A
Angst Meine Turnlehrer haben sich nie so benommen, dass meine Angst verflogen wäre. Auch von Bekannten oder Mitschülern wüsste ich nicht, dass ein Lehrer jemals den Vorturner gemacht hätte. Kann ich verstehen, hätte ich auch nicht. Denn wer schindet sich schon freiwillig auf ungepolsterten Turngeräten? Wahrscheinlich hat die deutschnationale Turnerschaft einst gedacht, damit die Jungs für den Krieg gegen Napoleon (➝ Militär) abzuhärten. Aber heute? Wer jemals mit dem Unterleib gegen einen Bock gesprungen ist, oder wer, wie ich, öfters, aber ungern bei der Rolle vorwärts auf dem Barren durch die Holme gerutscht ist, der weiß, wovon die Rede ist. „Nicht so ängstlich, Ellenbogen raus und Schwung“, meinte der Lehrer ermutigend, bevor ich das nächste Mal auf dem Steiß landete. Auch Schwebebalken, Pferd und Reck kommen ohne Polsterung aus. Wer auf Holz und Eisen knallt, hat halt Pech gehabt. Da sage noch einer, Sportängste seien irrational. Tobias Prüwer
D
Dicke Luft Ich war noch nie in einem Fitnessstudio. Weder in einem nur für Frauen noch in einem mit extragünstigem Monatsbeitrag noch in einem High-Class-Studio, wo Personal Trainer noch den letzten Unwilligen aufs Laufband verdonnern. Anscheinend habe ich eine gute Intuition. Denn: Eine aktuelle Studie der Unis von Lissabon und Delft besagt, dass die Luft in Fitnessstudios gesundheitsgefährdend ist. Messungen in elf Studios bei mittlerem bis starkem Betrieb zeigten bedenklich hohe Werte von Ozon, Kohlendioxid, Formaldehyd und Feinstaub in der Luft. Letztere können Atemwegsprobleme hervorrufen, gerade bei intensivem Atmen. Kohlendioxid verursacht Müdigkeit und Benommenheit. Verunreinigte Innenraumluft kann auch zu Allergien und Schlafstörungen führen. Da gehe ich doch lieber gemütlich an der frischen Luft spazieren. Barbara Herzog
E
Extrem Akute Lebensmüdigkeit ist wohl nur in den seltensten Fällen die Motivation für einen Extremsportler, sich freihändig an Gipfel zu wagen oder mit Fallschirmen von Hochhäusern zu stürzen. Für die meisten ist es vielmehr der Kick, Gefahrensituationen zu erleben, die sie gerade noch so bewältigen können. Die Grenzen der eigenen Leistungsfähigkeit noch etwas hinauszuschieben hat für sie einen berauschenden Effekt. Weil es dabei um ein kalkuliertes oder kalkulierbares Risiko geht, spricht die Sportphilosophie auch lieber vom Risiko- als vom Extremsport. Schließlich kann man auch extrem lange Purzelbäume schlagen – ins Existenzielle führt das aber nicht, auch wenn es einen wahrscheinlich schwindelig macht. Für viele Risikosportler ist neben dem Rauschgefühl auch der offensive Umgang mit der Sterblichkeit ein wichtiger Punkt. Ihr sportlicher Grenzgang besiegt zwar nicht den Tod – auch wenn sich das manche einreden mögen –, aber er hilft, die Angst davor zu überwinden. Und die Zuschauer, etwa Youtube-Klicker, goutieren das am Bildschirm, diese krasse Kraft der Überwindung, diesen symbolisch demonstrierten Überlebenswillen. Tobias Prüwer
F
FIFA Fußball-WM und Olympiade können noch so glamourös daherkommen – in ihrem Vorfeld geschieht oft massives Unrecht, manchmal mit tödlichen Folgen. Die FIFA ist da das unrühmliche Paradebeispiel: Den Berichten über Zwangsumsiedlungen und Polizeigewalt vor der Fußball-WM in Brasilien folgten prompt üble Nachrichten aus Katar, dem WM-Gastgeber 2022. Dort werden Gastarbeiter ausgebeutet, Amnesty International spricht gar von Zwangsarbeit, auf den WM-Baustellen kamen bislang mehr als 1.000 Menschen ums Leben. Für Olympia gilt Ähnliches. Auch in Vorbereitung auf die Spiele in Rio de Janeiro 2016 fanden Zwangsumsiedlungen statt, während für Winterspiele oft die Umwelt zerstört wird. Natürlich wollen die Sportverbände für all das nicht verantwortlich sein. Sie sind es aber, indirekt. Benjamin Knödler
J
Joggen Kein Wunder, dass der Philosoph von Maß und Mitte, Aristoteles, dem Müßiggang eine wichtige Rolle zusprach. Maßhalten gilt jedenfalls auch beim angeblich so gesunden Joggen. Das legt jetzt eine dänische Langzeitstudie nahe. Demnach ist die Sterblichkeitsrate von Menschen, die oft und intensiv joggen, annähernd so hoch wie die von Nichtjoggern (➝ Unsportlichkeit). Auf Dauer schädigen sie nämlich ihr Herz-Kreislauf-System. Am längsten lebe, wer nicht mehr als zweieinhalb Stunden pro Woche bei moderatem Tempo laufe, heißt es. Tobias Prüwer
M
Militär Manchmal ist der Satz „Sport ist Mord“ durchaus wörtlich zu verstehen. Die körperliche Betätigung macht junge Menschen fit für den Krieg. Das wissen die Militärs und Politiker. Auch der Sportunterricht an den Schulen hat in der deutschen Geschichte immer wieder der „Wehrhaftigkeit“ gedient, wie der Sportwissenschaftler Berno Bahro erläutert. In den 1840er Jahren führte das preußische Königshaus zunächst Gymnastik, dann auch Turnen als Schulfach ein – unter anderem als Reaktion auf statistische Daten, die zeigten, dass viele Jungen nicht als Rekruten geeignet waren. Bis 1945 haben verschiedene Politiker, Pädagogen und Sportfunktionäre mit der „Wehrhaftigkeit“ argumentiert, während des Nationalsozialismus taucht dieser Begriff sogar im Lehrplan auf. In der DDR fand sich der militärische Gedanke beispielsweise im Sportabzeichen „Bereit zur Arbeit und Verteidigung der Heimat“. Und heute? Ist die Hälfte aller deutschen Olympiasportler bei der Bundeswehr verpflichtet. Und bei internationalen Wettkämpfen treten immer noch Staaten gegeneinander an – wie im Krieg. Felix Werdermann
P
Pferdesport Vier Wochen im Krankenhaus, und das kurz vor Weihnachten. Mit der Aussicht auf zwei Monate an Krücken und der Gewissheit, dass das gebrochene Bein danach einen Zentimeter kürzer sein wird, man eine Narbe an der Hüfte haben und mit Rückenproblemen laborieren wird, wegen des zu erwartenden Hüftschiefstands. Nicht zu vergessen: ein Kniedurchschuss für ein Gewicht, damit der Oberschenkelmuskel gestreckt wird. Außerdem ein Küntscher-Nagel durch die Hüfte in den Oberschenkelknochen und dessen operative Entfernung nach einem Jahr. Wie man das schafft? Man unternimmt einen Ausritt mit einem Pferd. Und zwar mit einem, das zu Hypernervosität neigt. Ja, das Reiten ist eine feine Sache, am Strand, durch Wälder ... Mein Interesse liegt nun beim Springreiten. Im Fernsehen. Jutta Zeise
R
Rallye Dakar Extremsportler, die in Autos, Motorrädern, Trucks und auf Quads durch weite, staubige Landschaften rasen: Auf neutrale Betrachter kann die Rallye Dakar befremdlich wirken (➝ Extrem). Ursprünglich führte die Route von der französischen zur senegalesischen Hauptstadt. 2009 fand der Wettbewerb erstmals in Südamerika, auf einer Strecke zwischen Argentinien und Chile, statt. Das Rennen hat geradezu mörderische Dimensionen: Mehr als 60 Menschen sind seit seiner Premiere 1978 zu Tode gekommen, entweder bei Unfällen oder weil sie als Teilnehmer die extremen klimatischen Bedingungen nicht ausgehalten haben. Aber auch Zuschauer, Organisatoren und Journalisten sind unter den Opfern. Das hat der Rallye viel Kritik eingebracht, die Sicherheitsrichtlinien werden immer wieder verschärft. Benjamin Knödler
Rugby Es gilt als brutal, verglichen mit der Schwestersportart Fußball. Seit sich 1871 in England die Rugby Football Union von der Football Association abspaltete, sind die Unterschiede augenscheinlich: Athletischen Kickern stehen muskelbepackte Kampfmaschinen gegenüber. Wo Fußballer umeinander herumdribbeln, verkeilen sich Rugbyspieler regelmäßig ineinander. Bei so einem Geraufe, auch noch ohne Schutzkleidung, kann man sich ja nur verletzen, denkt der ahnungslose Zuschauer. Platzwunden scheinen ihm Recht zu geben. Tatsächlich sind ernste Verletzungen wie Bänderrisse beim Rugby aber selten. Kontrollierter Körperkontakt schadet weniger als die ungeordneten Karambolagen beim Fußball. Vielleicht sind die oft ach so schmerzgeplagten Fußballer ja nur berechnende Weicheier? Sophie Elmenthaler
U
Unsportlichkeit Ja, Sport ist gefährlich. Sport hält und macht aber auch gesund! So sollte etwa das Risiko eines Herzinfarktes bei Überanstrengung gerade Herzpatienten nicht davon abhalten, ihre Muskeln mit maßvollem Ausdauertraining zu stärken. Die Folgen allgemeiner Unsportlichkeit sind wirtschaftlich messbar. Laut einem Bericht des Bundesgesundheitsministeriums gehen der Volkswirtschaft durch Arbeitsunfähigkeit jährlich rund 103 Milliarden Euro an Bruttowertschöpfung verloren. Herz-Kreislauf- und Muskel-Skelett-Erkrankungen zählen dabei zu den Hauptursachen, gefolgt von Atemwegs- und psychischen Erkrankungen. Fakt ist: Prävention lohnt sich. Oft ist die mangelnde Bewegung gar nicht mit der Furcht (➝ Angst) vor dem Unfallrisiko begründet – es fehlt einfach an Motivation. Die Formel „No sports“ ist jedenfalls keine Lösung. Selbst Zigarrenraucher Winston Churchill, dem diese Aussage zugeschrieben wird, war dem Reiten (➝ Pferdesport) zugetan. Ulrike Bewer
Y
Yoga Dass es gefährlich ist, war mir klar. Wie die Fliegen haute es Mitbürger um, plötzlich lagen sie alle auf der Matte – um sich von dort in albernen Verrenkungen wieder zu erheben: als „Kobra“ oder „Herabschauender Hund“. Es griff wie ein Virus um sich, in den Nullerjahren, die uns ja viele Massenhysterien beschert haben, ganz irrational explodierte Laktoseintoleranzraten zum Beispiel. „Yoga kann Sie ruinieren“, schrieb jetzt die New York Times. 2004 gab es in den USA vier Millionen Yogafreunde. Heute sind es fünf Mal so viele, 20 Millionen. Die Folge: ein enormer Anstieg orthopädischer Probleme. Genau wie einst beim Aerobic! Viel gefährlicher erscheint mir hier aber das Seelisch-Mentale: „Die fortdauernde Behauptung einer Möglichkeit wird zum Glauben“ – singt Jacques Palminger in seinem schönen Anti-Yoga-Song „Worte nur Worte“. Erlösung wäre schön, jaja. Kann man aber nicht buchen! Katja Kullmann
Z
Zerebralschäden Kleine Klapse sollen das Denken befördern. Der Gehalt dieser Redewendung sei dahingestellt, massive Schläge auf den Kopf – wie beim Boxen – bergen in jedem Fall ein Langzeitrisiko. 2010 haben Wissenschaftler der TU München einen Zusammenhang zwischen dem Profifaustkampf und neuropsychiatrischen Folgeerkrankungen hergestellt. Zwischen zehn und 20 Prozent der Boxer sollen davon betroffen sein. Sie zeigen Zittern, eine gestörte Motorik und Anzeichen von Parkinson. Einem erhöhtem Alzheimer- und Demenzrisiko – den Faktor 19 führt eine Studie an – sind Spieler im American Football ausgesetzt. Wenn die Gegner mit einer Geschwindigkeit von bis zu 70 Stundenkilometern mit den Helmen zusammenstoßen, wie auch beim Eishockey oft der Fall, sind Gehirnerschütterungen keine Seltenheit. Tobias Prüwer
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