Muslimische Verbände fordern seit langem Islamunterricht an öffentlichen Schulen. Bundespräsident Köhler unterstützte dies in seiner Berliner Rede vergangene Woche. Auch die Islamkonferenz, initiiert von Bundesinnenminister Schäuble, diskutierte nun das Thema Islamunterricht als ordentliches Lehrfach. Was spricht für, was gegen diese Forderung?
FREITAG: Brauchen wir in Deutschland ein flächendeckendes Angebot für Islamunterricht an öffentlichen Schulen?
MICHAEL KIEFER: Ja, damit die muslimische Religionsgemeinschaft in den Schulen den anderen Religionsgemeinschaften faktisch gleichgestellt wird. Das ist ihr gutes Recht. Protestanten, Katholiken, Juden oder Orthodoxe haben im Geltungsbereich des Grundgesetzes Artikel 7, Absatz 3 einen ordentlichen Religionsunterricht, der fester Bestandteil der Stundentafel ist, und den Muslimen sollte man perspektivisch auch ein solches Recht einräumen.
Über die Frage Islamunterricht wird schon seit vielen Jahren diskutiert. Weshalb kommt man so schwer weiter?
Zum einen gibt es keinen klaren Ansprechpartner, mit dem sich Unterrichtsinhalte abstimmen lassen. Wir haben zwar mehrere Verbände, die als Ansprechpartner auftreten, es bestehen jedoch Zweifel bezüglich ihrer Repräsentativität und ihrer Ausrichtung. Der türkische Dachverband DITIB, der Zentralrat der Muslime, der Islamrat und der Verband der Islamischen Kulturzentren (VIKZ) vertreten vielleicht zehn bis 15 Prozent der Muslime in Deutschland. Die allermeisten Muslime sind nicht organisiert und können so auch nicht ihre Interessen bei den Ländern vertreten. Ein anderes Problem ist die Ausrichtung einiger Verbandsmitglieder, wie zum Beispiel beim Islamrat die islamische Gemeinschaft Milli Görüs, die ja vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Ob es nun mit dem Gremium Deutsche Islamkonferenz gelingt, einen verbindlichen Ansprechpartner zu finden, wird sich erst noch zeigen.
Wer sollte Ihrer Ansicht nach islamischen Religionsunterricht erteilen?
Es sollten möglichst an staatlichen Hochschulen ausgebildete ordentliche Islamlehrer sein. Davon sind wir derzeit noch weit entfernt, weil wir lediglich in Münster einen Erweiterungsstudiengang für das Fach haben. Perspektivisch sollte es aber so sein, dass islamische Theologie ebenso wie katholische Theologie oder ähnliche Fächer auch an deutschen Universitäten studiert werden kann.
Wäre das dann ein "deutscher Islam", wie ihn offenbar das Bundesinnenministerium anstrebt?
Der Formulierung kann ich offen gestanden wenig abgewinnen. Die Menschen praktizieren ja ihre Religion, die sie größtenteils aus ihren Heimatländern mitgebracht haben. Zunächst sollte man erreichen, dass das Personal in den Moscheen von hier kommt, dass also der so genannte "Imam-Import" aufhört. Diese Praxis führt dazu, dass der Islam hier nicht heimisch werden kann, da dieses Personal des Deutschen nicht mächtig ist. Bei DITIB beispielsweise sind die Imame türkische Beamte, die nach vier oder fünf Jahren wieder zurückgehen und durch neue Leute ersetzt werden, die dann wieder die gleichen Sprachprobleme haben. Erst wenn das Personal in den Moscheen auch mit der Umgebung kommunizieren kann, gibt es eine Grundlage für einen Dialog im Umfeld der Moscheegemeinden.
Würde der staatliche Islamunterricht die Unterweisungen in den Koranschulen ersetzen?
Nein, man muss unterscheiden zwischen der Gemeindeerziehung und der schulischen Erziehung. Die Gemeindeerziehung "hin zum Glauben" wird auch in Zukunft in den Moscheegemeinden stattfinden und nicht in der Schule. Der schulische Islamunterricht ist anders strukturiert als der Gemeindeunterricht. Wir brauchen aber in beiden Bereichen qualifizierte Fachkräfte, die hiesigen Standards entsprechen. Das ist im Moment noch nicht der Fall.
Kritiker sagen, der Islam habe einen politischen Anspruch, sei daher ungeeignet für staatlichen religiösen Unterricht.
Das kann man so nicht sagen. Es gibt selbstverständlich viele muslimische Organisationen, die eine politische Ausrichtung haben, aber es gibt ebenso viele oder sogar noch mehr Muslime, die einfach ihren religiösen Handlungen nachgehen und keine politischen Interessen verfolgen.
Wenn schon eine gesetzliche Verpflichtung zum Religionsunterricht besteht, wäre es nicht besser, diesen interreligiös zu erteilen?
In der Sache sinnvoller wäre das sicherlich, aber die Rechtslage gibt eine solche Unterrichtsform momentan nicht her. Ich persönlich halte sehr viel von dem Hamburger Konzept "Religion für alle". Katholiken, Protestanten, Juden und Muslime werden in diesem Unterricht gemeinsam unterrichtet. Die sonstige religiöse Erziehung ist Privatsache und findet außerschulisch statt. Aber Hamburg ist ein Sonderfall und zum Beispiel auf Nordrhein-Westfalen nicht einfach übertragbar. Ich sehe auch nicht, dass sich das ändert, denn die Kirchen sind sehr stark und werden darauf drängen, dass sie ihre Rechte beibehalten dürfen.
Das Gespräch führte Connie Uschtrin.
Islamunterricht an Schulen
Bereits seit 1984 gibt es für regulären Islamunterricht an staatlichen Schulen das Einverständnis der Kultusministerkonferenz. Doch mit der Umsetzung tun sich die Länder schwer. Die Muslimverbände beklagen, es fehle am politischen Willen, die Politik wiederum behauptet, die Muslimverbände seien sich untereinander nicht einig. Einige Bundesländer setzen derzeit Modellversuche um. Nordrhein-Westfalen bietet seit 1999 islamischen Religionsunterricht auf Deutsch an, Niedersachsen startete 2003 und Baden-Württemberg zum neuen Schuljahr 2006 Modellversuche. In Berlin ist bekenntnisorientierter Religionsunterricht freiwillig und seit dem neuen Schuljahr das Wertefach Ethik verbindlich. Seit 2001 erteilt die Islamische Föderation in Berlin islamischen Religionsunterricht an 37 staatlichen Schulen, nachdem sie sich zuvor auf dem Rechtsweg eingeklagt hatte. Dieser Organisation werden vom Verfassungsschutz Kontakte zu der islamistischen Organisation Milli Görüs unterstellt.
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