Staatsziel

linksbündig Soll die Kultur ins Grundgesetz?

Die Regierung hat abgedankt, lange bevor sie ihren Abgang organisieren konnte. Ein paar Zuckungen eingerechnet: Bedauern über das gescheiterte Europa-Projekt "Verfassung", steife Umarmungen der Verlierer. Ein paar Beschwörungen "geglückter" Reformen, deren Früchte sich ganz "gewiss" zeigen werden. Durchhalteappelle an die verschreckte rot-grüne Basis und halbherzig versprochene Überraschungen, die uns bis zur Wahl noch staunen lassen werden. Das alles ist genau so überzeugend wie die ewigen Hinhalteversprechungen von nunmehr sicher entstehenden Arbeitsplätzen, für die ja die Reformen in Deutschland angeblich gemacht waren. Gleichwohl gerieten fast alle zu Geschenken an die Besitzenden. Es hat etwas erschreckend Hochmütiges, wenn man erlebt, wie einheitlich Politiker vom "Volk, dem großen Lümmel" (Heine) ausgehen, dem die politisch Weisen seine Unwissenheit austreiben müssen. "Schlecht erklärt, keiner weiß, worum es geht", mehr fiel ihnen weder bei Hartz IV, noch bei der europäischen Verfassung ein.

Fiasko auf breiter Front. Da hört sich alles, was jetzt noch als Zwischenbericht daherkommt, an wie die Bitte um Nichtabwicklung. Seht her, wir waren doch immerhin erfolgreich, wir haben unsere Sache gut gemacht. Wir sind etwas ganz anderes als die, die uns eingesetzt haben. Der eben übergebene Bericht der Enquete-Kommission "Kultur in Deutschland" zieht denn auch eine vorwiegend positive Bilanz. Und erhält von der avisiertern Bundeskanzlerin prompt die Zusage der Fortführung. Wenn auch mit dem Hinweis, dass schließlich auf allen Gebieten Umdenken gefordert werden müsse. Die Kommission spricht sich in ihrem Bericht für ein im Grundgesetz verankertes Staatsziel Kultur aus, dem Bundestagspräsident Wolfgang Thierse und der Deutsche Kulturrat eifrig zustimmen. "Wir verstehen uns als Kulturnation, und das sollte auch in unserer Verfassung zum Ausdruck kommen", sagte die Kommissions-Vorsitzende Gitta Connemann von der CDU.

Was aber meint sie, wenn sie von Deutschland als Kulturnation spricht? Wahrscheinlich so etwas wie Identität, basierend auf Tradition, Normen, die allen gemeinsam sind, Werten, die das Verhalten bestimmen, historisch weitgehend homogener Herkunft, (unter Einbeziehung des näheren und weiteren Ostens), aus der unsere Gesellschaftsvorstellungen gewachsen sind. Dafür wäre man sogar bereit, Holocaust und deutschen Rassenwahn mit einzubeziehen und sei es auch nur, um daraus die Läuterung dieses Volkes in der Gegenwart abzuleiten. Und natürlich meinen alle auch Dürer, Holbein, Beethoven, Goethe, Schiller, Lessing, Böll, Peter Maffay, bei Heine scheiden sich die Geister und bei Künstlern der DDR natürlich auch. Aber einigen könnte man sich sicher auf einige Namen, die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten haben vorgearbeitet, die für Deutschlands Ruf als Kulturnation bürgen. Und die auch die CDU meint, wenn sie von deutscher Leitkultur spricht, die sie im 21. Jahrhundert als bestimmend installieren möchte. Ist es das, was ins Grundgesetz soll?

Wie also definiert sich Kulturnation im 21. Jahrhundert? Als Zustand der Zivilisation? Vielleicht meint es die Kultur des Umgangs zwischen den Menschen, der durch Rücksicht, Einsicht, Mitfühlen, durch Liberalität gegenüber Meinungen und Religionen besticht, sie zum Staatsziel erklärt. Allein die Aufzählung klingt utopisch. Möglich wäre natürlich auch, dass der Eintrag lediglich die Bedeutung von Kultur betont. Was würde sich dann aber ändern? Würden mehr Gelder fließen, würde das vorhandene in die Förderung auch jener kulturellen Bereiche gelenkt werden, die heute zweifellos deutsche Kultur bereichern aber nicht zum deutschen Erbe gehören? Würden weniger Theater geschlossen, weniger Orchester aufgelöst, der Stand der Künstler besser abgesichert, nur weil eine Klausel im Grundgesetz Deutschland als Kulturnation definiert? Die bisherigen Querelen zwischen den Ländern und der Verantwortung des Bundes für überregionale, also nationale Identität stiftende Kultur ist weitgehend entschieden. Auch die CDU will jetzt die Fortführung eines entsprechenden Ressorts - in welcher Form auch immer. Wenn im Zusammenhang mit der Weiterarbeit der Enquete-Kommission von CDU-Seite allerdings "neue Anforderungen" angekündigt werden, fällt schwer, etwas anderes als Leitkultur dahinter zu vermuten. Es entspräche den Debatten in CDU und CSU. Bestandsgarantien für die Kulturlandschaft oder gar Multikulti gehören aber nicht in den Katalog ihrer Politik.

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