Starke Handvon oben

Handelssimulation "Anno 1602" ist eines der erfolgreichsten Computerspiele in Deutschland

Was machen die Deutschen am liebsten, wenn sie am Computer spielen wollen? Durch Labyrinthe rennen und rumballern? Nein, am liebsten schauen sie von schräg oben auf eine kleine Insel, kratzen ihr virtuelles Geld zusammen, um Bauklotzhäuser darauf zu setzen und die bald einziehenden Bewohner mit einem steten Fluss an Waren zu versorgen.

Vor vier Jahren erschien das Computerspiel Anno 1602 und hatte mit dem Konzept einer kombinierten Aufbau- und Handelssimulation beispiellosen Erfolg. Mit insgesamt über 1,7 Millionen verkauften Exemplaren hielt es sich 46 Wochen in den Top Ten der meistverkauften Spiele und machte damit die hessische Firma Sunflowers schlagartig zu einem Global Player. Mit dem Nachfolgespiel Anno 1503 wird nun versucht, an den Erfolg anzuknüpfen. Bereits an den ersten beiden Tagen wurden 150.000 Einheiten verkauft. Um was geht es eigentlich bei Anno 1602 und Anno 1503, und vor allem: Warum ist diese virtuelle Zeitreise so erfolgreich?

Am Anfang eines Anno-Spiels ist alles ganz einfach. Man hat ein bisschen Geld, mit dem man ein Handelskontor und ein paar Wohnhäuser bauen kann. Wie von Zauberhand bewirkt ziehen dort alsbald Menschen ein, die sich in dieser vom Spielergott geschaffenen Siedlung wohlfühlen. Zumindest kurzfristig, denn bald fangen sie an, nach Nahrung, Alkohol und anderer spiritueller Unterstützung zu rufen. Der Spielergott baut ihnen Bauernhöfe, Weinplantagen und Kirchen, was sein Budget, aus dem die laufenden Kosten bezahlt werden, zusätzlich durch Baukosten belastet. Abhilfe schaffen in dieser Situation natürlich Steuern; also baut der Spielergott mehr Wohnhäuser, um mehr Siedler anzuziehen. Dummerweise steigen dadurch aber auch die Ansprüche der Siedler: Nicht nur, dass man mehr Bauernhöfe bauen muss, jetzt müssen schon Kathedrale und Theater her. Mehr Geld verspricht der Handel mit anderen Siedlungen, also baut man große Überschussproduktionen auf, mit denen man auf den Markt gehen kann. Dafür benötigt man allerdings eine Flotte, die wieder Unsummen kostet ...

Das meint der Begriff "Aufbau- und Handelssimulation". Es geht um Gebäude, Infrastrukturen und Waren - und nicht um menschliche Beziehungen. Wenn man ein Wohnhaus baut, dann kommen die Menschen von alleine. Und auch den Bauernhof muss man nur hinstellen und schon wird da selbsttätig das Getreide erzeugt. Man ist also als Spieler weniger der Bürgermeister, der sich um die Belange seiner Wähler kümmert, sondern eher der Lagerverwalter oder Logistikmanager, der für einen reibungslosen Ablauf eines komplexen Prozessgeflechts sorgen muss.

Anno 1602 gehört zu den sogenannten "Echtzeit-Strategiespielen", die so heißen, weil alles gleichzeitig weiterläuft: Während man noch das Salzbergwerk in der einen Ecke aufbaut, verbrauchen die Siedler an der anderen Stelle schon das gehauene Holz, versaufen den Wein und rufen nach einem Badehaus, während gleichzeitig ein Inselnachbar Waren anbietet und der Tabakplantage die Lager überquellen, weil das Transportschiff nicht nachkommt.

Über die Gründe des Erfolges von Anno lässt sich nur spekulieren. Als erstes werden oft die alten Klischees bemüht, etwa, dass es in der Natur des Deutschen liegt, alles perfekt zu verwalten oder dass er sein nationales Heil ausschließlich in der Produktion und dem Export von Gütern sucht. Nur wenn es der Wirtschaft gut geht, fühlt man sich im Land wohl, wie ja auch die derzeitige Krisenstimmung beweist. In Anno 1602 erfüllt sich sozusagen spielerisch die Sehnsucht nach der starken Hand von oben, die einfach in die Wirtschaft eingreifen kann, um mehr Waren und Arbeitsplätze zu schaffen.

Und dann gibt es noch weit pragmatischere Gründe. Wenn man schon Geld für etwas so Sinnloses wie ein Spiel ausgibt, dann darf es anscheinend nicht zu unernst sein; man will seine Zeit ja nicht vertrödeln. Anno 1602 suggeriert: vereinfachte, aber doch der Wirklichkeit abgeschaute Verhältnisse abzubilden, und Wirtschaftssysteme lenken zu können, kann in dieser Gesellschaft nur nützlich sein, schließlich werden solche Spiele in Assessment-Centern eingesetzt. Und über Geschichte scheint man auch etwas zu lernen. Dass Anno 1503 nun, obwohl 99 Jahre "früher" spielend, viel avancierter aussieht und ausdifferenziertere Produktionsketten anbietet, also dem Spielstand in Anno 1602 im Grunde voraus ist, kann diese Nützlichkeitsillusion offensichtlich nicht stören.

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