Stahl und Rauch

G20 Bei den Krawallen verbrannte auch ein Twingo. Eigentlich kein Statussymbol der Bourgeoisie. Kann das Verbrennen von Kleinwagen Kritik an Globalisierung sein?
Ausgabe 28/2017
Stahl und Rauch

Collage: der Freitag; Material: Presse, iStock

Nichts für Superreiche

Hamburg, Freitag vergangener Woche, beginnt um 07.40 Uhr die heiße Phase des G20-Protests: Autonome marschieren in Formation durch die Stadt, sie schlagen Scheiben ein, zünden Autos an. Dahinter steht die Propaganda der Tat: Das Fanal soll Menschen aufrütteln und Verhältnisse umstürzen. Oberklasseautos geraten in Brand – und ein Renault Twingo.

Ein Twingo 3 ist ein Kleinwagen, erreichbare Höchstgeschwindigkeit 151 km/h. Es gibt Menschen, die halten ihn für hässlich. Er ist nicht der Favorit der Superreichen, denen man durch Entzünden ihres Wagens die Melodie des Kapitalismus vorspielen könnte. Ihn als Unterschichtskiste abzustempeln geht indes auch nicht.

Man kann mit einem Twingo nicht die ganze Welt erklären – aber einen Teil davon. Denn auch er ist Teil einer die Welt umspannenden Just-in-time-Produktion, ein Sinnbild des Postfordismus, der um den Globus hetzenden Kapitalströme. Macht es also Sinn, einen Kleinwagen in Brand zu stecken? Gibt es Klügeres für die Propaganda der Tat? Wir haben mal nachgedacht:

Das Auto

Der Twingo ist ein Kleinwagen der EURO-Abgasklasse 6. Er wird von einer Renault-Tochtergesellschaft in Novo Mesto in Slowenien zusammengebaut. Die Autoindustrie im Südosten des Landes boomt, sie produziert für den Export. Die Arbeiter haben einen Drei-Schichten-Rhythmus. Es gilt die 40-Stunden-Woche. Für einen Wagen brauchen sie zwölf Stunden. Überstunden gibt es häufig: Die Renault-Tochter „Revoz“ hat nicht genügend Arbeiter. Viele kommen von weither, auch aus Kroatien. In Slowenien verdienen sie ein Drittel mehr als zu Hause. Der Mindestlohn in Slowenien ist 4,60 Euro. Bei Revoz verdienen sie im Schnitt 1.600 Euro brutto. Im Moment kann sich Slowenien mit technologischer Expertise gegen billigere Konkurrenz durchsetzen. Die kommt vor allem aus den Nachbarländern.

Eine Twingo brennt schnell. Ihn zu löschen dauert etwa eine halbe Stunde. So erzählt es ein Mann von der Hamburger Feuerwehr. Dabei entsteht extrem giftiges Kohlenmonoxid – und Blausäure. Die Faustregel der Feuerwehr: Wenn es in Innenräumen brennt, kann man nach zwei Atemzügen das Bewusstsein verlieren, im Freien reichen drei bis vier. Lebensgefahr.

Deshalb muss ein Feuerwehrmann ein „umgebungsluftunabhängiges Atemschutzgerät“ tragen, ansonsten reicht der Einsatzanzug. Jüngere Feuerwehrler sollen sich oft erschrecken, wenn Reifen platzen – obwohl das nicht schlimm ist. Mit einem Auto gehen auch Benzin, Öl, Kunststoffe, Batterieflüssigkeit in Flammen auf. Nitrose-Gase entstehen. Man merkt nicht, dass man sich vergiftet, weil sie die Lunge nicht reizen.Verzögert führen sie zu toxischen Lungenödemen – Wasser sammelt sich in der Lunge. Nur, wo Wasser ist, ist keine Luft.

Die Reifen

Wenn beim Twingo Räder brennen, tragen sie oft Reifen der Marke Bridgestone. Deren Zulieferer hat seinen Hauptsitz in Tokio. Die Komponenten kommen aus der ganzen Welt. Die Reifen für den europäischen Markt werden zum Großteil in Europa gefertigt. Das größte Werk liegt in Polen. Der Hauptbestandteil von Autoreifen ist Gummi. Daneben gibt es aber auch Stahl, Textilien, Weichmacher und Chemikalien.

Reifen sind ein globales Produkt – das richtig gut brennt. Um Reifen anzuzünden, braucht es zwar eine hohe Starttemperatur, aber die kann ein handelsüblicher Grillanzünder liefern. Nach fünf Minuten brennt der Reifen, nach zehn Minuten ist das Auto Sondermüll. Denn wenn ein Reifen erst einmal brennt, ist das Feuer sehr schwer zu löschen. Er lodert besonders heiß und sehr gesundheitsschädlich.

Die Sitze

Die Sitze für den Twingo stellt eine Zuliefer-Firma her. Sie liegt nur wenige Meter von der Autoproduktion in Slowenien entfernt; ihr Hauptsitz ist aber Irland. Im slowenischen Novo Mesto brauchen sie für Vordersitze und Rückbank 70 Minuten. Ab Bestellung vergehen drei Stunden, bis die Sitze eingebaut werden können. Drei Trucks pendeln ständig zwischen beiden Produktionsstätten. Die Einzelteile der Sitze kommen aus aller Welt. Es gibt Rücklehnen der Vordersitze aus Siemianowice Śląskie in Polen, Sitzteile des Vordersitzes aus Mór, Ungarn. Die Füllung wird in Lučenec, Slowakei, produziert. Die Bezüge können aus Bangladesch oder der Türkei kommen. In der Textilbranche wird oft nach Akkord gearbeitet. Eine japanische Firma liefert Airbags, die seitlich eingepasst werden.

Kennt man sich mit Brandbeschleunigern aus, dann zünden Sitze am schnellsten.

Der Lack

Für die Farbe Rot entscheidet sich ein Siebtel aller Käufer eines Renault. Autolacke sollen das Blech vor Korrosion bewahren – und das Auto schön machen.

Verbrennt Lack, entstehen schädliche Stoffe, darunter extrem giftige Dioxine. Diese sind für die Chlorakne verantwortlich, die der ukrainische Politiker Viktor Juschtschenko durch einen Giftanschlag erlitt. Schadstoffe, die durch das Verbrennen des Lacks entstehen, können Asthma und Krebs hervorrufen. Interessant für Autonome: Schwarze Lacke brennen übrigens nicht gesünder.

Ökobilanz: Katastrophe

Renault hat eine Umweltbilanz für den Twingo erstellen lassen. Darin wird berechnet, wo einzelne Materialien herkommen, wie viel Energie sie in der Herstellung brauchen, wie Nutzung und Nachleben verlaufen. Prof. Dr. Matthias Finkbeiner, TU-Berlin, Fachbereich Sustainable Engineering, hat sie sich angeschaut, er hält die Umweltbelastung des Twingo für „relativ durchschnittlich“, wenn man den Wagen in seiner Klasse vergleicht. Er erwähnt auch, dass die Bilanz eines Fahrrades natürlich besser sei.

Wenn man dem Wagen aber mit einem Brandsatz zu Leibe rückt, kippt die Ökobilanz gen Katastrophe. Ein einziges Kilo Auto, das abgefackelt wird, belastet die Umwelt so stark wie zehn Tonnen in einer Müllverbrennungsanlage. Und der Autonome sollte wissen: Wenn der Wagen im Freien brennt und man fünf bis zehn Meter daneben steht, ist das in etwa so, als würde man halt eine Schachtel Zigaretten rauchen.

Zudem: Wenn man mit der Propaganda der Tat gegen ein Auto vorrücken will, sollte man das Herstellungsjahr kennen, denn alle fünf bis zehn Jahre reduzieren Verbrennungsmotoren ihren Verbrauch um 20 Prozent, Reparaturen werden teurer, der Wagen wird unwirtschaftlich. „Moralischen Verschleiß“ nannte Karl Marx so etwas. Wissen Autonome. Einen Neuwagen zu vernichten, ist also nicht so klug.

Das Auto, sagt Matthias Finkbeiner, ist das am meisten recycelte Industrieprodukt. Goldene Lösung für Globalisierungskritik – und um Anwohner zu wecken: Autonome könnten einen Twingo an Ort und Stelle recyceln. Mit geeigneten Geräten wären sie damit an einem Tag durch.

Wäre ein starkes Symbol – und sehr nachhaltig.

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