Spiel, Satz, Sturz

Österreich Für die Neuwahlen ist kein Bündnis in Sicht. Wird der Alpenstaat nun unregierbar?
Ausgabe 22/2019
Unbeeindruckt von balearischen Eskapaden: Glückliche FPÖ-Anhänger bei einer Europawahl-Veranstaltung Ende Mai 2019
Unbeeindruckt von balearischen Eskapaden: Glückliche FPÖ-Anhänger bei einer Europawahl-Veranstaltung Ende Mai 2019

Foto: Michael Gruber/Getty Images

Gegen den europäischen Trend wählte man in Österreich. Da zerreißt es eine Regierung, und Türkis-Blau gewinnt dazu. Einem Plus von acht Prozent für die ÖVP stehen geringe Verluste der FPÖ gegenüber. Was die Freiheitlichen verloren haben, ist ein Klacks, sieht man sich an, vor welchem Hintergrund dieses Ergebnis erzielt wurde. Da ist es sogar gelungen, die EU-skeptische FPÖ-Klientel zum Wählen aufzustacheln. Bei EU-Wahlen alles andere als selbstverständlich. Haben Ibiza und die Folgen dazu beigetragen, die Wahlbeteiligung signifikant zu erhöhen?

Inzwischen ist man in der FPÖ von der Defensive zur Offensive übergegangen. Offenbar hat man von Donald Trump gelernt. Hätten sich Strache & Co. nach der Aufdeckung etwas weniger tölpelhaft verhalten, hätten die Freiheitlichen möglicherweise zulegen können. Es irrt, wer meint, die Partei via Ibiza-Affäre in den Keller zu schicken. Die FPÖ hat so zwar kein gutes, aber das beste Ergebnis eingefahren, das möglich war. Der Skandal geht bereits im Trubel unter. Seine Haltbarkeit ist begrenzt. Den Ibiza-Makel wird man binnen weniger Wochen los sein. Ungeheuerlich ist nicht, was zu sehen war, sondern nur peinlich, dass es gesehen wurde.

Ein Comeback feiern die Grünen. Bei der letzten Nationalratswahl sind sie unter Wert geschlagen worden, jetzt haben sie über Gebühr gewonnen. Selten hat man so viele potenzielle Grünwähler getroffen, die allein aufgrund ihres Seitensprungs von 2017 etwas gutmachen wollten. Das schlechte Gewissen gegenüber der Ökopartei hat ihr einen überraschend deutlichen Wahlerfolg beschert.

Eindeutiger Wahlsieger ist aber die ÖVP. Sebastian Kurz funktionierte die EU-Wahl zum Votum über den Kanzler um. Einmal mehr ist sein Kalkül aufgegangen. Mehr beiläufig als absichtlich zerstörte man aber durch Ignoranz und Arroganz jede Gesprächs- und Vertrauensbasis mit den Mitbewerbern. Auffällig ist auch, dass dieses Verhalten der Kurz-Truppe gar nicht aufgefallen ist. So machte der ÖVP-Chef die Rechnung ohne den Wirt, das Parlament, das ihn und seine gesamte Regierung am 27. Mai prompt abservierte. Wer hätte das vor Wochen gedacht?

Die SPÖ hat sich noch vor der EU-Wahl entschlossen, den Kanzler zu stürzen, und eine Mehrheit (SPÖ, FPÖ und Liste Jetzt) im Nationalrat organisiert. Dass die SPÖ nach Ibiza bei der EU-Wahl eine Chance nicht ergriffen hat, erstaunt nicht. Die Sozialdemokratie wirkt auch hierzulande schon länger schwach. Gegen Kurz schien sie machtlos. Ob dieser Misstrauensantrag gegen ihn ein geeignetes Mittel war, um wieder in die Offensive zu kommen, ist fraglich. Jedoch sind alle anderen Instrumente noch schlechter. Nichtstun käme überhaupt einer prophylaktischen Kapitulation gleich. Nun hat man eine Initiative gesetzt und somit Entschlossenheit demonstriert.

Gewinnen und Verlieren liegen manchmal nahe beieinander. Kurz hat stets hoch gepokert, und es war nicht das letzte Spiel, weitere werden folgen. So könnte bereits im September bei der Neuwahl des Nationalrats ein Comeback Realität werden. Am Dienstag hat das Projekt Kurz eine empfindliche Unterbrechung erfahren, aber keineswegs ein Ende gefunden. Die Dynamik ist aber vorerst gestört, ein sich abzeichnendes Bündnis nicht in Sicht. Wird Österreich unregierbar? Die nächsten Monate wird das Land durch einen vom Bundespräsidenten ernannten Übergangskanzler geführt. Man befindet sich auf Neuland.

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