Eines Abends im Oktober 2006 war ich bei einer Kollegin zu Besuch und lernte dort einen Freund ihrer Tochter kennen. Der junge Mann im Teenageralter war intellektuell aufgeschlossen und ganz offensichtlich ein schlaues Kerlchen – aber unumstößlich loyal dem christlichen Glauben seiner Eltern verbunden, die der Erweckungsbewegung angehörten. Wir verbrachten den Abend damit, mit dem Jungen zu diskutieren, doch Appelle an seinen logischen Verstand blieben fruchtlos. Der Verzweiflung nahe fragten wir uns, ob es nicht einen atheistischen Grundsatztext gebe, auf den wir ihn verweisen könnten. Es kam uns aber keiner in den Sinn.
Doch, wie heißt es so schön: Bitte, und dir wird gegeben werden. Kaum einen Monat später veröffentlichte Richard Dawkins sein Buch "Der Gotteswahn". Das flammende Manifest des Säkularismus verkaufte sich 1,5 Millionen mal und war damit sogar im Vergleich zum Dawkin-Bestseller "Das egoistische Gen" von 1976 ein spektakulärer Erfolg.
"Es gibt keinen Gott. Genießen Sie Ihr Leben."
Im vergangenen Oktober trat Dawkins von der "Charles Simonyi Proffessorship for Public Understanding of Science" zurück, die er zwölf Jahre lang an der Universität von Oxford innegehabt hatte. Man sollte vermuten, er habe Grund zu der Annahme, die Sache des wissenschaftlichen Säkularismus, der er seine Karriere gewidmet hat, sei auf der Gewinnerspur. Immerhin sorgt in Großbritannien zurzeit eine atheistische Anzeigenkampagne für Aufsehen, in Rahmen derer Aktivisten 800 Busse mit der Aufschrift „Es gibt wahrscheinlich keinen Gott. Also sorgen sie sich nicht und genießen Sie ihr Leben“ auf die Straßen der Insel geschickt haben.
Angestoßen wurde die Kampagne von der Comedy-Autorin Ariane Sherine, die in einem Blog auf der Internetseite des britischen Guardian zu Spenden für das Vorhaben aufrief. Dawkins unterstützte das Vorhaben und versprach, selbst noch einmal ebensoviel beizusteuern wie der Spendenaufruf einbringen würde, höchstens jedoch 5.000 Pfund. Bis Anfang Januar kamen nun mehr als 96.000 Pfund zusammen.
Die Schlacht zwischen Religiösen und Atheisten ist noch nicht entschieden
Zugleich prophezeite der britische Einwanderungsminister Phil Woolas, innerhalb der nächsten fünfzig Jahre würden Bischöfe per Verfassungsreform aus dem House of Lords, dem britischen Oberhaus, verbannt werden. Außerdem erreichte die Zahl neuer Mathematik– und Naturwissenschaftsstudenten Rekordhöhe. Und selbst in Amerika schien die religiöse Rechte mit dem Abstieg Bushs an Rückhalt zu verlieren.
Doch die Frage, ob er glaube, dass das allgemeine Verständnis der Naturwissenschaften in den Jahren seiner Karriere Fortschritte gemacht habe, quittiert der inzwischen 67-jährige mit einen zweifelnden Blick: „Ich würde sagen, dass zu Anfang meiner Karriere wahrscheinlich genauso viel Ignoranz herrschte, die Gegenseite allerdings weniger aktiv war. Würde man einmal durch die Schulen und Universitäten reisen und den Vorlesungen zur Evolution lauschen, würde man wohl einer erheblichen Zahl junger Menschen begegnen, die der Meinung sind etwas abzulehnen, ohne wirklich zu wissen, was sie da eigentlich ablehnen.“
Führt er dies auf das niedrige Niveau der Bildung auf naturwissenschaftlichen Gebieten zurück oder auf einen Aufstieg des religiösen Fundamentalismus? Die Antwort kommt ohne Zögern: „Ich denke es liegt am gestiegenen religiösen Einfluss.“
Kritiker werfen Dawkins vor, den Kreationisten in die Hände zu spielen
Dawkins Ansicht nach ist in Großbritannien eine Schlacht zwischen den Kräften der Vernunft und denen des religiösen Fundamentalismus im Gange, die längst noch nicht entschieden ist. Er selbst ist einer der berühmtesten und engagiertesten Kämpfer – gehört er aber auch zu denen mit der größten Wirkung? Ausdrücklicher Anspruch von "Der Gotteswahn" war, den Leser zum Atheismus zu bekehren, doch selbst der Autor gibt zu, dass das Werk als missionarisches Instrument im Großen und Ganzen gescheitert ist. „Ich nehme an, es war ein wenig unrealistisch“, räumt Dawkins lächelnd ein: „Lohnenswert, aber unrealistisch.“
Tatsächlich wird er nun von manchen Zeitgenossen als „der größte Rekruteur des Kreationismus“ im Vereinigten Königreich bezeichnet. Kritiker werfen ihm vor, nicht nachempfinden zu können, warum Menschen sich dem Glauben zuwenden. Seine intellektuelle Intoleranz befremde die Menschen. Auch wurde gefragt, ob es klug von Dawkins gewesen sei, den Komiker Peter Kay anzufeinden, der gesagt hatte, er finde Geborgenheit im Glauben. „Wie kann man jemanden ernst nehmen,“ hatte Dawkins gewettert, „der an etwas glaubt, weil es ihm „Geborgenheit“ verschafft?“
Als Sherine wegen der Finanzierung des „Atheisten-Busses“, wie die Aktivisten ihn nennen, auf den Wissenschaftler zukam, zog er den Wortlaut „Es gibt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keinen Gott“ für die Kampagne vor. Da es aber Befürchtungen gab, dies würde lediglich die Gläubigen erbosen und potentielle Sympathisanten der agnostischen Sache verprellen, einigte man sich schließlich auf „wahrscheinlich“.
Feingefühl und Versöhnlichkeit
„Ich weiß, ich weiß. Man hält mich für einen harschen Zeterer,“ sagt Dawkins und liefert sogleich eine überzeugende Theorie dazu, woher diese Wahrnehmung rühren könnte: „Wir sind alle mit der Ansicht groß geworden, die Religion besitze eine Art privilegierten Status und man dürfe sie nicht kritisieren. Somit klingt jede Kritik harsch, sei sie auch noch so milde, da sie gegen die Annahme verstößt, die Religion sei unantastbar.“
Warum bemüht er sich dann nicht schon allein aus strategischen Gründen etwas „versöhnlicher zu sein?,“ fällt er mir ins Wort,
um dann zu erläutern: „Nun, dieser Einwand gibt mir schon zu denken. Ich werde ja auch ständig damit konfrontiert. Es ist im übrigen die weitaus intelligenteste Form der Kritik, die mir entgegengebracht wird. Es gibt wohl zwei verschiedene Wege vorzugehen und ich freue mich enorm darüber, dass es Leute gibt, die den anderen wählen. Dan Dennetts 'Breaking the Spell' versucht es zumindest, versucht, die Leute zu verführen – ist das der Begriff? Nicht ganz. Den Leser zum Weiterlesen zu verführen. Ich kann das auch. Ich weiß, wie das geht.“ Nach einer Pause fügt er hinzu: „Aber anscheinend habe ich keine Geduld mehr.“
Während unseres Gesprächs zeigt Dawkins sich allerdings sehr bemüht, geduldig zu sein. Obwohl er es als „eindeutig bösartig“ bezeichnet, ein Kind katholischer Eltern ein „katholisches Kind“ zu nennen, fügt er schnell hinzu: „Es ist freilich ebenso bösartig, atheistisches Kind zu sagen. Ich würde das nie machen. – Gewiss, gibt es Leute, die der Ansicht sind, dass jedes Kind zunächst einmal ein atheistisches Kind ist, weil Babys an nichts glauben. Aber ich glaube nicht, dass das die feinfühligste Art ist, die Sache zu beschreiben.“
An die angeborene Intelligenz der Menschen appellieren
Fürchtet er, dass das Niveau der Studenten sinken werde, wenn der Zugang zu den Universitäten Großbritanniens erleichtert wird? „Ich muss höllisch aufpassen, jetzt nicht wie ein alter Kauz zu klingen. Als ich in den 60er Jahren begann, Kurse zu halten, machte mir die Arbeit mit enthusiastischen, motivierten und interessierten Studenten eine Riesenfreude. In den Kursen fand ein echter Gedankenaustausch statt, es gab richtig gute Diskussionen. Mit der Zeit scheint mir der Unterricht immer weniger Freude zu machen, aber ich möchte das nicht auf die Studenten schieben, vielleicht stumpfe ich einfach ab.“
Wie die meisten Rationalisten neigt Dawkins dazu, an die angeborene Intelligenz der Menschen zu appellieren und ihre geistigen Fehlleistungen eher auf Unwissenheit als auf Dummheit zurückzuführen. „Aber ich habe keine Beweise“, gibt er zu. „Vielleicht liege ich falsch. Es ist eine Art Ideal.“ Vielleicht sind die Menschen einfach nur dumm? „Ja, vielleicht sind sie das“, stimmt er mir vorsichtig zu. „Aber zumindest schütze ich mich vor dem Vorwurf, arrogant zu sein, indem ich sage, dass Unwissenheit kein Verbrechen ist. Wenn man den Leuten sagt, sie seien dumm, gewinnt man damit keine Freunde und kann keinen Einfluss auf sie nehmen.“
Religion ist eine Droge
Auf die Frage, ob er niemals Menschen beneide, die an Gott glauben, wo der Glaube doch so vielen Leuten Geborgenheit gebe, schüttelt er entschlossen den Kopf: „Wissen Sie, ich glaube, dass es für jeden Menschen, der sich geborgen fühlt, einen gibt, der zutiefst verängstigt ist. Wenn ich darauf neidisch wäre, müsste ich auch auf Leute neidisch sein, die auf einer Droge sind, die ihnen ein gutes Gefühl verschafft. Im selben Maße, wie die Religion Geborgenheit schafft, schafft sie eben auch das Gegenteil.“
Dawkins witzelt gerne, alte Menschen gingen in die Kirche, um sich „auf die letzte Prüfung vorzubereiten“. Er selbst macht sich keine Sorgen, dass er im Alter einmal aufwachen und sich zur Religion hingezogen fühlen könnte. Wenn doch, würde er es auf Altersdemenz zurückführen. Wirkliche Sorgen scheint ihm allerdings der Gedanke an falsche Berichte einer angeblichen Konversion auf dem Totenbett zu machen, die seine Feinde nach seinem Tod in die Welt setzen könnten.
So ist es wohl auch kein Witz, wenn er zum Schluss ankündigt: „Ich werde verdammt noch mal sicherstellen, dass bei meinen letzten Worten ein Aufnahmegerät mitläuft.“
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