Teutoburger Wald, neun Jahre nach Christus: Die Kacke ist am Dampfen. Antike halt. Aber auch ein Problem mit den Römern. Immer wieder gibt es Ärger zwischen den Eroberern und diversen germanischen Stämmen, die sich schwer tun mit fortschrittlichen Konzepten wie Kanalisation und Diplomatie. Konflikte entspinnen sich um Ziegen und Salatköpfe, aber auch um die Söhne, die als Zeichen der Unterwürfigkeit an die Römer abzugeben sind. Arminius ist so ein Sohn, ein Nachfahre des Cheruskerfürsten Segimer, der als Zwangszögling des römischen Statthalters Varus eine steile militärische Karriere hinlegt.
Das Netflix-Gemetzel Barbaren beginnt mit der Rückkehr von Arminius (Laurence Rupp) in den Teutoburger Wald und gipfelt in der historisch verbrieften Varusschlacht, die zu den empfindlichsten Niederlagen des Römischen Reichs zählt. Die Serienschöpfer Arne Nolting, Jan Martin Scharf und Andreas Heckmann erweitern die Geschichte um allerlei Familiendrama: So versuchen etwa zwei ehemalige Spielgefährten von Arminius, der einfache Krieger Folkwin (David Schütter) und die Fürstentochter Thusnelda (Jeanne Goursaud), die germanischen Stämme im Widerstand gegen die Römer zu einen und gleichzeitig ihre eigene Affäre geheimzuhalten.
Barbaren handelt also nicht nur vom Krieg, sondern auch von unterschiedlichen Strategien im Kampf um jugendliche Selbstbestimmung. Arminius versucht es mit List und Verhandlungsgeschick, Folkwin mit eher rustikalen Methoden. Im Stile eines liebenswerten Romcom-Randalierers aus den Filmen von Til Schweiger und Matthias Schweighöfer wütet er durch die Serie und erweist sich als sinnvolle Ergänzung zur ungleich smarteren Thusnelda. Der Aufstieg der Fürstentochter zur germanischen Führungskraft basiert auf einer genauen Beobachtung: Die anderen vom Stamm glauben eigentlich alles, was man ihnen erzählt, solange der Vortrag halbwegs überzeugend klingt.
Also inszeniert sich Thusnelda als Medium mit direktem Draht zu den Göttern – woraus Barbaren einen Mystery-Subplot konstruiert, der an die Machenschaften der Game-of-Thrones-Seherin Melisandre erinnert. Das Fantasy-Epos gehört neben der Serie Vikings zu den offensichtlichen Vorbildern von Barbaren. Auch im Teutoburger Wald rollen die Köpfe und klatschen die Peitschen, während jeder gegen jeden kämpft und gleichzeitig mit jedem ins Bett will. Als Unterhaltungsfernsehen geht das in Ordnung: Ist doch niedlich, wie sich die geschliffenen lateinischen Dialoge der Römer und der Seifenopernsprech der Germanen gegenüberstehen, während beinahe alle sogenannten Barbaren aussehen, als hätte Orlando Bloom gerade eine Schlammpackung aufgelegt.
Der Kurs der Geschichte ist jedoch nicht verhandelbar. Mit der letzten seiner sechs Folgen löst sich Barbaren vom amüsanten Kleinklein der Heldinnen und Antihelden, um die Varusschlacht in den Fokus zu rücken. Das Gemetzel auf Wald- und Wiesengrund ist eine Art antiker Vorläufer des deutschen WM-Sommermärchens: Schon 1922 wurde seine Geschichte als nationales Erbauungskino verfilmt, weitere Versionen folgten im Lauf des 20. Jahrhunderts. Die 2000-Jahr-Feier der Schlacht zog 2009 nicht nur diverse Festakte und Museumsschwerpunkte von Detmold bis Haltern am See nach sich. Rechtsextremistische Kreise nutzten das Jubiläum auch für Appelle an eine wie auch immer geartete Volksseele und zur Agitation gegen Zuwanderung.
Gerade vor diesem Hintergrund wäre es spannend gewesen, die Kämpfe im Teutoburger Wald einmal nicht als Heldenepos zu erzählen. Barbaren jedoch erliegt den Verführungen und Klischees des Schlachtenkinos. Zu orchestraler Hans-Zimmer-Musik (die in diesem Fall von Ali N. Askin und Maurus Ronner stammt) schwingt Arminius weitgehend inkohärente Pathosreden, die auf Disziplin und Zusammenhalt der Germanen pochen. Kunstblut spritzt und Körperteile fliegen in Zeitlupe durchs Bild, die Kamera versteift sich auf abenteuerlich geschminkte Krieger und ängstlich unter ihren Helmen hervorlugende Römer. Immerhin sind die Lichtverhältnisse besser als in der Schlacht um Winterfell aus der letzten Game-of-Thrones-Staffel.
Was also bleibt von der ersten deutschen Historienproduktion auf Netflix? Viel verbrannte Erde und eine alte Erkenntnis: Es war schon schwierig mit den Deutschen, als sie noch gar nicht so hießen.
Kommentare 3
"Jeder kämpft gegen jeden und will gleichzeitig mit jedem ins Bett." - Mit diesem Resümee könnte man so ziemlich viele Serien der letzten 10 Jahre bedenken. Da fällt mir die Abwandelung eines bekannten Spruchs ein: Sex ist die Fortsetzung der Gewalt mit anderen Mitteln. Dahinter stecken kulturelle Klischees und ein Menschenbild, über das eigentlich geredet werden müsste. Aber, ach, das lohnt hier nicht...
Diese Rezension ist jedenfalls sehr treffend! Besonders freut mich der geäußerte Bezug zum "Sommermärchen". Als es Pegida und AfD und die ganze Scheiße noch nicht gab, wurde jede(r), die/der damals das Wort "Pop-Nationalismus" in den Mund nahm als ganz, ganz uncoole(r) Miesepeter/-petra bezeichnet. Aber sowas kommt vor sowas und manchmal läuft auch alles parallel. Brauchbar ist er immer, der Pop-Patriotismus.
Schön auch die sarkastischen Anmerkungen zum Styling. Ich sah gestern einen tätowierten Typen mit Glatze und schönem, vollen, rötlichen Kinnbart in einem Auto aus Pirna mit nem riesengroßem "Freiwild"-Logo auf der Heckscheibe sitzen. Das war ein Statist aus "Barbaren". Nee, Scherz, aber er sah so aus. :-)
Was mich an der Serie noch sehr belustigt hat: Deutsche Nachwuchsschauspieler nuscheln alle wie der erwähnte Til Schweiger, der sein handwerkliches Können also erfolgreich weitergeben konnte. Man kann es überall anwenden, egal ob die Filme in Berliner Tekkno-Bunkern oder im Teutoburger Wald vor 2000 Jahren handeln.
Und nun ist schon eine zweite Staffel angekündigt. Dabei ist doch der national-epische Stoff schon verballert. Dann bleibt nur noch die totale GoT-Kopie. Vielleicht lässt sich ja ein bisschen Nibelungen-Motivik 400 Jahre vorverlegen.
Hab gestern mal in den Film reingeschaut. Ist schon etwas deutschtümmelig angehaucht. Dabei gäbe es genug Drehmaterial um die Sachsenkriege Karls des Großen. Oder die Kriege gegen die Alemannen die mit der Enthauptung von 2000 unbewaffneten Häuptlingen in Cannstatt, endeten. Im Namen Jesus Christus. Der 30igjährige Krieg mit dem brutalsten Gemetzel unter der Sonne Europas überhaupt. Im Namen des alltmächtigen Gottes, äh, dem Papst, mein ich. Alles mitteleuropäische Kernkompetenz von Aggression und Gewalt um die deutsche Seele (Hörigkeit, Unterwürfigkeit) etwas besser zu verstehen.
Im Guten wie im Schechten eine »typisch deutsche« Serie. In Sachen Ästhetik/Setting ließen die Macher nichts anbrennen. Der Duktus der Story folgt den pädagogisch angestrichenen Sinngebungspfaden, wie man sie auch von Degeto & Co. kennt: Gute und Böse so verteilt, wie sie ins Gusto hineinpassen, darüber dann die obligatorische Dosierung Pathos – wobei die dramatische Musik auch hier die grenzdebilen Dialoge vergessen zu machen versucht (immerhin ein Anzeichen, dass die Macher derartigen Historienkitschs sich zumindest ein bißchen für ihr Treiben schämen).
Entsprechend stimmen die Vergleiche mit GoT und »Vikings« auch nur in stark bedingter Form. »Vikings« thematisiert – zugegeben: dramatisch zugespitzt – die Lebensweise frühmittelalterlicher Beute-und-Raubzug-Gesellschaften, wie es sie zu der Zeit in Skandinavien tatsächlich gegeben hat. »Barbaren« hingegen idealisiert die behandelten Germanenstämme fast bis zur Unkenntlichkeit – zugunsten eines politischen Plots, der so gut in den Geschichtsunterricht der Kaiserreichs-Ära (oder auch etwas später) gepasst hätte. Dass man heute beim Sex nicht mehr prüde sein will, ist richtig. Allerdings: Auch auf der Ebene ist der Vergleich mit dem WM-»Sommermärchen« durchaus zutreffend.
Fairerweise sollte allerdings hinzugefügt werden, dass auch anderenorts Sandalenstoffe verhauen werden. Beispiel: »The Last Kingdom« – eine Serie, deren positive Aufnahme in meinen Augen schlicht unerklärlich ist. Auch wenn sie weniger auf das Lindern nationalistischer Phantomschmerzen abgestellt ist als vielmehr die Leitlinie »Hauen & Stechen sells«.