Sprungprozessionen ums Häppchenbuffet

Sachlich richtig Über Reiseberichte und 111 Orte ... die man gesehen haben muss
Ausgabe 31/2014
Sprungprozessionen ums Häppchenbuffet

Illustration: Der Freitag

Wo Stephan Wackwitz ist, ist wissendes Zentrum, ob er nun, wie letztens, durch „das Herz Europas“ reist oder, wie jetzt, sich in „die Mitte der Welt“ stellt. Da geht es nicht ohne „bekanntlich“, „habe ich schon immer“ und Muss-Dekrete ab. So gewiss, wie einst nur KBWler oder andere Weltverbesserer waren. Dennoch lohnt das Buch über seine Bewegungen durch Georgien, Armenien und Aserbaidschan, weil er nicht nur sieht, was er weiß, sondern auch weiß, was er sieht. Die Traditionslinien des Sowjetimperiums – wo es beherrschen musste, um Imperium zu sein; wo es Freiräume lassen musste, um herrschen zu können – werden luzide an der Architektur vorgeführt, zwischen Utopie, Anarchie und einfach Sympathie. „Der Heimweg, denke ich auf dem Heimweg oft, ist eigentlich das Schönste an diesen Abenden.“ Ohne das „oft“ wäre der Satz noch schöner, aber er und seinesgleichen versöhnen mit mancher Meistermarotte.

Die Unbedarftheit von Blödmännern ist da im Vergleich geradezu wohltuend. Natürlich nur, wenn die so tun, als seien sie welche. Allein schon die Chuzpe der beiden Autoren, das dicke, meist allerdings mehr gelobte denn gelesene Wanderwerk Fontanes durch die Mark Brandenburg im Schnelldurchgang zu durchmessen! Das Land, in dem es dem roten Adler so unendlich schwer fällt, aus Sumpf und Sand emporzusteigen, die Mitte von nichts, außer von nirgendwo, gewinnt hier ihren eigenen, eben Brandenburger Charme.

Besonders beliebtscheinen seit längerem Reiseführer, die den Gewohnheiten der Aufmerksamkeitsspannenverkürzungsgehandicapten entsprechen – Springprozessionen ums Häppchenbuffet. Die Reihe 111 Orte … die man gesehen haben muss ist so erfolgreich, dass in diversen Zahlenvarianten längst abgekupfert wird, was sie eigentlich auch nicht erfunden hat. Schön ist natürlich, wenn man selbst vergleichen kann, wie verlässlich oder interessant das ist. Daher die Probe für Mecklenburg-Vorpommerns Ostseeküste. Und sie besteht! Zwar geht es hier kreuz und quer, zwar ist manches eher getwittert denn durchdacht, aber doch insgesamt für so viele Überraschungen gut, dass man es sich bei der hohen Trefferquote zwischen Baaber Bollwerk und der verbotenen Insel Wustrow, dem Prerower Strom oder dem Schmiedeberg in Rerik, dem Fischhandel Rasmus in Stralsund und der Broilerbar in Warnemünde touristisch wohnlich machen kann – zu Hause oder vor Ort.

Und der Klützer Winkel, genauer das Uwe-Johnson-Literaturhaus in Klütz kommt natürlich auch vor. Obwohl man sich immer noch streitet, ob Uwe Johnson je in Klütz vorkam. Indes soll er einen Vetter dort gehabt haben. Sei es, wie es sei. Man muss sich nicht auf Klütz allein versteifen, wenn man Uwe Johnsons Spuren folgen will. Frauke Meyer-Gosau, die vor ein paar Jahren sehr erfolgreich auf Ingeborg Bachmanns Lebenspfaden gewandelt ist, hat sich nun auf eine Reise zu Uwe Johnsons Lebensstationen begeben, so wie dieser seinerzeit nach deren Tod auf die Ingeborg Bachmanns. Aber anders als der montiert und collagiert sie nicht, sondern autopsiert, prüft, fragt nach – und erzählt. Daraus ist ein durchaus weitgespannter, weithin spannender Reise-, Lebens- und Literaturbericht geworden, von der pommerschen Ostseeinsel Wollin über Anklam, Güstrow, Rostock, Leipzig, Berlin (West) und New York nach Sheerness auf der trostlosen Themse-Insel Sheppey. Wie es der Autorin gelingt, die eigenen Reiseimpressionen mit den Stimmungen und mehr nowch Unstimmlichkeiten des bis heute großartigen Autors zu akkordieren, ist selbst großartig.

Die vergessene Mitte der Welt. Unterwegs zwischen Tiflis, Baku, Eriwan Stephan Wackwitz, S. Fischer 2014, 256 S., 19,99 €

Wir sind jetzt hier. Neue Wanderungen durch die Mark Brandenburg Björn Kuhligk, Tom Schulz Hanser Berlin 2014, 272 S., 17,90 €

111 Orte an der Ostseeküste Mecklenburg-Vorpommerns, die man gesehen haben muss Alexandra und Jobst Schlennstedt Emons 2014, 240 S., 14,95 €

Versuch, eine Heimat zu finden. Eine Reise zu Uwe Johnson Frauke Meyer-Gosau C. H. Beck 2014, 296 S., 22,95 €

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