenringe und Jugendamt statt Simple Life und American Dream. „Shameless“ zeigt, wie Armut sich ohne falsche Scham darstellen lässt. Spoiler-Anteil: 8 Prozent
Ausgabe 03/2017

Wenn wenig Geld da ist, wird es umso wichtiger. Die nächste Miete, die anstehende Klassenfahrt, das Essen am Monatsende: Alles wird geplant. Schon der Gedanke an eine auslaufende Waschmaschine oder eine Gehaltszahlung mit zwei Tagen Verspätung sorgt bei dir für Gänsehaut der unguten Art. Gleichzeitig ist das Nachdenken über Geld in der alltäglichen Dimension unheimlich ermüdend. Bisschen wie Kalorien zählen, nur dass du es ernst nehmen sollst. Mächtig wirkt das Thema Geld auf den Tagesablauf: Weil du nicht lesen, arbeiten, schlafen kannst, wenn du weißt, dass es nicht reichen wird.

Vielleicht ist das ein Grund, warum Fernsehserien öfter in der Mittelschicht und aufwärts angesiedelt sind: dort, wo Sorgen über Styling und Seitensprünge nicht von Geldsorgen verdrängt werden. Trotzdem gibt es immer wieder Ausnahmen. Eine der ältesten ist sicherlich Roseanne, eine Sitcom, die zwischen 1988 und 1997 ausgestrahlt wurde und vom Leben einer Arbeiterfamilie handelte. Bei Shameless wiederum – auch wenn Puristen vielleicht die Augen verdrehen, handelt es sich hier nicht ums britische Original, sondern ums US-amerikanische Remake – geht es noch weiter abwärts: In der Chicagoer South Side arbeitet kaum noch jemand. Frank Gallagher, Erzeuger von sechs, später sieben Kindern, ist Alkoholiker, Junkie, Trickbetrüger, Drückeberger und einiges mehr, bloß kein produktives Mitglied der Gesellschaft. Seine Nachkommen schlagen sich auf eigene Faust durch, Oberaufsicht hat die älteste Tochter Fiona, die in der ersten Staffel nicht mal volljährig ist. Fiona ist es, die mit wechselnden Jobs im Niedriglohnsektor (Kellnerin) für das einzige legale Einkommen sorgt.

Speziell an Shameless ist a), dass Armut nicht verkitscht wird: Statt Simple Life und American Dream gibt’s Augenringe und Jugendamt. Und b), dass gelacht werden kann – über Situationen statt über Personen. Die Gallaghers gehören nicht zu den Familien im Brennpunkt, deren Entertainmentfaktor darin besteht, dass Zuschauer sich über sie erheben können. Sie sind durchgehend streetwise und unorthodox, was das Lösen von Problemen angeht, mit Potenzial für mehr als das, was ihnen das Leben bietet.

In Shameless besteht die Armut nicht nur darin, dass es morgens No-Name-Cornflakes gibt. Auch die sozialen und psychologischen Nebenwirkungen werden erfasst, von der mangelhaften medizinischen Versorgung über Kriminalität als niedrigschwelliges Einkommensangebot bis zu Teenagerschwangerschaften. Eine seriöse Doku wäre vom Abarbeiten des ganzen Programms ziemlich überladen, das Komödiantische macht Shameless dagegen immun.

Potenzial jedenfalls hat vor allen der älteste der Söhne, Lip. Als er es als Stipendiat aufs College schafft, spürt Lip schnell, dass Noten allein nicht ausreichen, um dazuzugehören. Es sind die feinen Unterschiede, die ihn von seinen Kommilitonen trennen: seine Lebenserfahrung gegen ihre Allgemeinbildung, ihr Taschengeld gegen seinen Sommer auf der Baustelle. Sozialer Aufstieg, die Aussicht auf ein gesichertes Einkommen und Anerkennung liegen den Gallaghers fern. Warum sollte ausgerechnet Lip die Ausnahme sein?

Die Tiefe, mit der die Armut in Shameless in die Individuen reicht, unterscheidet die Serie von anderen Formaten, in denen es ebenfalls prekär zugeht. In Breaking Bad wäscht Walter White anfangs nebenher Autos, aber es ist für ihn keine Selbstverständlichkeit, nichts, wofür ein Chemielehrer bestimmt wäre (was natürlich weder Arbeit erleichtert noch Selbstachtung erhöht). In Girls oder Friends fehlt den Mittzwanzigern zwar oft das nötige Kleingeld, dafür mangelt es nicht an Eltern, die entgegen ihren erzieherischen Ansprüchen aushelfen und den totalen Absturz abfangen. In 2 Broke Girls wiederum ist immerhin eines der beiden Mädchen von Geburt aus arm, nicht aber ohne Ambitionen.

Zukunftspläne gibt es bei den Gallaghers in Shameless nicht. Nach sechs Staffeln der Serie weißt du als Zuschauer, dass der Job, der für die Krankenversicherung sorgt, nicht dauerhaft ist und dass der nette, fürsorgliche Freund in Anbetracht der ganzen Probleme bald das Weite suchen wird. Was den Gallaghers Halt gibt, sind das schwache Sozialsystem, ein bisschen Nachbarschaftshilfe und Kleinkriminalität. Ihren Namen verdankt die Serie der Haltung, mit der sich die Geschwister aus sämtlichen Worst-Case-Szenarien befreien: ohne falsche Scham.

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