Spiel mit dem eigenen Schatten

Kommentar Arafats Rücktrittsangebot

Seit Wochen hat es keine palästinensischen Selbstmordattentate mehr gegeben. Trotzdem tötete das israelische Militär seit Juli über 120 Palästinenser, darunter 40 Kinder und 22 Frauen. Der Vorwurf, die Soldaten seien "schießwütig", ist nicht von der Hand zu weisen. Die Zahl der Toten spricht eine deutliche Sprache. Die von der Regierung Sharon eingesetzte Untersuchungskommission, die den Tod von vier Arbeitern bei Hebron und einer Mutter sowie deren vier Kindern im Gazastreifen untersuchen sollte, sprach die Armee von jeder Schuld frei. Es war kaum anders zu erwarten. Seit der Inthronisierung des neuen Generalstabchefs Moshe Ya´alon haben die Repressalien noch einmal zugenommen. Damit nicht genug: Ya´alon mischt sich massiv in die internen politischen Debatten Israels ein und keiner der zivilen Politiker wagt es, ihm zu widersprechen. Selbst bei dem Vergleich der Palästinenser mit einem "demographischen Krebsgeschwür" und der israelischen Gegenmaßnahmen mit einer "Chemotherapie" schweigt Israels politische Klasse betreten, nur Premier Ariel Sharon springt seinem Generalstabschef bei.

In diesem aufgeheizten Klima hat nun Yassir Arafat vor dem Legislativrat, dem palästinensischen Parlament, zu Wochenbeginn einmal mehr seine Fähigkeiten als politischer Überlebenskünstler vorführen wollen. Offenkundig ein Balanceakt, um seine Kritiker in den eigenen Reihen zu besänftigen. Deshalb die Ankündigung von Wahlen für den Januar, deshalb wohl auch die gezielte Verwirrung mit seinem "Rücktrittsangebot": "Wenn ihr mich ersetzen wollt, bin ich bereit dazu. Ihr würdet mir einen Gefallen tun, und ich würde eine Pause machen." Arafat hat das jedoch nie und nimmer ernst gemeint. Es könnte ihm allerdings passieren, dass ihm die Abgeordneten angesichts seiner inkonsequenten Minireformen tatsächlich das Vertrauen entziehen. Dann wird es wirklich und endgültig einsam um ihn. Sicher wollte der PLO-Führer gegenüber Amerikanern und Israelis, nicht zuletzt auch der Europäischen Union, ein Zeichen seiner Bereitschaft zu Reformen setzen, die es natürlich nur mit ihm geben könne. Da wird die Rücktrittsofferte dann unversehens zum riskanten Spiel mit dem eigenen Schatten.

Spätestens seit George Bushs für die Palästinenser verheerenden "Vision" für den Nahen Osten weiß Arafat, dass seine Tage als zentraler Akteur gezählt sind. Trotzdem wollte er bislang unter gar keinen Umständen aufgeben und demonstriert Stehvermögen bis zum Umfallen. So hat Arafats Auftritt vor dem Legislativrat nur bestätigt, dieser Politiker wird seine Macht - wenn überhaupt - nur scheibchenweise abgeben. Vorerst rechnet er im Januar mit seiner Wiederwahl, was Bush und Sharon vor vollendete Tatsachen stellen soll. Beide wollen mit Arafat nichts mehr zu tun haben; sie halten ihn für irrelevant, so relevant er sich auch geben mag.

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