NPD-Verbot Zwei Studien untersuchen die antisemitische Propaganda von führenden NPD-Mitgliedern. Auf dem Prüfstand steht vor allem die V-Leute-Praxis des Verfassungsschutzes
Wer schützt uns vor dem Verfassungsschutz? Die Frage, die Bürgerrechtler aus Thüringen vor zwei Jahren gestellt haben, hat an Aktualität nichts eingebüßt. Damals muss der Verfassungsschutz in dem Gewerkschafter und aktiven Antirassisten Angelo Lucifero einen Linksextremisten gesehen haben. Der Geheimdienst soll einen Spitzel für eine Kampagne gegen Lucifero bezahlt haben. Ein für Neonazis und den Dienst gemeinsamer Feind? - Weitere Fälle von Enttarnungen häuften sich nicht erst seit Februar, als sie im Zusammenhang mit dem NPD-Verbotsverfahren besondere Brisanz bekamen. Am Montag haben die Antragsteller im NPD-Verbotsverfahren dem Bundesverfassungsgericht grünes Licht für Auskünfte über ihre V-Leute-Praxis gegeben. Sie h
n. Sie haben bestätigt, dass seit vielen Jahren jeder Siebte im Vorstand der NPD für den Verfassungsschutz arbeitet. Nun ist belegt, dass der Verfassungsschutz in großem Stil Leute deckt und finanziert, deren Absichten es sind, eine menschenverachtende Stimmung herbeizuführen und letztlich die demokratische Grundordnung zu kippen. Immer mehr scheint sich die These zu bewahrheiten, die der Aussteiger Jörg Fischer in seinem Buch über das NPD-Verbot vollkommen ohne Hohn aufgestellt hat: Dass die Auflösung des Verfassungsschutzes ein schwerer Schlag für die neonazistische Szene wäre, da ihr damit ein wichtiger Arbeit- und Geldgeber abhanden kommen würde. Seit die V-Leute ins Gerede gekommen sind, hat die NPD eine geschickte Strategie eingeschlagen: Sie behauptet nun, all diese Leute seien der Beweis, dass der Geheimdienst selbst für antidemokratisches Verhalten gesorgt habe, um dem Staat die Mittel für ein Verbot der NPD an die Hand zu geben. Die antisemitischen, rassistischen und antidemokratischen Äußerungen, die der NPD angelastet würden, seien sämtlich durch V-Leute geäußert worden. Noch vor der Stellungnahme von Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat hatte vergangene Woche die Grüne Fraktion eine Studie vorgestellt, die das Verbotsverfahren, das durch die Enthüllungen der V-Leute im Vorfeld so erschüttert worden ist, stützen soll. Sie wurde von Juliane Wetzel und Christina Herkommer vom Zentrum für Antisemitismusforschung Berlin erstellt und analysiert Publikationen der NPD auf ihren antisemitischen Gehalt hin. Die Ergebnisse sind kaum erstaunlich: unter anderem finden sich dort falsche historische Analogien und Vergleiche, die sich auf die Verfolgung und Vernichtung der Juden im nationalsozialistischen Deutschland beziehen, erdrückende Polemik gegen die Erinnerung an die jüdischen Opfer des NS und Verhöhnung der Opfer sowie der Gebrauch einzelner Schlüsselwörter oder Wortverbindungen, die einen rassistischen Antisemitismus repräsentieren. Die Studie orientierte sich bei ihrer Analyse nicht an bestimmten Verfassern, sondern an Themen. Deshalb wird auch nicht explizit gemacht, welche Autoren hinter den Artikeln stecken. Gerade im Hinblick auf das V-Leute-Problem ist dies ein Versäumnis. Eine andere Studie, die von der PDS beim Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung (DISS) in Auftrag gegeben wurde, hat sich unter dem Titel "V-Leute bei der NPD - Geführte Führende oder Führende Geführte?" genauer die Aktivitäten der NPD-Funktionäre und V-Leute Wolfgang Frenz und Udo Holtmann vorgenommen. Beide waren maßgeblich an der Zeitschrift Deutsche Zukunft beteiligt, Holtmann als presserechtlich Verantwortlicher und Frenz als Hauptautor, der auch, wie er selbst in seinem kürzlich erschienenen Buch bestätigt, unter verschiedenen Pseudonymen schrieb. Zwei V-Leute bestimmten also wesentlich die Inhalte der Parteizeitung. Udo Holtmann, der mit einer kurzen Unterbrechung 24 Jahre für das Bundesamt für Verfassungsschutz tätig war (1978-2002) war fast während der ganzen Zeit Chefredakteur der Parteizeitung Deutsche Stimme. Vieles deutet darauf hin, dass die NPD über die Spitzeltätigkeit Holtmanns Bescheid wusste. Besonders pikant ist die Tatsache, dass auch dem Verfassungsschutz mindestens seit 1997 klar gewesen sein muss, dass Holtmann die NPD über seine Doppelfunktion aufgeklärt hat und man sich trotzdem nicht von ihm getrennt hat. Zumindest für die Verwertbarkeit der Informationen dieses V-Manns hatte diese Tatsache doch erhebliche Auswirkungen. Schließlich müsse man, wie in der Studie von den Autoren Martin Dietzsch und Alfred Schobert betont wird, immer davon ausgehen, dass "V-Leute die Möglichkeit haben, die von ihnen weiterzugebenden Informationen nach ihrem Ermessen und gemäß ihrer persönlichen politischen Interessen zu selektieren und zu filtern, es also an Nachrichtenehrlichkeit fehlen lassen". Frenz tut sich in einer Vielzahl von Artikeln mit antisemitischer Hetzpropaganda hervor, ein Umstand, den der Verfassungsschutz als Grund für den Abbruch des Kontakts 1995 anführt. Er überschreitet dabei bisweilen die Grenze zur Holocaust-Leugnung, zum Beispiel 1993 unter dem Titel "Auschwitz abreißen": "Wir nordrhein-westfälischen Nationaldemokraten würden wohl Verständnis haben, wenn mit deutschen Steuermitteln ein Abbruchunternehmen mit großer Abrißbirne finanziert würde, damit der Ort, der die Quelle von Erniedrigungen und Erpressungen von Juden und Deutschen ist, beseitigt wird, so dass nicht weiterhin die Herzen nachwachsender Generationen von Juden und Deutschen durch eine Holocaustlegende vergiftet werden können." Die zweimalige Nennung von "Juden und Deutschen" sehen die Autoren als wirre Schutzbehauptung, die Stoßrichtung des Textes würde es erlauben, das zweimalige "Juden und" getrost zu streichen. Die Studie arbeitet heraus, dass diese Passage nach zeitgenössischer Rechtsauffassung wohl den Tatbestand erfüllte, der mit "qualifizierter Auschwitzleugnung" bezeichnet wird. Doch strafrechtliche Konsequenzen gab es bislang nicht. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit schließen die Autoren der Studie aus, dass Holtmann und Frenz durch den Verfassungsschutz zu den hetzerischen Veröffentlichungen angestiftet worden seien. Doch die Arbeit vom DISS könnte dennoch kaum als Stützung des NPD-Verbotsverfahrens dienen. Sie stellt vielmehr die V-Leute-Praxis des Verfassungsschutzes grundlegend in Frage. Zwar gehen Dietzsch und Schobert nicht so weit, wie die Thüringer Bürgerrechtler, die seinerzeit eine Abschaffung des Verfassungsschutzes forderten; sie sehen jedoch einen dringenden Bedarf, die V-Leute-Praxis der Verfassungsschutzämter grundsätzlich zu überprüfen. Am Ende steht die Frage, ob es nicht an der Zeit sei, "das V-Mann-Unwesen endlich vollständig zu beenden". Durch die Erklärung vom Montag hat sich die Situation zwar entzerrt. Doch dass die Öffentlichkeit nicht einbezogen wird, verhindert die weitere Aufklärung der dubiosen Rolle des Verfassungsschutzes. Welche Beweiskraft die Aussagen der Spitzel vor Gericht überhaupt haben können, wird sich noch zeigen. Bis zum öffentlichen Erörterungstermin Anfang Oktober muss das Gericht jetzt Akten studieren.
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