Reisefreudige Hooligans waren mit die Ersten, die 1990die Wiedervereinigung vollzogen – vom entsprechenden deutsch-deutschen Schulterschluss waren Volkspolizei und Vereine „ziemlich überrascht“, gab Ost-Berlins Vize-Polizeichef Günter Heidemann im April jenes Jahres im Spiegel zu. In ebenjener Zeit muss man suchen, um das derzeitige Geschehen mit dem Chemnitzer Fußballclub (CFC) im Zentrum zu verstehen – das Stadion-Gedenken und den Trauermarsch für den verstorbenen Hooligan Thomas H.
Innerhalb kürzester Zeit hatte der repressive DDR-Staat mit Volkspolizei, Stasi und Zuchthaus damals sein Gewaltmonopol aufgegeben; vieles lief gesetzlos ab, die kontrollierende Funktion einer Zivilgesellschaft gab es noch weniger als heute.
Thomas H. war der Mann der Stunde, baute in Chemnitz eine schlagkräftige Hooligan-Truppe auf, die diese Lücke füllte, sich im Westen Respekt verschaffte und in Chemnitz zum Platzhirsch avancierte. Dank H. konnten Spiele mit einer gewissen Sicherheit vor Übergriffen fremder Hooligan-Gruppen stattfinden. Man legte sich den respekteinflößenden und bald deutschlandweit bekannten Namen und Schlachtruf HooNaRa (Hooligans Nazis Rassisten) zu. Niemand störte sich an den Neonazis, die in der DDR totgeschwiegen worden waren und nun unbehelligt auftreten konnten. Schnell wurde H. zu einer Respektsperson, die handfesten Streit anfangen oder beenden konnte. Er war gut vernetzt mit den Behörden und schaffte über Jahrzehnte eine bequeme Situation für Polizei und Ordnungsamt, die gar nicht in der Lage waren, Massen von Hooligans unter Kontrolle zu bringen, und von Schlägereien im kontrollierten Rahmen auch gar nichts mitbekommen wollten.
Was in den 1990ern und Anfang der 2000er in der Fußballszene als Leistung galt und von Stadt und Staat gern genutzt wurde, war einige Jahre später plötzlich nicht mehr schick. Fußball wurde salonfähiger, die Vereinsführung kam nun aus der angesehenen oberen Schicht der Gesellschaft, Geschäftsleute wollten mitmischen, aber nur ja nicht mit Gewalt in Verbindung gebracht werden. Plötzlich war Rassist sein politisch inkorrekt, Nazi ging schon gar nicht. Profiteure des vorherigen Arrangements wandten sich ab, Thomas H. wurde zur Persona non grata erklärt, der CFC musste sich unter öffentlichem Druck offiziell von ihm trennen. Staat, Gesellschaft und Sponsoren stellten den CFC vor eine unlösbare Aufgabe: Sicherheit ohne H. war schlecht denkbar, da schließlich zig Leute zur Absicherung eines Spiels benötigt wurden. Also zog er nun im Hintergrund die Strippen, setzte Strohmänner ein.
Kommerz à la DFB
Im Zuge der Durchkommerzialisierung durch den Deutschen Fußball-Bund (DFB) wurden auch die unteren Ligen zum Milliardengeschäft; nichts sollte die Vermarktung stören, wovon die Sanktionierung von Pyrotechnik zeugt. Chemnitz’ altes Stadion Fischerwiese sollte unter dem Druck des DFB auf einen neuen Stand gebracht, Sicherheit vor allem technisch geregelt werden. Unfähige Berater erhielten Unsummen, die später beim Bau fehlten. Das Sicherheitskonzept hätte einem dreimal so großen Stadion zur Ehre gereicht. Nötiges Sicherheitspersonal und damit die Kosten verdreifachten sich – ein Irrsinn, den Thomas H. mitmachte, auch weil viel Geld im System steckt. Aufgrund des hohen Personaleinsatzes, des Mindestlohns und der zwischengeschalteten Firmen gerieten die Umsätze zwar höher, am Ende bleibt fortan aber nicht mehr übrig als früher. Reich werden die anderen.
Das geht nicht lange gut. Der CFC schlittert in die Insolvenz, wird mehrfach von der Politik gerettet. Das Prestigeprojekt des städtisch finanzierten Stadions stünde als schwerer Makel bei den nächsten Wahlen zur Debatte.
Während rund um das Fußballfeld nun alles ohne Ecken und Kanten sein soll, ist die empfundene Realität außerhalb des Stadions das Gegenteil: Viele Flüchtlinge kommen, der Staat ist überfordert, Politik und Verwaltung übertünchen Probleme mit Lügen. Seit zehn Jahren hat der Freistaat Sachsen im Hinblick auf die schrumpfende Bevölkerung und zum Ausgleich für durch die Sachsen LB verspekulierte Milliarden massiv beim Nachwuchs für Polizei, Richter und Lehrer gespart. In Chemnitz’ Innenstadt werden Frauen angemacht und Drogen gehandelt. Abgelehnte Asylantragsteller, denen die Abschiebung droht, die aber jahrelang nicht durchgesetzt wird, erhalten keine Arbeitserlaubnis, obwohl sie arbeiten wollen – notgedrungen widmen sie sich illegaler Beschäftigung.
Zehntausende offene Verfahren bei den Staatsanwaltschaften führen dazu, dass Straftäter monate- bis jahrelang auf freiem Fuß leben und zu Intensivtätern werden können. Statt einer teilweise notwendigen harten Hand bei der Integration sollen technische Maßnahmen Ordnung schaffen, Kameras in der Innenstadt etwa. Sicherheitskonferenzen tagen, Prävention wird großgeschrieben. Eine überforderte Oberbürgermeisterin und ein unfähiger Ordnungsbürgermeister reden alles schön. Die Probleme bleiben. Gerüchte machen die Runde, viele trauen sich nicht mehr in die Innenstadt, Händler, Club-Betreiber und Gastronomen leiden unter Übergriffen und Umsatzeinbußen. Die Situation ähnelt der gesetzlosen Zeit von 1990.
Nach dem Stadtfest 2018 bringt eine Auseinandersetzung zwischen dem Fußballfan Daniel H., seinen Freunden und mutmaßlich Flüchtlingen das Fass zum Überlaufen. Einer zieht ein Messer, sticht zu, am Ende liegt Daniel H. tot auf dem Bordstein. Schnell macht das Gerücht die Runde, es wäre beim Übergriff um die Ehre einer Frau gegangen. Die bestens vernetzte Hooligan-Szene ruft zum Treffen, Motto: „Wir holen uns unsere Stadt zurück“. Ungefähr 800 Hooligans, Sympathisanten und auch Bürger aus Chemnitz und dem Umland kommen. Um das Versammlungsrecht und irgendwelche Regeln des machtlosen Staates scheren sie sich nicht. Die Folge: ein unkontrollierter Lauf der Gruppe durch die Innenstadt, wo anders Aussehende und Ausländer angegriffen werden. Archaische Schlachtrufe wie „Wir sind Fans. Adolf-Hitler-Hooligans“ sorgen weltweit für Empörung. Chemnitz, die braune Nazi-Stadt.
Pyrotechnik gegen alle Regeln
Am Folgetag marschieren 9.000 Leute aus ganz Deutschland vor dem „Nischel“ auf, am Karl-Marx-Monument. Der Staat kann nicht für Sicherheit sorgen, stellt wieder Ohnmacht unter Beweis. Erneut gibt es Übergriffe, erneut Lügen: Der Staat habe ja alles unter Kontrolle gehabt. Diesmal fällt es jedem auf. Geschickt nutzen Politiker rechter Parteien die Situation, um ihre eigene Popularität zu stärken.
Derweil ist Thomas H. an Krebs erkrankt, die Familie leidet, die Fans sammeln mit dem Verkauf von T-Shirts Geld. Als Thomas H. Anfang März verstirbt, soll seiner, der jahrelang in der Welt des Fußballs statt und für den Staat für Ordnung und Regeln sorgte, gedacht werden. Das Spiel am Samstag kommt dafür gerade recht. Entgegen allen Regeln und Bedenken inszenieren Fans eine beeindruckende Pyrotechnik-Show, der Stadionsprecher ehrt den Toten, ein Spieler hält das Benefiz-T-Shirt hoch. Als Erinnerung an alte Zeiten stehen schwarz gekleidete Personen mit roter Pyro in weißem Rauch. HooNaRa wird per Feuershow beerdigt, ohne dass der alte Markenname erwähnt oder auch nur ein Nazi-Symbol oder Hitlergruß gezeigt wird.
Für Außenstehende sind damit die Bilder vom August 2018 zurück: Die Nazis sind unter uns! Medien springen auf, die inszenierten Bilder erscheinen wieder deutschlandweit. Der Finger richtet sich wieder auf Chemnitz. Wieder Erklärungsversuche, die Politik habe nichts gegen „die Nazis“ getan. Aber genau genommen haben Politik und Verwaltung in einer Symbiose mit Hooligans gelebt und werden dies wohl weiter tun müssen. Fußball und Hooligans lassen sich nicht mit Lippenbekenntnissen oder Beschlüssen auseinanderdividieren. Alle haben es kommen sehen und mitgemacht.
In der neu gegründeten CFC GmbH steckt mittlerweile viel Zeit des Insolvenzverwalters und von Geschäftsleuten, die gerade glaubten, das Gröbste wäre überstanden. Panisch behaupten Vereinsverantwortliche, sie seien erpresst worden. Dabei haben die Hooligans den Kommerz geschickt an der Nase herumgeführt. Der insolvente Verein liegt sowieso für Jahre am Boden, wird zwangsverwaltet. Es rollen Köpfe: Die jahrelange Fanbeauftragte, die eine gewisse Sympathie für Thomas H. nicht versteckt, verliert ihren 450-Euro-Minijob. Der für die Spieltagsorganisation zuständige Vorstand tritt zurück, um dann weiter kommissarisch tätig zu sein, der Stadionsprecher verliert seinen Posten. Das neue und hoch motivierte Team, das zu Unrecht in die Nazi-Ecke gerückt wird, ist wirtschaftlich gefährdet. Die Kleinen köpft man, die Großen lässt man laufen.
Es drohen nun vollends unkontrollierte Entwicklungen. Seit einiger Zeit tauchen führende Köpfe von teils verbotenen Organisationen und gesellschaftsfeindlichen Parteien bei CFC-Spielen auf. Wenn sich Hooligans politisch missbrauchen lassen und sich die Gewalt gegen Staat und Zivilgesellschaft richtet, wird es Tote und Verletzte geben. Was Extremisten anrichten, die ideologisch fehlgeleitet die Zivilgesellschaft mit dem Schlachtfeld verwechseln, hat man an der „Bürgerwehr“ Revolution Chemnitz oder verschiedenen Anschlägen auf internationale Restaurants gesehen.
Es braucht jetzt dringend einen Staat und eine Verwaltung, die Sicherheit garantieren, um demokratiefeindliche Unterwanderung zu erkennen und zu verhindern; es braucht die Entwicklung einer Zivilgesellschaft. Dazu gehört ein CFC, den der DFB nicht kommerziell missbraucht. Aus eigener Kraft und ohne personelle Erneuerung werden Stadt und Verein das nicht schaffen.
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