Die Zeiten, als man HipHop noch für eine pophistorische Fußnote halten konnte, sind gründlich vorbei. In den gut 25 Jahren seines offiziellen Bestehens wurde aus dem Partyspiel in den Parks und Clubs der New Yorker Bronx die nicht nur einflussreichste, sondern auch weltweit finanzträchtigste Spielart populärer Musik. Dabei zeigen sich die Hiphopper meist als ebenso leidenschaftliche Marktstrategen wie Künstler. HipHop and you don´t stop, wie die old schooler prophezeiten.
Obwohl HipHop - sei es in der Zitatlust der Samples oder der virtuosen Plünderung der popkulturellen Images in den Texten und Videos - die Ankunft der Popmusik in der Postmoderne markiert, verlängert er gleichzeitig die Tradition der Moderne, deren Soundtrack - beeinflusst von J
rack - beeinflusst von Jazz, Blues oder Soul - im Wesentlichen von Afroamerika inspiriert war.Während jedoch die früheren Epochen von deren Aneignung durch die herrschenden angloamerikanischen Szenen gekennzeichnet war, erscheint HipHop als Genre, dessen Erfolg nicht daran geknüpft wurde, die Urheber zu enteignen. Während zwar einerseits die Inner Cities der USA in den letzten 30 Jahren zunehmend ihrem Elend überlassen wurden, sorgte die HipHop-Ökonomie nicht nur für den Aufstieg einiger schwarzer Künstler und Unternehmen, sondern explizierte den stilistischen Einfluss Afroamerikas auf die populäre Kultur der USA und machte das Ghetto diskursfähig. "Die äußere Erscheinung unserer Nation" schreibt Nelson George, "Kleidung, Sprache, Unterhaltungsindustrie, Sexualität und unsere Vorbilder - hat sich durch HipHop verändert." Rapper gründen Platten- und Modelabels, gehen nach Hollywood, sponsorn Streetballteams und engagieren sich sozial und politisch.HipHop ist trotzdem noch immer das wohl umstrittenste popmusikalische Genre, dem zwischen künstlerischer Redundanz über Sexismus, Bigotterie und ethnischen Separatismus bis zur konsumfetischistischen Affirmation der Warenwelt und der Ausbeutung des Ghettos nahezu alles vorgeworfen wird, was, etwas dezenter formuliert, den amerikanischen way of life eben so prägt.Eine ständig wachsende Zahl von Veröffentlichungen beschäftigt sich daher mittlerweile aus kulturwissenschaftlicher Perspektive mit der Bewegung zwischen subkultureller Abgrenzung, afroamerikanischer Einmischung und globaler Aneignung. Nicht zuletzt durch die Unterschiede auf dem Markt der Kulturen und dem der cultural studies, bieten sich die teilweise brillanten akademischen Studien von Tricia Roses grundlegender Arbeit Black Noise zu jüngeren Veröffentlichungen etwa Mark Anthony Neals, Todd Boyds oder Bakhari Kitwanas für die deutsche Veröffentlichung wohl weniger an. Die relativ populären, gleichwohl fundierten und klugen Arbeiten Nelson Georges sind vor diesem Hintergrund eine gute Wahl. Gleichzeitig scheint HipHop auch im deutschsprachigen akademischen Lager angekommen zu sein, wie Jan Kages American Rap und Stefanie Menraths Represent what... zeigen.Kage geht davon aus, dass HipHop das zentrale Modell für afroamerikanische Identität geworden ist. So viel versprechend allerdings die Grundlegung seiner Konstruktion in Diskurstheorie, der Soziologie Bourdieus und Ongs sprachtheoretischer Analyse oraler Kulturen klingt, so enttäuschend bleibt deren Anwendung. Viel zu oft rutscht er auf Heldenerzählungen von rätselhaft visionären Geistern, Genies und Erfolgsstrategen aus und verheddert sich im Gestrüpp aus uneigentlicher Rede und soziologischen Daten. Man fragt sich, warum eigentlich. Schließlich versammelt er die gängigen historischen Daten und stellt die verschiedenen Subgenres dar. Er stellt zum Beispiel den Gangsta-Rap in die schwarze orale Tradition und beschreibt ihn als Fiktionalisierung der Ghettowirklichkeit, wodurch dieser marginale Ort überhaupt erst eine Stimme bekommt. Ebenso zieht er die Linie von den verschiedenen religiösen und politischen Black Power-Strömungen der Sechziger zu den entsprechenden Gruppen im Hiphop. Aber er bleibt flach, wenn es darum geht, die komplexen Zusammenhänge zu kennzeichnen, die diese Bezüge und die musikalischen Ausprägungen wirtschaftlich, politisch und symbolisch bedingen. Er nimmt die Texte sozusagen beim Wort. Anstatt die Identitäten der Rapper zu deesssentialisieren, also ihre "Blackness" oder "Realness" oder "Kommerzialität" als jeweils strategisch ausgerichtete und sozial konstruierte Positionen zu markieren, verstellt er sich den Blick mit der unterschwelligen Absicht, HipHop als letztlich universalistisches Projekt zur Durchsetzung von Humanismus und Aufklärung zu legitimieren. Er konstruiert eine soziale "Natur", in der "ursprüngliche" Absichten und "authentische" Äußerungen gegen Kommerz und Profilierung ausgespielt werden.Das unterläuft ihm vor allem wegen eines undifferenzierten Subjekt- (oder wahlweise Identitäts- oder Agenten-)begriffes, dem er ein recht zweidimensionales Gesellschaftsmodell gegenüber stellt. Aus Bourdieus sozialem Raum wird bei Kage eine Fläche. Thematisch unterschätzt er nicht zuletzt die medialen Bedingungen - zwischen (afro-)amerikanischer bürgerlicher Presse und Fachorganen, Musikfernsehen, Radio oder universitären Diskussionen - unter denen HipHop entstehen konnte und sich in die Auseinandersetzung um Repräsentation und Teilhabe mischte. Diese Unbedarftheit zeigt sich auch an der kümmerlichen Literaturliste, die vor allem, wo es um schwarze Identität, Ästhetik und Kulturgeschichte geht, deprimierend dünn bleibt.So kommen, zum Beispiel, Drogen über das Ghetto wie biblische Plagen und führen zur "geistigen Verwahrlosung der Jugend". Bei Nelson George etwa hätte er nachlesen können, wie die vielschichtigen Veränderungen der Ghettoökonomie seit Ende des Vietnamkrieges auf die HipHop-kultur wirkten und sie mit bedingten, und wie diese umgekehrt ikonisch, ethisch und materiell in sie eingegliedert ist. Auch bei Kage ist das Ghetto zunächst Skandal und dann erst Lebensraum.Hinter den moralischen Wendungen in Kages Geschichte steckt der an sich sympathische Zug, die weltweite HipHop-Gemeinde gegenkulturell zu besetzen. Nur gibt es dabei eben das alte Blues-Problem, dass die Ziele und Motivationen derer, die durch Rassismus und Armut ausgegrenzt worden sind, nicht unbedingt denen entsprechen, mit denen anderswo der herrschende Diskurs verlassen wird. Genau diese Differenz wird bei Stefanie Menrath zu einem der stärksten Belege für ihre These vom HipHop als Test- und Spielfeld verschiedener Identitäten. Gelegentlich theoretisch überfrachtet, überträgt sie sehr schlüssig Judith Butlers Performanz-Modell auf HipHop-Format. Souverän und die eigene Position im Blick liefert sie dabei einen gerafften, aber gründlichen Überblick über Entwicklung und Stand der Identitätsdiskussionen und verhandelt sie im Licht angrenzender Konzeptionen. Sie setzt auf Bourdieus Habituskonzept, um die körperlichen Aspekte, und Foucault, um die diskursiven Hintergründe abzusichern. Sie findet die laufenden Diskussionen der Kultur um korrekte Repräsentanz ebenso wie breite öffentliche Diskurse in deren sozial-biografisch geprägtem Habitus, also den konkreten Aktionen ihrer Protagonisten innerhalb der Szene. Gleichzeitig umreißt sie die Verbindungen, die aus dieser Zugehörigkeit mit der breiteren sozialen Außenwelt möglich werden. Ebenso bezieht sie lässig poptheoretische Überlegungen mit ein, um auch die musikalische Produktion ins Performanzboot zu ziehen. Schon die Nutzung spezieller Technologien und historische Referenzen, wie sie in den Samples gegeben werden, tragen zum Beispiel performative Züge und werden ein Teil des Spiels um Selbstzuschreibung und Fremderwartung.Vielleicht kann ja auch die in Genderfragen chronisch unterbelichtete HipHop-Szene über den Coup ein wenig grinsen, ihre oft so raubauzig und laut präsentierten Macho-Egos ausgerechnet von einem Konzept aus der queer und gender Theorie gerechtfertigt und erklärt zu bekommen. Anders als Kage kann Menrath über ihren ausgesprochen differenzierten Identitätsbegriff ihre Performer tatsächlich als Ort der Auseinandersetzung bewusster und unbewusster Motivationen konstruieren. Ihre HipHopper spielen Identitätsentwürfe durch, die sowohl sozial bedingt sind, wie sie aus dieser Prägung heraus strategisch eingesetzt werden können. Weil sie zudem ihre Untersuchung zwar über die afroamerikanische Geschichte der Bewegung herleitet, aber an deren deutscher Szene untersucht, kann sie sich auf modellhafte Strukturen und Strategien beschränken, ohne sich von Wertungen ablenken zu lassen.Während es den deutschen Autoren vor allem darum geht, HipHop als Instrument darzustellen, mit dem die problematische Fixierung von Identitäten überwunden werden kann, besteht für Nelson George an der Notwendigkeit schwarzer Identität kein Zweifel. Es sind die Kämpfe um deren Repräsentation unter den mit HipHop sich verändernden Bedingung der USA, die ihn beschäftigen.Nelson George ist einer der profiliertesten Autoren im Bereich populärer afroamerikanischer Kultur, mit deren Hintergründen er sich in zahlreichen Artikeln, Essays und Buchveröffentlichungen beschäftigt hat. XXX, als HipHop America 1998 erschienen und nun - abgesehen von kleineren Schlampereien sorgfältig - übersetzt, setzt an, wo "The Death of Rhythm Blues, Georges vielleicht bestes (beim gleichen Verlag; und ebenfalls über Orange-Press auf deutsch verfügbares) Buch, endete - mit dem Beginn der von ihm so genannten Post-Soul-Ära, dem Ende des bürgerrechtlich dominierten Zeitgeistes und dem Anbruch des HipHop-Zeitalters, dessen ethischen Pragmatismus er sorgfältig kulturhistorisch herleitet. Als skeptischen Chronisten interessiert ihn meist gleichermaßen, wie sich der weiße Mainstreammarkt diese Kreativität zunutze macht, wie die vor allem ökonomischen Folgen, die diese Übernahmen für die schwarze Kultur der USA und die Identität schwarzer Amerikaner hatten. Ob, wie er an anderer Stelle schrieb, der Erfolg Afroamerika nutzt oder nur Beweis ist für das "kluge Händchen, mit dem der amerikanische Kapitalismus seine Schaufenster zu dekorieren versteht".Die Geschichte des HipHop korreliert weitgehend mit Georges eigener Karriere als Schreiber. Dadurch bleibt er auf Augenhöhe mit der Szene und den Protagonisten, deren Lebensläufe, Aufstieg oder Fall George kommentierend begleitet. Gleichzeitig arbeitet er geschickt heraus, worin das je strukturell besondere seiner Beispiele besteht, und beschreibt dicht und spannend die Wechselwirkungen mit anderen kulturellen Einflussfeldern. XXX erzählt die Geschichte des HipHop als schwarzer Popmusik vor dem Hintergrund der amerikanischen Kulturindustrie und erklärt, wie dessen Erfolg zurückwirkt auf die Black Culture, aus der er stammt (und sich, wie er nicht ohne Befriedigung bemerkt, ständig erneuert), und auf die US-Gesellschaft, in die er zielt. Bei aller Sympathie für den Siegeszug der Musik bleibt ihm dabei die Idee einer globalen HipHop-Nation ziemlich wurscht. Schwarze Identität, sei sie auch noch so kulturell oder politisch begründet, löst sich für ihn, und vermutlich für die meisten US-Rapper, höchstens ins Dollar-Grün auf.Jan Kage hat seinem Text ein schönes Interview mit dem ebenso großartigen wie cleveren New Yorker Rapper RZA beigefügt. Der freute sich vor kurzem auf seiner Deutschland-Tour über die deutschen Fans und Kollegen und lobte sie als einen der größten HipHop-Märkte. Dann pries er die Kleidung seines Wu-Wear-Labels und forderte die Rechtgläubigen auf, sich am mitgebrachten Wu-Laden hiphopnational damit einzudecken. HipHop and you don´t stop.Nelson George: XXX. Drei Jahrzehnte Hip-Hop. Aus dem Amerikanischen von T-Man. Orange-Press, Freiburg 2002, 224 S., 15 EURJan Kage: American Rap. Explicit Lyrics - HipHop und Identität. Ventil, Mainz 2002, 157 S., 11,90 EURStefanie Menrath: represent what... Performativität von Identitäten im HipHop. Argument, Hamburg 2001, 178 S., 15, 50 EUR
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.