Späte Korrektur

Einflussangst Christa Wolf hat den Uwe Johnson-Preis bekommen. Bisher hat sie zum Namensgeber geschwiegen, nun wird sie sich zu ihm äußern müssen

Eigentlich hätte der Johnson-Preis an Judith Zanders Roman Dinge, die wir heute sagten gehen müssen. Nicht nur, dass die junge Autorin in Anklam geboren und dort in derselben Siedlung aufgewachsen ist wie 70 Jahre vor ihr Uwe Johnson. Sie hat auch ihren Roman in dieser trostlosen Landschaft angesiedelt und fragt genau wie ihr literarisches Vorbild mit einer Vielzahl von Erzählerstimmen nach den Verwerfungen des letzten Jahrhunderts. Die Jury hat aber anders entschieden und den Neubrandenburger Literaturpreis in diesem Jahr an Christa Wolf verliehen. Die hat sich offensichtlich gefreut und in ihrem traditionellen mecklenburgischen Sommerdomizil Woserin bestätigt, dass sie und Johnson einst beide in Leipzig bei Hans Mayer studiert hätten, wenn auch nicht zur selben Zeit. Natürlich hat Christa Wolf „später“ Johnsons Bücher gelesen, aber es irritiert doch ein wenig, dass sie im Gespräch hinzufügt, „allerdings nicht so früh, wie man mir unterstellt“.

Solch seltsames Interesse an dem Zeitpunkt ihrer Johnson-Lektüre erklärt sich vielleicht, wenn man liest, dass Mayer 1977 im Spiegel „eine sonderbare Fixierung der Erzählerin Christa Wolf an ihren ehemaligen Leipziger Studienkollegen Johnson“ feststellt. Wolf wird das nicht gefallen haben, vor allem weil Mayers These keine Ausnahme ist, und sie hat sich auch nach Johnsons Tod 1984 schwer getan mit öffentlichen Erklärungen zum Schriftstellerkollegen. Der in Kapstadt lebende Germanist Uwe Neumann, dem sie vor zehn Jahren eine in der Anthologie Johnson-Jahre nachzulesende Absage erteilt hat, hat später sogar von einem „Fall Christa Wolf“ und einer Art „Johnson-Komplex“ bei der Autorin gesprochen. Dazu muss eine Autorin vom Range der Wolf sich nicht äußern, aber sie hat noch 2005 in einem Brief an eine Literaturwissenschaftlerin, die gerade ihre 700 Seiten dicke Doktorarbeit über Wolf und Johnson veröffentlicht hatte, geschrieben, dass sie sich mit ihren Texten nicht auf Johnsons Werk beziehe.

Das ist schade – denn es stimmt zum Glück nicht. Ihr preisgekröntes Buch, Stadt der Engel oder The Overcoat of Dr. Freud, steckt so voller Anspielungen auf Johnsons Mecklenburg- und New-York-Saga Jahrestage, dass man zukünftig von Wolfs ganz eigenen „Jahrestagen“ aus L.A. wird sprechen können. Johnson hat mit seinem Jahrhundertroman Weltliteratur geschaffen, und es ehrt eine bedeutende Autorin wie Christa Wolf, dass sie sich mit ihrem Amerikaroman an dem Jüngeren orientiert. Wir dürfen hoffen, in ihrer Preisrede am 24. September in Neubrandenburg mehr darüber zu erfahren.

Rainer Paasch-Beek ist Literaturwissenschaftler und -kritiker, er lebt als Gymnasiallehrer in Kiel

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden