Sommertheater für die besseren Kreise

Kulturkommentar Dieter Wedel inszeniert „Jud Süß“ bei den Nibelungenfestspielen Worms. Was dabei herausgekommen ist? Ein Wedel eben

Die Nibelungenfestspiele in Worms, das sind derzeit in der Hauptsache ein roter Teppich, über den allerlei Prominenz stolziert, ein lauschiger Garten, in dem man sich ausgiebig Prosecco einflößt, und Doktor Dieter Wedels Freilufttheater, das sich mit deutscher Geschichte befasst. Dass der Fernsehmann Dieter Wedel sich das heikle Jud Süß-Thema einverleiben würde, war von vornherein keine besonders gute Nachricht. Immerhin hatte er den israelischen Dramatiker Joshua Sobol (Ghetto) mit einer neuen Variante des Stoffs beauftragt, den bisher Wilhelm Hauff (teilweise mit bösen antisemitischen Klischees) und, aus anderer Perspektive, Paul Kornfeld und Lion Feuchtwanger bearbeitet hatten. Sobol sah den 1738 unschuldig hingerichteten Süß, Finanzrat am Hof des württembergischen Herzogs Carl Alexander, als Avantgarde eines aufgeklärten Judentums, areligiös, liberal, sexuell freizügig. Vor allem aber wollte Sobol die ambivalente Figur des „Finanzjuden“ nur als Ausgangspunkt für ein Drama nehmen, das sich mit der heutigen Rolle des Judentums auseinandersetzt – so hieß es in den Interviews.

Daraus ist nicht viel geworden. Im Programmheft firmiert, neben Sobol, nun auch Dieter Wedel als Autor, die Handlung ist ganz im historischen Kontext belassen, und so wird auch gespielt: mit Pathos und Perücke. Man erzählt aus dem Leben eines Parvenüs; Süß soll nicht nur als Opfer gezeigt werden, sondern als einer, der Luxus, Geschmeide und die Frauen liebt. Unser freundlicher Anlagenberater von nebenan.

Unter einer Decke

Worms hat da gewisse Traditionen: Hier gab es einst eine große jüdische Gemeinde, und auf dem Weg zum Dom kommt man unweigerlich am alten Judenfriedhof vorbei – die frühesten Gräber datieren aus dem 11. Jahr­hundert. In Worms veranstalteten die Kreuzfahrer des ersten Kreuzzugs 1096 allerdings auch ein wüstes Pogrom unter den einheimischen Juden, mit Plünderungen und Zwangstaufen, mit Mord und Totschlag an den „Ungläubigen“ und „Christusmördern“.

Ein wenig Dezenz und Zurückhaltung wären also angebracht gewesen, wenn man an diesem Ort Jud Süß auf die Bühne bringt. Aber die Nibelungenfestspiele haben ganz andere Sorgen: Sie wollen sich als eine Art Mini-Bayreuth im deutschen Festspielkalender „posi­tionieren“, zwar ohne Musik, aber mit vielen Stars. Intendant Wedel hat groß aufgefahren: Rufus Beck, als Sprecher der Harry-Potter-Hörbücher eine Marke, spielt den Süß Oppenheimer immerhin als alertes, ambivalentes Finanzgenie, das sehr hoch pokert und in seinen persönlichen Beziehungen, auch zum Herzog Karl Alexander, stets inneren Abstand wahrt. Der Tatort-Schauspieler Jürgen Tarrach dagegen macht aus dem Herzog einen schmierigen Lebemann, der nur Prunk und Trunk im Kopf hat und, wenn er sonst nicht zum Ziel kommt, auch mal die Tochter seines Ministers vergewaltigt.

Kann man, darf man mit so einem unter einer Decke stecken? Die komplizierte Beziehung der beiden Protagonisten – Süß und Herzog Karl Alexander – kommt indes kaum ins Blickfeld; stattdessen bietet Regisseur Wedel schöne Frauen und Fanfaren, höfische Rituale und eine ausladende Barockbühne vor dem Westchor des Kaiserdoms. Er macht eben nur Sommertheater für die besseren Kreise, mehr nicht.


Christian Gampert ist freier Theaterkritiker für den Deutschlandfunk

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