Sprachliche Sommerdiät

Einwanderung light Die CSU erfindet die deutsche "Zuwanderungsgesellschaft"

Der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef Edmund Stoiber, soviel muss man ihm lassen, ist nicht so tollpatschig, wie er aussieht, wenn er sich in den Trachtenjanker quält. Seit er sich mit seiner Ende der achtziger Jahre ausgesprochenen Warnung vor einer multikulturell "durchrassten" Gesellschaft den Unmut christlich gesonnener Geister unter seiner Kundschaft zugezogen hat, ist er in der Wahl seines Vokabulars vorsichtiger geworden. Auf dem viagra-unterfütterten bayerischen Hosenlatz ruht nun der Laptop und strahlt mit Hilfe seiner leuchtenden Flüssigkeitskristalle von dort prickelnde Modernität aus. Die Modernität verlangt auch, "to face reality", um es in der bevorzugten Sprache moderner Deutscher auszudrücken, und das heißt anzuerkennen, dass selbst in Bayern die Bayern nicht mehr ganz unter sich sind. Edmund Stoiber hat sich dazu durchgerungen, öffentlich einzuräumen, dass es da so ein Phänomen namens Einwanderung gibt. Ob er es persönlich mag oder nicht, egal, Stoiber ist Profi genug, um zu wissen, dass ein Politiker um politischer Interessen willen persönliche Neigungen hinten an stellen muss. Die Interessenlage verlangte, mit der Schwesterpartei CDU in Sachen Immigrationspolitik gemeinsame Sache gegenüber der rot-grünen Regierung zu machen. Das Resultat innerchristdemokratischen Verhandelns liegt mittlerweile in Form des "Gemeinsamen Positionspapiers von CDU und CSU zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung" vor.

Bereits der Überschrift ist zu entnehmen, dass die bayerische CSU sich in einem zentralen Punkt durchgesetzt hat, der Benennung der fraglichen Sache, die nun nicht mehr "Einwanderung" heißt, sondern "Zuwanderung". Dieses im Deutschen kaum gebräuchliche Wort war zuvor von Stoiber und dessen Stab erfolgreich in Umlauf gesetzt worden: ein genialer Dreh, die Einwanderung mit allem, was der Begriff an unangenehmen Vorstellungen mit sich schleppt (Schmelztiegel, Multikultur), einem Bad im linguistischen Lourdes zu unterziehen und sie dann, gesäubert, geheilt und frottiert, als freundlicher blickende "Zuwanderung" wieder vorzuführen. Mit ihrer Vorsilbe "Ein" zielt die Einwanderung aufs Innerste, will sich da hinsetzen und breit machen - das aber passt bayerischen und anderen Stammtischen nicht, denen Stoiber und andere Politchristen ihr Ohr leihen. Die Vorsilbe "Zu" dagegen signalisiert Verbleiben im Äußeren: wer lediglich "zuwandert", von dem darf vermutet werden, dass er eines Tages auch wieder "abwandert", so wie derjenige, der laut Eisenbahnerdeutsch "zugestiegen" ist, erfahrungsgemäss auch wieder aussteigt.

Das wahrhaft Bemerkenswerte an der Geschichte ist, dass Herrn Stoibers sprachpolitische Intervention sogleich von allen Seiten aufgegriffen und übernommen wurde, von der SPD sowieso, aber auch von den JournalistInnen, KommentatorInnen und FernsehsprecherInnen. Es ist nun alles nur noch "Zuwanderung", also etwas eigentlich Vorläufiges. Die "Einwanderung" wurde flugs über Bord geworfen, wie lästiger Ballast. Man ahnt, dass selbst bei denen, die früher unerschrocken aufgeklärt das "Einwanderungsland Deutschland" hochhielten gegenüber der verstockten "Reaktion", der finsteren CDU etc., eine spürbare Erleichterung eingetreten ist, als ihnen die fettarme "Zuwanderung" zur Verfügung gestellt wurde. Somit dürfen sie alle bei ihrer guten (liberalen, gar ein wenig "linken") Gesinnung bleiben, müssen das aber mit "Einwanderung" nicht mehr so hart ausdrücken. Die "Zuwanderung" hat nicht allein CDU und CSU einander nähergebracht, sondern auch etwas gestiftet, was es schon lange nicht mehr gab zwischen Oder und Rhein: eine zuwanderungsbedingt zusammengeschmiedete deutsche Volksgemeinschaft.

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