Songs über Liebe und Krieg

Lauschangriff Resignation mit Rückgrat: „Zwischen den Runden“ von Kettcar findet neue Blickwinkel auf Alltägliches, ohne dabei in den Kitsch zu kippen

Ein Boxer, der zwischen den Runden die Halle verlässt, weil er der Schläge müde ist, hat verloren, aber Charakter. Zwischen den Runden heißt das neue Album von Kettcar. Einige Lieder erzählen von diesem aufrechten Gang trotz Aufgabe, vom Verlieren mit Würde. Andere von Liebe, vom Neuanfang, vom Ende. Kettcar klärt allerdings gleich mit dem Opener, dass Befindlichkeitsallergiker nicht reflexartig zurückschrecken müssen.

Klischeefreier als im Liebeslied Rettung (demnach man sich von Schmetterlingen im Bauch auch mal übergeben muss) geht es kaum. Nach durchzechter Nacht wird die sabbernde Freundin mit Schüssel am Bett und Fenster auf Kipp verarztet. „Liebe ist das, was man tut“, also das Bad wischen und der leidenden Liebe die Kotzbrocken aus dem Haar pulen.

Auch Weil ich es niemals so oft sagen werde ist ein Lied über die Liebe, die kaum mehr aufrichtig verbalisiert werden kann, weil sie zu oft inszeniert wurde, „weil man sich ständig selber fragt, ob ein Lügner jetzt dasselbe sagt“ und man in vermeintlich perfekten Momenten die Regieanweisung aus dem Off erwartet. „Und denk an die Pause bei ‚Ich liebe’ und ‚dich’. Von vorn und mehr Licht auf die Beiden. Und bitte, wo bleiben die Geigen?“

Sprache der Krise

Kettcar findet neue Blickwinkel für Liebeslieder, die man in allen Facetten zu kennen meint. Und sogar die Geigen kommen, sie bleiben selten aus auf dieser Platte. Die Band hat zum letzten Album Sylt Konzerte mit Orchester gespielt. Auf Zwischen den Runden sind nun neben der viel stärkeren Präsenz des Keyboards Streicher und Bläser zu hören – und obwohl der Grat schmal ist, kippt Kettcar nur selten zum Kitsch.

Zwischen den Runden ist das vierte Album der Hamburger Band und zugleich das erste, bei dem nicht nur Sänger Marcus Wiebusch Texte geschrieben hat. Fünf der zwölf Lieder sind vom Bassisten Reimer Bustorff. Für das homogene, künstlerische Profil der Band spricht, dass man dennoch in die Credits schauen muss, um die Titel zuzuordnen.

Durch das Album zieht sich die Sprache der Krise, der Melancholie, in der die Sonne nur am Glücksspielautomaten scheint. Die Sprache lebt von Kampf und Krieg. Vom Marine wird gesungen, der niemanden zurücklässt (Rettung), „Wenn das der Frieden ist, musst du den Krieg nicht noch erfinden“ (R.I.P.), hinter Paaren wird geschossen (In deinen Armen), Schlachtfelder, Trümmerhaufen, Verletzungen (Der apokalyptische Reiter).

Alles muss verwertet werden

Das tanzbarste Kampflied der angezählten „trostlosen Helden“ ist Im Club. „Wir sind unten am Strand, eine ganze Armee, nur falls man uns sucht“ formuliert dabei weniger die Hoffnung, dass man vermisst werde. Vielmehr dient es „stolzen Versagern“ als Wegweiser dorthin, wo sich ihresgleichen sammelt, weil niemand allein sein muss. „Der Eintritt ist frei, aber nicht umsonst.“ Im Club klingt nach Resignation – mit Rückgrat. Wie der Boxer, der entscheidet, sich von einem stärkeren Kontrahenten nicht länger vermöbeln zu lassen.

Der verspielteste Song Schrilles, buntes Hamburg prangert Champagner-Vernissagen bei brennenden Barrikaden und somit die Gentrifizierung an. Im Refrain lässt Wiebusch kurz seine „Rap-Skills“ durchblitzen. „Es muss immer alles komplett verwertet werden, wenn es komplett verwertet werden kann.“ Das beste Lied des Albums ist Erkenschwick. Text und Gitarre erinnern an Element of Crime und deren Zeile „Ich warte am Bahndamm zwischen den Gleisen“ (Du hast die Wahl). Mehr Lob geht nicht im deutschen Erwachsenenpop.

Zwischen den Runden, Kettcar, Grand Hotel van Cleef/Indigo

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