Bei einer Reise in die Sowjetunion im September 1969 geriet ich in den Festakt zu Ehren Kotljarewskis, des Begründers der ukrainischen Literatur. Aufgefordert zu sprechen, wollte ich dem spontanen Impuls folgen: und mich zu Solschenizyn äußern. Ich hatte insgeheim T. (Trotzki) geschrieben und führte den Ersten Kreis der Hölle als Reisezehrung mit; in Odessa war eben das Gedicht Hinlängliche Erfahrung entstanden ("15 Millionen": die Unzahl in den stalinschen Lagern Umgekommener). Kotljarewski kannte ich ohnehin nicht, maß ihm aber "Aufrichtigkeit, Mut, plebejische Schärfe des Beobachtens und Benennens der wirklichen Lebensbedingungen" und, nun ja, "unerschrockenen Spott" zu. Wenn die heutige Literatur das bei ihm lernen wolle, habe sie viel zu tun. "Die große Tradition Radistschew, Kotljarewski, Tolstoi Lew, Solschenizyn darf nicht abreißen." Hier würde also der Name fallen und im Raum stehen, wenn ich fortfuhr: es gehe nicht nur um Literatur, wenn wir von ihm reden. "Es geht um das Leben, unser aller Verhalten. Die Mißstände im Staat und in den menschlichen Beziehungen." Nur bedurfte ich, bedauerlich: nach dem vielen Russisch, der Dolmetscherin, und sie drehte und wendete den Zettel, und ich wurde, lange harrte ich bang, nicht aufgerufen. Zwei Monate später wurde S. (eine Unperson) aus dem Schriftstellerverband ausgeschlossen. Sein Offener Brief: Wischen Sie den Staub von Ihren Uhren... Als er in Sicherheit war und selber hochgeehrt, habe ich nicht mehr lange die Stimme für ihn erhoben. Der Sachwalter wurde Prophet, der Historiker Mystiker, und der nationale Russe ein russischer Gottesnarr. Aber Respekt und Liebe bewahrt man einem mutigen Mann. Dutschke hat auf seinen Fall das Wort von der kritischen Solidarität gemünzt, was immer Schwieriges, Unabdingbares es meint für jede Sipp- und Gesellschaft.
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