Mali Mit den zerstörten Mausoleen von Timbuktu haben Al-Qaida-Filialen nicht nur Macht demonstriert. Sie beanspruchen, eine ganze Region in ein Kalifat zu verwandeln
Was bringt Muslime dazu, muslimische Kultstätten zu zertrümmern? Am 30. Juni und am 1. Juli zerstörten Salafisten der islamistischen Gruppe Ansar ad-Din in Timbuktu – der tausendjährigen Stadt im Norden Malis – Jahrhunderte alte Mausoleen und Moscheen. Zwei Tage zuvor hatte die UNESCO diese Stätten noch zum Weltkulturerbe erklärt. Ein Rettungsversuch in letzter Minute, der möglicherweise eine Kulturschändung noch beschleunigt hat, die mit Axt und Hacke sowie unter lautstarker Verhöhnung der Vereinten Nationen stattfand.
Man kann die Zerstörer der Grabstätten mit frühprotestantischen Bilderstürmern vergleichen, die den Prunk in katholischen Kirchen nicht ertrugen. Es ging ihnen dabei nicht nur um die Abkehr von exor
r von exorbitantem Reichtum. Sie wollten zugleich den Maximen der Urgemeinde Geltung verschaffen, die sich noch nicht vom jüdischen Bilderverbot befreit hatte und auch keine Heiligenverehrung vorsah. Beides wurde erst im Jahr 431 durch das Konzil von Ephesos mit der Legalisierung des in der Volksreligion schon lange präsenten Marien-Kults enttabuisiert.Um sein radikal monotheistisches Dogma der Einzigartigkeit Gottes zu bekräftigen, kämpft der Islam seit jeher nicht nur um den Erhalt des Bilderverbots. Ihm ist jegliche Heiligenverehrung suspekt. Nichtsdestotrotz bricht sie sich auch in dieser Religionsgemeinschaft dank eines magischen Volksglaubens immer wieder Bahn. In Nord- und Westafrika geschieht das durch den Marabutismus. Das heißt, weise und wohltätige Persönlichkeiten gelten hier schon zu Lebzeiten als mit übernatürlichen Kräften ausgestattet. Von ihnen holen sich besonders religiöse, wenig gebildete Frauen Rat und Hilfe. Nach den Vorstellungen der Gläubigen erlöschen die Kräfte des Marabus nicht mit dem Tod, weshalb ihm seit Jahrhunderten ein markantes Grabmal gesetzt wird, das als Pilgerziel dient. In unmittelbarer Nähe einer solchen Ruhestätte kann dann eine Moschee entstehen, wie das etwa zum Andenken an Sidi Yahia geschah, einen in Timbuktu als Wundertäter verehrten Imam aus dem 15. Jahrhundert, dem einst Tuareg eine Moschee errichteten.Der in in Saudi-Arabien gepflegte moderne Wahhabismus und der aus ihm entspringende Salafismus treten nun allerdings für die Rückkehr der Muslime in die angeblich harmonische Zeit der ersten vier „rechtsgeleiteten Kalifen“ ein. Sie bekämpfen sämtliche abweichende Formen des Islam und stören sich an lokalen Traditionen. Die haben in der Westsahara zu einem Islam geführt, der von sufistischen, schwarzafrikanischen und berberisch-matriarchalen Vorstellungen lebt. Für das Hegemoniestreben des saudischen Islamismus stellt er eine kulturelle Barriere dar. In Timbuktu hat dieser Religionskampf nun zu barbarischer Destruktion geführt.Drogenbarone der SaharaDoch steckt hinter den Geschehnissen mehr als brachial ausgetragener Glaubensstreit. Seit Monaten tobt im Norden Malis ein unerbittlicher Machtkampf, der eine ausgehungerte und verzweifelte Bevölkerung in Geiselhaft nimmt, soweit sie nicht in die Nachbarländer fliehen kann. Die Ende 2011 aus dem zerfallenden Libyen mit modernen Waffen zurückkehrenden Tuareg-Kämpfer hatten im Februar die Armee aus dem nördlichen Drittel des Landes vertrieben und ihren unabhängigen Staat Azawad ausgerufen. Unterschätzt haben sie wohl, dass die Armee der Zentralmacht hier nur noch eine symbolische Präsenz markierte, während die wahre regionale Macht im Zusammenspiel von Al-Qaida-Ablegern und Drogenbaronen lag, die sich mit transsaharischem Kokain- und Zigarettenhandel finanzieren. Gelegentlich auch mit Geiselnahmen.Das Mouvement National pour la Libération de l’Azawad (MNLA) sah sich rasch gezwungen, eine Allianz mit den Islamisten einzugehen. Ihr Wille zur Sezession richtete sich zwar gegen die malinesische Armee, sollte aber keineswegs einer Einführung der Scharia in Nordmali Vorschub leisten. Es entstand eine paradoxe Situation: Die Tuareg wollten die Scharia nicht – die Führer der Ansar ad-Din wollten den nördlichen Separatstaat, aber nur als Vorstufe einer salafistischen Herrschaft über ganz Mali. Folglich zerfiel das Bündnis, und Ende Juni erschoss Bouna Ag-Attayoub, ein Oberst des MNLA, einen der wichtigsten Anführer von Ansar ad-Din während eines Inspektionsbesuches in Gao. Mokhtar Belmokhtar stammte aus dem algerischen Ghardaia, war Mitglied der Groupe Islamique Armé und wurde – seit er sich vor zwölf Jahren mit al-Qaida in der Sahara verband – auch von Interpol gesucht.Durch den Verlust dieser Führungsfigur, die ein Kalifat im gesamten Sahel proklamiert hatte, blieb der Gruppe Ansar ad-Din offenbar nur die Wahl, ihren extremistischen Kurs zu verstärken. So vertrieb sie den MNLA aus allen Städten Nordmalis, einschließlich Timbuktus. Die Zerstörung der dortigen Heiligtümer besiegelte symbolisch den vorläufigen Sieg über den Konkurrenten.Mali selbst gibt inzwischen das erschütternde Bild eines failed state ab. Weil die Armee über keine geeignete Ausrüstung verfügt, steht Hauptmann Amadou Sanogo, der Führer des Putsches vom 21. März, dem Geschehen im Norden genauso machtlos gegenüber wie die alte, demokratisch gewählte Führung des Landes. Unter der schwarzafrikanischen Mehrheit konnte sich Sanogo offenkundig etwas Sympathie verschaffen, weil er die bisherige neoliberale Politik als tiefere Ursache der Staatskrise benennt, die nicht nur die Nordregionen betrifft. Unter dem Druck von Schulden und Privatisierungen, die unter anderem das öffentliche Eisenbahnnetz betrafen, fand eine auf die Integration des völlig unterentwickelten Nordens gerichtete Politik nicht mehr statt. So konnten sich die traditionellen Spannungen zwischen den berberischen und maurischen Volksgruppen einerseits und der schwarzafrikanischen Mehrheit im Süden andererseits nur verschärfen.Flirt mit den IslamistenDoch kümmert sich die Wirtschaftsgemeinschaft der westafrikanischen Staaten (ECOWAS), zu der Mali gehört, weniger um die Zustände in Nordmali als um die Legitimität der Regierung in Bamako. Wenn deshalb gar mit einer Intervention gedroht werde, kritisiert Aminata Dramane Traoré, ehemalige malinesische Kulturministerin, gegenüber der Internet-Zeitung Slate Africa, sei niemandem wirklich geholfen. ECOWAS gehe es nur um die Restauration einer demokratischen Fassade. Ansonsten hätten die westafrikanischen Eliten und ihre internationalen Gewährsleute nur ein Interesse: Sie wollten, dass auch in Bamako der neoliberale Kurs fortgesetzt werde. „Es reicht nicht, Menschen, die von Arbeitslosigkeit und anderen Widrigkeiten geplagt sind, zu sagen, dass sie ihre Führer wählen und dann Ruhe geben sollen, während eine Politik in Gang gesetzt wird, die externe Geldgeber diktieren.“ Mali brauche einen Systemwechsel, der dazu führe, dass endlich elementare Bedürfnisse der Menschen in den Blick der Politik gerieten. Dazu gehöre ein nationaler Dialog aller Volksgruppen ohne jede Diskriminierung. Das beträfe auch die Tuareg-Rebellen, die sich in ihrer Allianz mit den Islamisten getäuscht hätten. Keine regionale oder überregionale Macht dürfe sich direkt oder indirekt einschalten, besonders nicht diejenigen, die sich für die Rohstoffe und agrarisch nutzbaren Flächen des Sahel interessierten wie China. Vor allem aber sollten Saudi-Arabien und Katar suspendiert werden, Frankreich und die USA jegliches Flirten mit den Islamisten unterlassen.Aminata Dramane Traorés Vision ist wohl allzu idealistisch. Wie sollte der Einfluss ausländischer Mächte verhindert werden? Auch wurde zu wenig getan, um den Graben zwischen Malis Zentralregierung und den Tuareg nicht unüberwindbar werden zu lassen.Algerien in Mali?Irritierend ist derzeit, dass Algerien von Paris und Washington gedrängt wird, in Nordmali militärisch für Ordnung zu sorgen, weil es als einzige Maghreb-Macht dazu in der Lage scheint. Die Franzosen fürchten ein Übergreifen der Tuareg-Revolte auf Niger, von wo sie einen Großteil ihres Uraniums beziehen. Die USA sind wegen der Verbindung der Islamisten zu den internationalen Drogenkartellen beunruhigt.Manthia Diawara, malinesischer Literaturprofessor in den USA, begründete Algeriens „Pflicht“ zur Intervention im Interview mit der in Algier erscheinenden Zeitung El Watan damit, dass ein Teil der islamistischen Aktivisten in Nordmali schließlich aus Algerien stamme. Bislang hat die Regierung Bouteflika Vorstöße in benachbarte Länder stets abgelehnt, was nichts daran ändert, dass sie zwischen der Regierung in Bamako und den Tuareg vermittelt. Eine Diplomatie der Schadensbegrenzung, weil die Tuareg enge Verwandte auf algerischem Territorium haben und ein Konflikt wie in Mali auch dort denkbar ist.Dennoch erscheint es nicht völlig ausgeschlossen, dass Algerien in der Mali-Krise einen aktiveren Part übernimmt, der über den Schutz der eigenen Grenzen hinausgeht. Alles andere könnte die gedeihlichen Beziehungen zu Frankreich und den USA belasten. Gelöst wäre der vielschichtige malinesische Konflikt damit freilich nicht. Im Gegenteil, Algier könnte sich eine offene Flanke einhandeln.
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