St. Jimmy

Kommentar Neutronenbombe, Menschenrechte, Friedensnobelpreis

Dass er mit dem Friedensnobelpreis geehrt wird, nur ein paar Wochen nach seinem unüberhörbaren Protest gegen Bushs Irak-Politik, das ist eine Art internationale Kopfnuss für den amtierenden Präsidenten. Denn James Earl Carter wurde in den vergangenen Jahren ein Symbol für das "andere" Amerika: Als Beobachter für faire Wahlen in aller Welt, privater Vermittler bei Konflikten von Korea bis Eritrea, Initiator einer erfolgreichen Kampagne zur Ausrottung der Guineawurm-Krankheit. Carters Habitat for Humanities-Hilfsprojekt hat in den USA zehntausende Eigentumswohnungen für Bedürftige gebaut.

Der 78-jährige Ex-Präsident findet im eigenen Land heute mehr Respekt als damals der Präsident Carter. Der Baptist Carter führt seinen Landsleuten eine andere Art des Christentums vor, die mit ihrer Toleranz und praktizierten Nächstenliebe anders ist als die amerika-patriotische Version der rechtskonservativen Prediger, die jetzt den Angriff auf den Irak absegnen.

"Eine tragische Figur" - diese Beschreibung würde Jimmy Carter wohl für sich selber nie zulassen. Andererseits: Wenn man sieht, was er im Ruhestand alles tut für Versöhnung, Demokratie und soziale Gerechtigkeit, fragt man: Wo war dieser "gute" Carter im Weißen Haus? Als Präsident von 1977 bis 1981 hat der frühere Marineoffizier, Erdnussbauer und Gouverneur nämlich so manche Veränderung eingeleitet oder hingenommen, gegen die er sich jetzt zur Wehr setzt. Carter, das waren auch die Neutronenbombe, die Pershing II, die Gründung der Schnellen Eingreiftruppen zum Schutz der Ölfelder im Nahen Osten, Sozialabbau, Ende der Detente. Das war seine scharfe Reaktion auf die, wie man heute weiß, in Wirklichkeit nur sehr zögernde sowjetische Intervention in Afghanistan.

Jimmy Carter, das war auch sein Unvermögen, gegen die antikommunistischen Hetzer in seiner eigenen Regierung aufzustehen, die dankbar waren über den Kollaps der Entspannung. Oder sein Versagen, einer kränkelnden, reformunwilligen Sowjetunion Türen zu öffnen.

Gewählt wurde Carter nach dem Gerald-Ford-Interregnum und dem Richard-Nixon-Skandal mit finanzkräftiger Hilfe vieler gutbetuchter Geber, gewissermaßen als einer (Wahlslogan: "Ich werde Sie nie anlügen"), der das arg zersplitterte Amerika kitten sollte. Ein vermeintlicher Mann des Volkes, der bei seiner Amtseinführung nicht in der Limousine zum Weißen Haus fuhr, sondern ein Stück des Weges zu Fuß zurücklegte.

Da kann man lange rätseln, ob denn der überzeugte Christ den in die Reagan-Ära mündenden Rechtstrend wirklich gewollt hat: Vielleicht ja, vielleicht hat er sich erst nach den Jahren als Präsident gewandelt. Das Scheitern des Gutmenschen Carter (nicht spöttisch oder ironisch gemeint) im Weißen Haus zeigte wohl Grenzen des politisch Machbaren auf. Der Präsident a.D. darf sich für Reformen und Karitatives einsetzen und wird gelobt. Als Präsident durfte er viel weniger. Vermutlich doch eine tragische Figur.

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