Sprachlosigkeit

Kehrseite II (Hirnstromprotokoll eines sich auf den ersten Blick Verliebenden, dessen Sprache versagt, weil das Herz halshoch pocht) ...

(Hirnstromprotokoll eines sich auf den ersten Blick Verliebenden, dessen Sprache versagt, weil das Herz halshoch pocht)

Mayday, mayday, melde Sprachverlust.

Sprache, wo bist du, wo versteckst du dich? Komm raus aus dem Loch, zeig dich! Lass mich artikulieren meine Stimmung - meine Gefühle.

Keine Kunst? Schon Kunst.

Gib mir Stimme, Worte und Gleitmittel.

Lass fließen sodann Schwülstiges, lass anschwellen einen hormonigen Bockgesang, der sich gewaschen hat und wurlert wabert.

Spachtelmasse für Gehörgänge will ich haben, tonnenweise und Honig, Honig in allen Körperöffnungen. Ja, auch im Kofferraum.

Ich will orgeln und arschgeigen, die Gefühlstreppen rauf- und runterschwanken und wärmende Steppdecken aus Seelenheil häkeln.

Sprache verleih mir Bügel, dass ich meine Hemmungen aufhängen und endlich den Krawattenknopf der Liebesrhetorik bindend ablegen kann.

Mach mich los, zieh mir die Gürtelschnalle der Kontaktscheue über den Hinterkopf und die Unterwürfigkeitsunterhose aus.

Biet mir die Stirn, zerfrans mir meinen Betulichkeitsscheitel, zopf mir meinen Zungenwaudel aus und zitier mir Faust I und II in den Nacken. Schenk mir die Gretchenfrage ein und greif mir in den Hodenstall. Melk dort die schwangeren Zärtlichkeitszitzen und lass mich angestaute Mühsalmilch abrahmen, bevor der Glibber stockt.

Richt mir die Wohlfühlwarzen auf, wart mir die Wadenwände, pell sie, mach reinen Beintisch.

Streich mir die Relativitätsgänsefüßchen der Zweisamkeit.

Weis mir den Weg zum Hosenboden der großen weiten Gefühlswelt und schnür mir die Schuh der Ungebundenheit, in alle Ewigkeit, ICH und SIE, wir zu zweit.

Himmelherrgottnochmal mach, mach, mach!

Ist das nicht das, was man Liebe nennt?

Stürmische Gefühle, drängende Expressionen, anschaulich umgesetzte Satzunfälle, Durchfallworte, Sprachabfall? Ist das die Sprache der Liebe?

"Die Sprache ist dann am eindeutigsten Sprache, wenn sie in ihrer Funktion verschwindet."

Soso.

"Wir hingegen denken, dass die Sprache vor allem Sprache zu sein hat, und wenn sie schon an etwas erinnern soll, dann am ehesten an eine Säge oder an den vergifteten Pfeil des Wilden."

Na dann spann deinen Bogen wilder Amor.

Z-o-i-n-g... -> Flapp!

Volltreffer!

Da wie dort. Gefühle kurbeln die Fensterscheibe runter, lassen den Arsch raus hängen und scheißen drauf. Spielt alles keine Nebenrolle, ist alles sächlich und mega egal wie nur was, weil hier hat nämlich ein Pfeil Weg gewiesen was fortan Programm ist.

Schalt dich ein und nicht um, reich ihr die Hand und versprich diverse Schwüre, das schadet nicht, vorerst.

Gib Quasimodo Wasser Esmaralda, auf dass er alle Liebesglocken in Schwung bringe, auf dass sie anflattern mögen, denn Glocken fliegen gerne und wenn dass kein Anlass für eine fröhliche Bim-Bam-Karawane ist, dann ist´s aus mit Christ sein.

Dann wird sich beschwert bei der Diözese, dem Bischof der Marsch geblasen und konvertiert was das Sektenspektrum hergibt.

Da darf man sich nicht lumpen lassen, schließlich hat man ja lange genug Obolus abgelegt, Klingelbeutel gefüttert für Hostienhokuspokus und Bubenstreicher.

Jetzt ist die Rendite fällig:

Glocken als Vorspiel, zur Lesung irgendetwas Geiles, Fürbitten für geschlechtliche Funktionstüchtigkeit, zur Wandlung die Frucht ihres Leibes, oh Herr ich bin nicht würdig, dass sie eingeht unter mein Dach, aber sprich du ein Wort und mach meine Seele gesund und zum Schlusssegen guten kinderlosen Sex in alle Ewigkeit Amen.

Ja Vater unser, das wäre mir ein paar Gegrüßt seist du Maria wert, doch du sollst den großen Gott nicht vor dem Abend loben, denn mit Göttern ist kein Staat zu machen, das lehrten uns schon die alten Griechen und so schlage ich mir denn einstweilen bloß mal ein Kreuz auf die Brust, kaue Nägel und harre der bestellten Frohlockungen.

Man möge mich erhören. - Vergelt´s Gott!

Markus Köhle wurde 1975 in Nassereith geboren. Er schreibt seit geraumer Zeit um sein Leben und fährt gerne Zug. Er lebt und arbeitet in Innsbruck und Wien.


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