Die Grundsteinlegung zum Berliner Schloss Humboldtforum am 12. Juni gibt gleichzeitig den Startschuss für die Initiative humboldt21 – Rückbau Berliner Schloss Humboldtforum. Der Rückbau kann nun Formen annehmen. Formen aus Beton, die in den kommenden Jahren in den märkischen Sand gelegt und von uns wieder herausgeholt werden.
Wie kein anderer Platz in der Hauptstadt steht der Berliner Schlossplatz für erfolgreiche Rückbaugeschichte. Seit dem letzten großen Rückbau, dem des Palasts der Republik, erlebten wir den Platz als grüne Wiese (mit Herz), dann als Wiese mit türkisfarbener Humboldtbox, dem Infocenter für das Humboldtforum.
Die Wiese wurde asphaltiert und inzwischen mitsamt Asphalt rückgebaut. In der Rückbau-Chronologie des Schlossplatzes wird die Humboldtbox das nächste Projekt sein. Wenn das Humboldtforum eröffnet wird, kommt die Humboldtbox weg. Das übernächste Rückbauprojekt wird das Humboldtforum selbst werden. Rückbau ist das Schicksal aller Bauwerke, die je auf dem Schlossplatz gebaut worden sind, wie ein Blick in die Rückbaugeschichte zeigt (siehe Infokasten). Wir nennen es Tradition.
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Exklusive Dokumente aus den Planungen von humboldt21: Schlossplatzwiese (vor Rückbau)
Über die Nutzung des Humboldtforums wird nach wie vor gestritten. Die drei Partner, die das Schloss aufbauen wollen – die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die Humboldt-Universität und die Zentral- und Landesbibliothek –, sind sich über die Verwaltung der Ein-, Zu- und Übergänge nicht einig. Und wie lässt sich der Einzug der Landesbibliothek damit vereinbaren, dass diese gleichzeitig einen Neubau auf dem Tempelhofer Feld plant?
Geschäftsführerwohnung
Die radikalste Zwischennutzung für das Humboldtforum genannte Schloss wäre gewesen, die Nachfahren der Hohenzollern wieder darin anzusiedeln. Mit Georg Friedrich Prinz von Preußen könnte man nicht nur den legitimen Anwärter auf den Deutschen Thron berufen, sondern auch einen jungen und sympathischen Schlossherrn. Alternativ zum Preußenerben hätte über den Einzug des Kaisers, Beckenbauer samt DFB, nachgedacht werden können. Fußballgroßveranstaltungen im Schlüterhof, Großbildleinwände in Agora und Eingangshallen, Fanshops, Fußballmuseum – so wäre das Schloss im Handumdrehen wieder zum Volkspalast geworden. Doch das aktuelle Konzept plant mit Touristen, die Eintrittskarten und Souvenirs einkaufen, Kaffee, Eis und Cola konsumieren und nebenbei Millionen digitaler Schlossfotos knipsen.
Auf das bedeutendste nationale Rückbauvorhaben der kommenden Jahre sind wir – und wenn ich „wir“ sage, meine ich mich: Marion „Rigoletti“ Pfaus, Geschäftsführerin von humboldt21 – gut vorbereitet. Seit knapp zwei Jahren sammelt humboldt21 Spenden für den Rückbau. Wie langwierig und kostspielig ein Rückbau werden kann, wissen wir spätestens seit dem Palast der Republik. Der Baubeginn des Humboldtforums dient uns daher als Motivation, um Spenden für den Rückbau einzuwerben. Seit Eingang der ersten Spendengelder von 0,05 Euro im September 2011 ist die Spendenbereitschaft für humboldt21 um 792.420 Prozent auf 396,21 Euro gestiegen. Zur weiteren Erhöhung des Volumens hat humboldt21 im Mai 2013 ein Wettbüro eröffnet, in welchem Wetten auf den Eröffnungstermin des Humboldtforums angenommen werden. Der Wetteinsatz beträgt 2 Euro. Davon geht einer in den Gewinntopf, der andere bleibt bei humboldt21 als Spende. Der Jackpot wird im richtig getippten Monat mit Jahr ausgezahlt.
Den pessimistischsten Wettkandidaten zum Trotz hoffen wir, dass die Bauverzögerung bei dem Großprojekt Wiederaufbau nicht zu gewaltig ausfällt – auch humboldt21 hat einen Zeitplan! Am 6. August 2050, dem 100. Jahrestag der Schlosssprengung, wollen wir im Rahmen der Jubiläums-Schloss-Spreng-Facebook-Party mit einer Sprengung der Schlossreste den Rückbau abschließen. Facebook-Freunde können sich jetzt schon anmelden!
Zusätzlich zu den üblichen Bauverzögerungen wie Wassereinbruch, Kostenexplosion, Baumängelbeseitigung oder Kompetenzgerangel könnte beim Humboldtforum die Debatte um Fehlbeträge der privaten Bausumme von 80 Millionen Euro zu Buche schlagen. Laut Bundestagsbeschluss muss die Fassade nämlich privat finanziert werden – und eben da tut sich eine Finanzierungslücke auf. Die Spendenuhr des Fördervereins Berliner Schloss e.V., der mit seinem Geschäftsführer Wilhelm von Boddien seit vielen Jahren Geld für die historisierende Fassade sammelt, weist zum Zeitpunkt des Baustarts ein Minus von 66,45 Prozent aus. Erschwerend kommen unklare Finanzverhältnisse hinzu. „Kassenstand ist nicht gleich Spendenstand“, heißt es: Wie viel der eingenommenen Spenden fließen tatsächlich in den Bau, wie viel bleibt beim Verein für laufende Kosten wie Geschäftsführergehalt und Geschäftsführerwohnung in Berlin (Boddien lebt in Hamburg) sowie PR? Der ausübende Architekt für Fassadenplanung, ein Herr Stuhlemmer, hat sich den Auftrag als Vereinsvorsitzender selbst erteilt. Wie viele Vereinsmitglieder müssen noch mit Jobs versorgt werden? Wie viele Spendengelder sind im bisherigen Kostenplan gar nicht enthalten, weil zweckgebunden, wie das Geld eines anonymen Spenders für die Kuppel? Vor allem: Von wem soll das fehlende Geld kommen?
Mein Vorschlag für eine kostengünstige Lösung: Die Südseite des Schlosses bekommt ebenfalls die von Franco Stella für die Ostseite entworfene moderne Fassade. Die Westansicht wird so gebaut wie geplant und die Nordseite zum Lustgarten hin erhält eine Mischfassade aus historischen und modernen Elementen.
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Exklusive Dokumente aus den Planungen von humboldt21: Fassadenteile (mit Rückkaufpreis)
Nachrückbauzeit
Der Förderverein Wilhelm von Boddiens verkauft, um das Spendenvolumen zu erhöhen, einzelne Fassadenteile, sogenannte Schmuckelemente, für das künftige Schloss. Diese Idee möchten wir von humboldt21 übernehmen und diese Elemente zu den exakt gleichen Preisen wieder vom Schloss weg verkaufen. Selbstverständlich müssten die Eigentumsverhältnisse noch geklärt werden. Wem gehört die Fassade? Müsste den ursprünglichen Schmuckelemente-Käufern ein Rückkaufsrecht eingeräumt werden? Nur die Kuppel kann direkt verkauft werden, da hier der Spender anonym bleiben möchte. Um das professionell zu klären, bräuchten wir, also ich, einen Anwalt oder eine Anwältin. Der Etat für ein Mandat kann auf der Website humboldt21.de unter dem Button „Transparenz“ eingesehen werden. Dort wird laufend der Stand unseres Spendenkontos angezeigt.
Mit der Eröffnung des Humboldtforums wird humboldt21 den Verkauf der Fassadenelemente starten, diese nach Geldeingang rückbauen und zustellen. Auch die Betonelemente aus dem Innern könnten wiederverwendet werden. Wenn die Außenhaut des Humboldtforums nicht mehr geschlossen ist, sollte die Ausstellung abgebaut, die Bücher und Exponate abgeholt worden sein. Wohin? Zurück nach Dahlem?
Ein klares Signal für die Völkerverständigung in Zeiten der Globalisierung wäre die Rückgabe sämtlicher Exponate an ihre jeweiligen Heimat- beziehungsweise Fundorte. Damit könnte so mancher Streit um Raub- und Beutekunst beigelegt werden. Man könnte in dem Zusammenhang auch die ehrgeizigen Ziele der aktuell laufenden Humboldt-Labs in Dahlem aufgreifen, des Vorprogramms zur Schlossnutzung. Dort wird nach noch nie da gewesenen Ausstellungskonzepten geforscht. In enger Zusammenarbeit mit Künstlern könnten Herkunft, Verbleib und Heimkehr der Exponate dokumentiert, interpretiert und in virtuellen Museen für alle überall auf der Welt zugänglich gemacht werden.
Aus Gründen der Nachhaltigkeit und Weitsicht müsste freilich auch darüber nachgedacht werden, was nach einem erfolgreich abgeschlossenen Rückbau des Humboldtforums auf dem Berliner Schlossplatz passiert. Wie wird er im Jahre 2099 aussehen? Wer dazu eine Idee hat, kann diese skizzieren und an humboldt22@humboldt21.de schicken. Außerdem sind Sie natürlich aufgerufen, humboldt21 mit einer Spende zu unterstützen. Spielen Sie mit und wetten Sie!
Marion Pfaus alias Rigoletti ist gebürtige Badenerin und lebt seit 2000 in Berlin. Entspezialisierte Medienartistik nennt sie das, was sie tut. Mehr unter rigoletti.de, humboldt21.de und auf youtube.com/user/RigolettiM
A Place to be, not to stay Rückbauhistorie des Schlossplatzes
16. Jahrhundert
1538 wird die Zwing Cölln, die Burg Eisenzahns (Kurfürst Friedrich II., 1440 – 1470), rückgebaut (Abtragen) und durch eine Kopie des Torgauer Schlosses ersetzt
17. Jahrhundert
Während des 30-jährigen Kriegs baut sich das Schloss selbst rück (Verfall). Als seine eigene Kopie wieder aufgebaut. 1681 Rückbau der Stechbahn, eines 1538 angelegten Turnierplatzes
18. Jahrhundert
Zahlreiche Rück-, Um- und Anbauten unter Andreas Schlüter (Schlossbaumeister). 1706 wird etwa der 100 Meter hohe Glockenturm aus Sicherheitsgründen rückgebaut (sog. Münzturmkatastrophe). Die Kosten überschreiten die gesamten Schlossbaukosten, Schlüter verliert Job. 1747 wird unter Friedrich dem Großen an der Südseite des Schlosses die Domkirche rückgebaut und als Dom im Lustgarten wieder aufgebaut.
19. Jahrhundert
Anfang des 19. Jahrhunderts werden die Skulpturen der Dachbalustraden rückgebaut (Renovierungsarbeiten).
1850 erhält das Schloss seine Kuppel. 1888 Rückbau der Hofapotheke (Verkehrsflussverbesserung). 1894 Rückbau der Häuser der Schlossfreiheit, um Nationaldenkmal zu errichten.
20. Jahrhundert
1950 Rückbau des Schlosses (Sprengung). Unmittelbar davor wurde das Nationaldenkmal rückgebaut. Wird 1976 ersetzt durch Palast der Republik. 1962 Rückbau der Schinkel‘schen Bauakademie. Wird ersetzt durch das DDR-Außenministerium. 1996 Rückbau des DDR-Außenministeriums. Wird ersetzt durch Wiederaufbau der Schinkel’schen Bauakademie. 1998 bis 2009Rückbau des Palasts der Republik. 2010 Rückbau der Temporären Kunsthalle Berlin
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