Spar-Analysen

Sandmann wischte sich ungläubig die Augen. Als stellvertretender Leiter des Referates Kommunalbauvorhaben im Bauamt des Landkreises hatte er soeben ...

Sandmann wischte sich ungläubig die Augen. Als stellvertretender Leiter des Referates Kommunalbauvorhaben im Bauamt des Landkreises hatte er soeben erfahren, dass auch im nächsten Quartal kein Neubau möglich sei. Die Mittel erlaubten es nicht! Wie jeder Beamte, der dem Staat seine unerschöpfliche Arbeitskraft mit Leidenschaft Tag für Tag in voller Vielfalt zur Verfügung stellen möchte, machte sich Sandmann Gedanken. Mit 39 Jahren konnte das nicht die Erfüllung seines Lebens sein, zumal er auf jeden Fall in zwölf Jahren Leiter der Abteilung werden wollte, schon der späteren Rente wegen.

Doch dann geschah dies: Im Bericht des Rechnungshofes wurde die Frage gestellt, weshalb man für die wenigen Reparaturen, die der Kreisetat noch hergab, sieben Mitarbeiter benötige, dazu gleich zwei leitende. Sandmann fand dies äußerst ungerecht. Es zeigte wieder einmal, wie wenig Einblick so ein Rechnungshof in die aufopferungsvolle Arbeit der Mitarbeiter eines so wichtigen Referates hatte. Erstens brauchte man einen Chef, dazu natürlich einen Stellvertreter, wenn der Chef in Urlaub weilt, seine Kur nimmt, aus dienstlichen Gründen auf Reisen oder Parteitage geht oder wegen der vielen Dienstbesprechungen nicht anwesend sein kann. Dann brauchte man natürlich drei Sachbearbeiter für die einzelnen Bereiche: Große, mittlere und kleine Bauvorhaben. Wie hätte man sonst die drei Gebiete gerecht aufteilen sollen? Und Gerechtigkeit war dem Personalrat heilig. Mitarbeiter Nummer 6 war ein Bauingenieur, also völlig unersetzlich. Und die siebte Mitarbeiterin wurde natürlich für Schreibarbeiten und Hilfsdienste benötigt. Daran gab es nun wirklich nichts zu rütteln.

Durch Presseberichte und Leserbriefe in Zeitungen wurde die Diskussion darüber so aufgeheizt, dass der Kreis zwangsläufig beschloss, eine Prüfungskommission einzusetzen, die klären sollte, wie viele Mitarbeiter das Referat Kommunalbauvorhaben haben dürfe, wenn es, wie auch für die folgenden Monate befürchtet, gar keine Bauvorhaben mehr gebe. Um Kosten zu sparen, wurde Sandmann zum Leiter des Gutachterausschusses der "Prüfungskommission zur Klärung der Personalfrage im Referat Kommunalbauvorhaben" ernannt. Eine vernünftige Entscheidung, wie jeder einsehen wird, denn wer sollte mehr über die Aufgaben des Referates wissen als sein stellvertretender Leiter?

Wie sich herausstellte, entsprach Sandmanns neue Aufgabe nach den kommunalen Vorschriften jedoch dem eines Referatsleiters, weshalb er nicht nur Anspruch auf eine Beförderung, sondern auch auf ein eigenes Dienstzimmer besaß. Es versteht sich von selbst, dass der Leiter eines Gutachterausschusses seine scharfsinnigen und groß angelegten Analysen diktiert und nicht selbst schreibt. Also war eine Sekretärin erforderlich, die man natürlich nicht einfach aus dem Referat Kommunalbauvorhaben herausnehmen konnte. Die verbleibenden fünf Mitarbeiter hätten ihre geistigen Kapazitäten sonst nicht mehr so effizient einsetzen können. Wer wollte das verantworten?

Weil kein Dienstzimmer zu finden war und auch für die Sekretärin ein Raum gebraucht wurde, entschloss sich der Kreis zu einem bescheidenen Anbau. Dies wiederum rief alle Mitarbeiter des Referates Kommunalbauvorhaben auf den Plan, die nun so beschäftigt waren, dass Sandmann in seiner 70-seitigen "Berichte-Zusammenfassung" der Nachweis nicht schwer fiel, das Referat würde eigentlich neun Mitarbeiter benötigen. Die Prüfungskommission ergab sich ermattet.

Sandmann wartet nun auf den Anbau. Er hofft, schon bald wieder befördert zu werden. Weil im Kreis kaum noch gebaut wird, will man prüfen, ob das Baureferat wirklich 39 Mitarbeiter braucht. Man sucht den Leiter eines neuen, viel größeren Gutachterausschusses.

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