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Seien wir mal ehrlich: Fußball im Fernsehen ist langweilig. So langweilig, dass man mit der grünen Ödnis Zahlenakrobatik treiben kann: Die Bundesliga ...

Seien wir mal ehrlich: Fußball im Fernsehen ist langweilig. So langweilig, dass man mit der grünen Ödnis Zahlenakrobatik treiben kann: Die Bundesliga lieferte am vergangenen Samstag bis zur Halbzeit sechs Tore in zusammengerechnet 315 Minuten. Macht, bei 154 Spielern, alle 53 Minuten eins. Bei manchen Spielen sind die spannenden Momente so selten, dass man sich nach einer guten Partie Kricket sehnt. Und: Der Zuschauer sieht mit. So bleibt dem Moderator oft nichts übrig, als sich mit dem wenigen die Zeit zu vertreiben, was die Kamera nicht einfängt. Mit Geplauder über prominente Gäste auf der Tribüne etwa, oder Bemerkungen über Spieler auf der Bank à la "es soll ja ein Ermüdungsbruch sein". Aha.

Der Genuss am Fußball muss irgendwo anders liegen. Vermutlich im Moment des Zufalls, für die Fans: dem Schicksal. Zum Beispiel im Unglaublichen der Tatsache, dass es dem 1. FC Magdeburg gelingen kann (damals in der Oberliga NOFV, Staffel Süd), den immer ersten FC Bayern München vom Platz zu grätschen. Das ist schön, also Zauberei. Nur heißen die Beschwörungsformeln hier tiefschürfend "Der Ball ist rund", "Das Spiel dauert 90 Minuten" oder "Nach dem Spiel ist vor dem Spiel". Manche Fans glauben, dass ein Elfmeter nur gelingt, wenn sie nicht hinsehen oder wenn sie hinsehen oder wenn sie einen HSV-Kaffeebecher in der Hand halten. Fußball ist, vor allem, Mystik.

Dem widersprechen die Experten, echte Kenner, die sich wie in einem gigantischen Rorschach-Test daran vergnügen, im verzweifelten Gekicker von 22 doch immerhin erwachsenen Menschen taktische Konzeptionen, eine moderne Viererkette oder ein passives Abseits auszumachen. Das findet meist nach dem Spiel statt: Eine Expertensitzung, ernsthaft, als ginge es um das Kommando Spezialkräfte in Afghanistan, bewertet das Kampfgeschehen, erwägt das Potential einer zweiten Sturmspitze und blendet geheimnisvolle Pfeile und Linien in Zeitlupensequenzen ein. Bedeutungsschwanger - aber zu spät.

Gut, dass es die sonnabendliche Konferenzschaltung im Radio gibt, in die man vor solchen Spielverderbern flüchten kann. Die ist nicht nur die Rettung der Vorgärtner und Autofahrer - hier ist Fußball, wo er sein soll, in der Phantasie des Zuhörers nämlich. Hier kann man, angefeuert durch die euphorisierten Stimmen der Kommentatoren, das allzu weite Feld zwischen den Toren vergessen. Alles Mittelfeldgedribbel verlischt vor Sätzen wie "Tor in Nürnberg. Ich pack das nicht. Ich halt das nicht mehr aus. Ich will das nicht mehr sehen. Aber sie haben ein Tor gemacht. Ich glaube es nicht. Aber der Ball ist drin. Ich weiß nicht wie." (Günther Koch im WDR am 29.5.99) oder wenn Sabine Töpperwien "Tor auf Schalke" skandiert und man vor der Frage, welche Mannschaft es denn geschossen hat, fast ins Adrenalinkoma fällt. Aus einem schnöden Foul-Elfmeter wird die Rache der Ukraine für den Rausschmiss in der WM-Relegation: "Wer ist der Elfmeterschütze für den SV Werder: Viktor Skripnik, dasgibtesdochnichtderschießt, Toor, Eins zu Null für den SV Werder Bremen in der 41. Minute und das Weserstadion steht Kopf" (Heiko Neugebauer im FAZ-Radio am 17.11.01) Unddasgibtesdoch: barock phantastische Szenen, wie sie eine Kamera nie produzieren kann. Nur im Radio, scheint es, bleibt der Fußballgott vorm Exorzismus des Faktischen verschont.

Zum echten Ohrenschmaus wird das, wenn man die lautlichen Finessen zu unterscheiden gelernt hat. Den Spannungsbogen zwischen "Tor" und "Toor" zum Beispiel, oder das Umschlagen in die Kopfstimme von "steht" zu "Kopf". Dann entblättert sich aus einem gequetschten "Aluminium" das "Uooahhh-Hmm" der Südkurve. Eine Dramatik, die vom Kampf der Kommentatoren um das Ohr der Hörer noch verdoppelt wird, wenn an zwei Spielorten die Tore gleichzeitig fallen. Schwamm drüber, wenn die Moderatoren sich mit erschöpfenden Sätzen wie "Schalke 04 ist momentan lediglich optisch überlegen" gelegentlich selbst vergessen. Denn nur in der Konferenzschaltung hat man alles zusammen: Wie in einem Brühwürfel verdichtet die wichtigsten Szenen des Tages und, besser noch, das Gefühl, erstens Fan und das zweitens überall zu sein. Uneingeschränkte Solidarität sozusagen. Fußball ist eben nur im Radio schön.

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