In seinem berühmten Buch über den "Zeitgenossen" Shakespeare fand der berühmte, polnisch-amerikanische Theatertheoretiker Jan Kott ein prägnantes Bild für einen grundlegenden dramaturgischen Mechanismus des elisabethanischen Dramas: das "Lachfass". Dieses Gerät gab es früher oft auf Jahrmärkten, ein querliegendes, großes Fass, das sich um seine Längsachse drehte. Die Menschen in diesem Gefäß versuchen, den Drehbewegungen entgegenzusteuern. Diejenigen, die zu schnell oder zu langsam sind, fallen um. "Das Fass trägt sie nach oben, dann rollen sie hinunter, verzweifelt versucht, auf dem beweglichen Boden Fuß zu fassen."
Es sind allerdings zwei Modelle des Lachfasses denkbar. Das eine wird von einem äußeren Motor an
n Motor angetrieben, der, so Kott, "im Verhältnis zum Fass transzendent" ist. Es lässt sich mit der antiken Tragödie vergleichen, deren Helden an einem überweltlichen, jenseitigen Gesetz scheitern, das die Stücke in Gang bringt wie ein Außenmotor: Die Bedingung antiker Dramaturgie ist die Anwesenheit der Götter. Der zweite Fasstyp ist davon grundsätzlich unterschieden. Er hat keinen Außenantrieb, sondern wird von den Menschen im Fass selbst betätigt, die ihr Gleichgewicht halten wollen. Kott nennt ihn ein "immanentes Lachfass". Es ist darin viel schwerer, im Gleichgewicht zu bleiben; viel mehr Personen kommen zu Fall. Aber es sind keine tragischen Helden, allenfalls groteske: Sie gehören in die moderne, das heißt gottlose (Welt-)Komödie. Einige wiederum versuchen, einen Gleichschritt einzuführen, um die Insassen zu ordnen. Das heißt, sie spielen Gott beziehungsweise dessen Stellvertreter - bis sie am Ende selbst purzeln, ganz wie Shakespeares unglückliche Souveräne. Sie stellen das Personal des elisabethanischen Trauerspiels, dessen fehlende Transzendenz es wesentlich von der antiken Tragödie unterscheidet und zur Spiegelseite der Komödie macht.Das Bild der Shakespearewelt als trostlosem Lachfass illustrierte freilich schon 1965 Erkenntnisse, die weit früher ausformuliert worden waren, etwa von Walter Benjamin. Der erimitierte Berliner Politologe und Friedensforscher Ekkehart Krippendorff hingegen geht in seinem Buch über Shakespeares Komödien hinter solche "Basics" zurück (obwohl er Kott im Literaturverzeichnis anführt). Man könnte das mit dem Hinweis abtun, dass es sich hier eben um eine fachfremde "Liebhaberarbeit" handelt. Nur: Die Argumentation erweist sich deswegen leider ausgerechnet in politischer Hinsicht als höchst zweifelhaft.Es beginnt bei den grundsätzlichen Überlegungen, die den zehn Stücklektüren vorangehen. Krippendorff unterscheidet Tragödie und Komödie, ohne in Betracht zu ziehen, dass Shakespeares "tragedy" ein völlig anderes Modell ist als das antike mit seiner bei aller Schauerlichkeit intakten Beziehung zwischen Himmel und Erde. Das führt zu einer Tragödiendefinition, die auch in der Moderne "objektive Gesetze" am Werk sieht und noch dem grauenvollsten Scheitern einen Sinn verleiht: "In der Tragödie regiert die unerbittliche Logik objektiver Bedingungen und Gesetze", schreibt Krippendorff, und: "Ein gewaltsames Ende in der Tragödie ist die Bedingung dafür, dass das Leben wieder von vorn beginnen kann." Zugleich ästhetisiert dieses Modell Politik und Geschichte, schließt sie ab und verwandelt sie zum Mythos. Krippendorffs Begründung dafür, dass der Tragödienstoff die Geschichte ist, lautet: "Da wissen wir, was geschehen ist und dass die Unerbittlichkeit der Geschichte ihre großen Gestalten zwar in den Nachruhm, aber in ihrer jeweiligen Gegenwart in den Untergang geführt hat." Das klingt wie Werbung für das Kino von Bernd Eichinger, wurzelt aber in alten Shakespeare-Fehllektüren aus dem 19. Jahrhundert.Demgegenüber soll nun die Komödie abgegrenzt werden. Auch das ist schwierig, schließlich hat das traurige Scheitern der elisabethanischen Könige eine komische Seite, die Komödie ihren finsteren Grund. Krippendorffs Modell der Komödie als "Reich der Freiheit" erscheint denn auch noch fragwürdiger als das Tragödienbild. Versagen in seiner Lesart dort die "großen Einzelnen", so sieht er in der Komödie "menschliche Phantasie und Einbildungskraft triumphieren" und "die antagonistische Gesellschaft zur kooperativen Gemeinschaft verwandeln" (ein Rückgriff auf Theoreme des Soziologen Ferdinand Tönnies von 1887). Da kann der Wald von Arden noch so kalt und düster sein, da können die Widerspenstigen gezähmt, Malvolio bis aufs Blut gedemütigt, Shylock enteignet und zwangsgetauft werden: Krippendorff behauptet tatsächlich, Shakespeare bringe hier "positive Entwürfe wünschbarer politischer Gemeinschaft auf die Bühne". Die Stücke werden ihm sogar zu "Lehren der Gemeinschaftskunst" und - als hätte es die blutigen Erfahrungen mit derlei teleologischen Programmen niemals gegeben - zur "Erfüllung der Weltgeschichte", zum "Lohn für die anstrengende Arbeit an der Befreiung des Geistes zu sich selbst".Aber es kommt noch besser, schließlich will die Gemeinschaft befreiten Geistes ins Werk gesetzt werden. Gestützt auf ein (höflich ausgedrückt) sehr traditionelles Geschlechterdenken, wird dies der "Frau" übertragen: "Dieses Neue, die Gemeinschaft, bedarf der Frau als Katalysator und Geburtshelfer", schreibt Krippendorff über Shakespeares Protagonistinnen, wobei er Die lustigen Weiber von Windsor als "missglückte Auftragsarbeit" ignoriert.Was aber geschieht mit denen, die in der anvisierten "Versöhnung des Alten mit dem Neuen" nicht aufgehen wollen, abseits stehen, stören? Denn, so Krippendorff mit Hinweis auf Malvolio und Shylock: "Nicht alle feiern die glücklich hergestellte (oder wiederhergestellte) Gemeinschaft mit." Die Einzelkapitel führen es genauer aus. Malvolio sei ein "armseliger, verblendeter Mensch", der "erlöst werden muss". Gleichzeitig wird er zu einem zu überwindenden Prinzip, zum "Malvolio in uns", der dem Traumreich Illyrien entgegenstehe. Besonders fatal wird dieser utopische Idealismus (denn eben darum handelt es sich) im Fall Shylocks. Es fällt schwer, einem fortschrittlichen, engagierten Wissenschaftler wie Krippendorff das vorzuwerfen. Doch der Versuch, unter allen Umständen auch dem Kaufmann von Venedig "Lehren der Gemeinschaftskunst" zu entnehmen, kann am Ende nur noch antisemitisch genannt werden. Shylock weigere sich, "den emanzipatorischen Schritt vom Alten zum Neuen Testament zu gehen" - ein uralter antisemitischer Vorwurf, der dem angeblichen "Rachegott" der Juden den "liebenden Gott" der Christen gegenüberstellt. Shylock stehe "mit seiner dogmatischen Position strengster Buchstaben-Gerechtigkeit und der Rache für erlittenes Unrecht für das Alte, Portia hingegen mit ihrer Rede über die Gnade für das Neue Testament und für die Rache-überwindende Liebesbotschaft Christi". Mit der Zwangstaufe und der Einziehung seines Vermögens werde er nicht nur gedemütigt, sondern erhalte auch "die Chance eines Neubeginns, der Selbstkritik, der Umkehr". Daneben erscheine Shylock als unmusikalisch, "das wohl größte Verdammungsurteil, das der Stückeschreiber Shakespeare überhaupt über eine Figur sprechen kann".Die letztzitierte Behauptung ist besonders aufschlussreich. Denn Shakespeare verdammt seine Figuren niemals. Im Gegenteil: Er stellt Widersprüche heraus, ohne Urteil. Krippendorff zeigt, wohin es führt, wenn man diese Widersprüche in Harmonie vereinen will.Ekkehart Krippendorff Shakespeares Komödien. Spiele aus dem Reich der Freiheit. Kulturverlag Kadmos, Berlin 2007; 280 S., 22,50 EUR
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.