Stanley McChrystals Erbe

Afghanistan Die Entlastung des Oberkommandierenden in Afghanistan sollte nicht über das inzwischen klaffende Loch in der Strategie der NATO hinwegtäuschen

Während die abfälligsten Zitate im Artikel des Rolling Stone von Mc-Chystals Leuten kamen und nicht von ihm selbst, offenbarten sie doch eine erstaunliche Abwesenheit von Disziplin und strategischem Denken bei einem General, der eigentlich für beides bekannt ist. Obama hängte die Sache sehr hoch und sprach davon, das offenbarte Verhalten unterminiere die zivile Kontrolle der Streitkräfte und rühre somit am Kern der US-Verfassung. Dabei hatte McChrystal sich nicht der Insubordination schuldig gemacht, wie weiland Douglas MacArthur, als dieser Trumans Befehls ignorierte, im Korea-Krieg nicht weiter noch Norden vorzudringen, womit er einen katastrophalen Gegenangriff der Chinesen provozierte. Dennoch ist richtig, dass ein General die Befehlskette akzeptieren und seinen Vorgesetzten gegenüber loyal sein muss.

Ineffektiv und korrupt

Dass Obama McChrystal schnell gegen General Petraeus austauschte, dürfte den Schaden wohl beschränken, den die Sache in Washington angerichtet hat. Der Wirbel um die Entlassung sollte aber nicht die notwendige Debatte um seine Strategie in den Hintergrund drängen, denn die geht nicht auf.
McChrystal war klar, dass die Taliban nicht auf dem Schlachtfeld besiegt werden können. Bei militärischen Angriffen gegen sie verließen sich die Alliierten allzu oft auf falsche Informationen, was zum Tod von Zivilisten führte und den Taliban neue Rekruten zutrieb. McChrystals wichtigstes Erbe besteht in der Politik, unter keinen Umständen zivile Opfer zuzulassen. Dadurch konnte die Zahl der Getöteten, die selbst keine Waffen trugen, entscheidend reduziert werden.

Diese Strategie zur Aufstandsbekämpfung zielte darauf ab, der afghanischen Regierung Platz zu verschaffen, um die Bevölkerung in den umkämpften Gebieten für sich zu gewinnen. Die Alliierten haben die Aufgabe, die Taliban aus einem Gebiet zu vertreiben und eine Zeitlang die Sicherheit zu gewährleisten. Diese Zeit sollte die afghanische Regierung nutzen, um Autorität und Kontrolle über das Gebiet zu gewinnen, Polizei und Armee zu installieren und Projekte zur Förderung der ökonomischen Entwicklung anzuschieben, um der Bevölkerung so vor Augen zu führen, welche Vorteile es mit sich bringt, auf der Seite der Regierung zu stehen.
Damit diese Strategie aufgeht, bedarf es freilich einer Regierung, die in der Lage ist, die Loyalität der Bevölkerung zu gewinnen. Hamid Karzai und seine Handlanger erfüllen diese Bedingung eindeutig nicht. Seine Bilanz nach acht Jahren weist ihn als ineffektiv und korrupt aus und seit der Wahl im August 2009 sprechen viele seiner Regierung überdies die Legitimation ab, da er sogar selbst zugegeben hat, dass es zu Unregelmäßigkeiten kam.

Kein glaubwürdiger Partner

Im paschtunischen Süden, der Brutstätte des Aufstandes, machen die örtlichen Beamten und Verwalter der Regierung oft mit den Taliban gemeinsame Sache. Es werden sich daher dort nur wenige gegen die Taliban wenden, selbst wenn es der Regierung gelingen sollte, die Sicherheit zu gewährleisten – nicht nur, weil sie fürchten würden, die Taliban könnten zurückkehren, sondern weil sie sich über die Verlässlichkeit der neu installierten Autoritäten nicht im Klaren sind.
Die Strategie der Alliierten hängt von einem Element ab, das es nicht gibt: einem glaubwürdigen afghanischen Partner. Bislang haben Briten und Amerikaner so getan, als gebe es dieses Loch in ihrer Strategie nicht. Obama ordnete öffentliche Zustimmung für Hamid Karzai an, als dieser vor kurzem nach Washington kam. Ein Liebesdienst, den das afghanische Staatsoberhaupt bei seiner Rückkehr nach Kabul damit erwiderte, dass er zwei seiner kompetentesten – und amerikafreundlichsten Kabinettsminister entließ.

Sowohl Briten als auch Amerikaner scheinen zu glauben, sie hätten keine Alternative zu Karzai. Aber so zu tun, als handele es sich bei ihm um einen kompetenten Führer und diejenigen zu entlassen, die wie Cowper-Cowles etwas anderes sagen, beantwortet nicht die zentrale Frage dieses Krieges: Wie kann die Strategie zur Aufstandsbekämpfung ohne glaubwürdigen Partner zum Erfolg führen?

Galbraith wurde am 25. März 2009 zum stellvertretenden UN-Sonderbeauftragten für Afghanistan ernannt und stand der Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan als Vize vor. Am 15. September 2009 wurde Galbraith auf Ersuchen des UN-Sonderbeauftragten für Afghanistan, Kai Eide, nach einem Streit über die Behandlung der gemeldeten Betrugsfälle bei den Präsidentschaftswahl in Afghanistan 2009 seines Posten enthoben

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