Sozialdemokratische Mediengeschichte

Ausstellung Die Arbeiter-Zeitung war einst der Stolz der SPÖ. Heute ist sie der Stolz einer kleinen, aber feinen Ausstellung

Der Niedergang der Sozialdemokratie setzte nicht erst mit der Agenda 2010 und mit Hartz IV ein. Er begann, als die sozialdemokratischen Parteien auf eine eigene Tageszeitung verzichteten und die Herstellung von Öffentlichkeit kampflos der Bourgeoisie überließen. Der Vorwärts hat sich als Tageszeitung nicht mehr vom Nationalsozialismus erholt, regionale Tageszeitungen der SPD haben ihn nicht lange überlebt. Und die traditionsreiche Arbeiter-Zeitung wurde 1988 zunächst verkauft und drei Jahre später eingestellt. Ihre Redakteure, einst wegen ihrer Gesinnung engagiert und auf Einhaltung der Parteilinie bedacht, schützten die Tendenz vor dem Verkauf und danach; nach der Einstellung auch in Medien, die alles Mögliche sind, nur nicht sozialdemokratisch.

Die Arbeiter-Zeitung war einst der Stolz der SPÖ. Sie gehört heute zur Folklore wie der Konsumverein oder das Rote Wien, das, wenn sich das schlimmste Szenario realisiert, demnächst vom FPÖ-Chef Strache regiert wird. Und wenn Objekte, die einmal nicht nur die aktuelle Gegenwart reflektieren, sondern auch mitgestaltet haben, nur noch schlecht gehütete Erinnerung sind, landen sie im Museum. Eine kleine Ausstellung im Museum Arbeitswelt der oberösterreichischen Automobilstadt Steyr, die der gängigen Vorstellung widerspricht, eine Industriestadt müsse hässlich sein, ist dem Feuilleton der Arbeiter-Zeitung gewidmet. Sie besteht im ­Wesentlichen aus Faksimiles einzelner ­Zeitungsseiten, aus Fotos und aus Kommentaren zu den Sparten und zu herausragenden Persönlichkeiten des Kulturteils und somit der sozialdemokratischen Mediengeschichte.

Gegenstrebige Biographien

Kennzeichnend für das Feuilleton der AZ, die Romane von Joseph Roth. Upton Sinclair oder Alexej Tolstoj abdruckte, ist die Gratwanderung zwischen einem bürgerlichen Kulturbegriff und dem Anspruch, auch für jene verständlich zu bleiben, die an diese Kultur erst herangeführt werden sollen. Neben einer bemerkenswerten Aufgeschlossenheit für die Moderne entdeckt man eine kleinbürgerliche Spießigkeit und eine moralisierende Bigotterie. Zu den profiliertesten Kämpfern für eine Verknüpfung von politischer und ästhetischer Avantgarde gehörte Ernst Fischer, der später Kommunist wurde.

Ein Exponat ist, als Diaschau präsentiert, eine Box mit Widmungen, die der von 1917 bis 1933 amtierende Feuilletonchef David Josef Bach 1924 zu seinem 50. Geburtstag erhielt und die er mitnahm, als er emigrieren musste. Sie belegt die wechselvolle Geschichte des 20. Jahrhunderts. Da finden sich nämlich neben Künstlern, die wie Bach ins Exil gejagt wurden, auch solche, die sich mit den Nazis arrangiert haben wie Franz Schmidt, der 1939, in dem Jahr, in dem Bach seine Heimat verlassen musste, eine Hitlerkantate komponiert hat, oder Josef Weinheber, der schon 1931 und später, wie Herbert von Karajan, ein zweites Mal der NSDAP beitrat.

Ein Wiedererkennungseffekt stellt sich ein: Nicht jeder, der sich in besseren Zeiten an die Sozialdemokratie anbiedert, ist in seinem Herzen fortschrittlich und vor dem Gang ganz nach rechts gefeit. Kann man den Wählern, die scharenweise von der SPÖ zur FPÖ und von Klima, Gusenbauer und Genossen zu Jörg Haider übergelaufen sind, vorwerfen, was man Franz Schmidt und Josef Weinheber verzeiht?


Schreiben für den Fortschritt Die Feuilletons der Arbeiterzeitung Museum für Arbeitswelt, Steyr. Bis zum 17. Dezember

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