Steigendes Standortfieber

THABO MBEKIS RADIKALE MARKTREFORMEN Ohne Burgfrieden mit den Gewerkschaften werden sie Makulatur bleiben

Die auf dem Kairoer EU-Afrika-Gipfel geführte Klage über die miserable Wirtschaftslage fast aller Staaten des Schwarzen Kontinents klammerte auch Südafrika nicht aus. Das Land hat zwei bleierne Jahre der Rezession verkraften müssen. Angesichts einer sich 2000 abzeichnenden leichten Erholung ist Präsident Thabo Mbeki heftig bemüht, Südafrika wieder als lukrativen Standort ins Gespräch zu bringen. Ein dazu im März formuliertes Testat des Generaldirektors der in Kanada beheimateten Anglo-American-Gruppe, Julian Ogilvie Thompson, klingt schmeichelhaft - gelobt werden radikaler Reformwille, Fiskaldisiplin und die Anti-Inflationspolitik der Regierung. In der Tat hat der distinguierte Pragmatiker Mbeki seinem Land eine Rosskur verordnet, die in der nunmehr fast sechs Jahre währenden Regierungsverantwortung des ANC ihresgleichen sucht. Sie soll einer horrend hohen Erwerbslosigkeit ebenso begegnen wie der grassierenden Kriminalität, sie muss ein marodes Bildungssystem sanieren und die andauernde Abwanderung von Fachkräften aufhalten. Mbeki nimmt dafür die Brüskierung wichtiger Allianzpartner wie der Gewerkschaften in Kauf - und er verabschiedet sich vom Reconstruction and Development Programme, das den ANC 1994 die Wahlen gewonnen ließ.

Zinssenkungen, Privatisierungen im öffentlichen Dienst und bei Staatsunternehmen sollen den "Standort Südafrika" für die westliche Investorengemeinschaft attraktiver machen. Finanzminister Trevor Manuel erscheint ein Engagement aus dem Ausland inzwischen sogar als "letzter Ausweg", um einer offiziell auf 37 Prozent bezifferten Arbeitslosigkeit Herr zu werden. So nutzte denn auch Thabo Mbeki - er ist zugleich Parteichef des ANC - seine jüngste Parlamentsrede über die "Lage der Nation" zu einer Kampfansage an die Gewerkschaft, indem er ankündigte, die "rigiden Arbeitsschutzgesetze der vergangenen Legislaturperionde aufweichen" zu wollen.

Genau vor zehn Jahren hatte an gleicher Stelle ebenfalls in einer "Botschaft an die Nation" Frederik Willem de Klerk, der letzte Apartheidspräsident, die Aufhebung des ANC-Verbots und die Freilassung von Nelson Mandela verkündet. Damals jubelten die Unterprivilegierten aus der schwarzen und farbigen Bevölkerung, schien doch der Augenblick nahe, da sie der ANC ins Gelobte Land ohne Rassentrennung und zermürbenden Überlebenskampf führen würde. Wenn Thabo Mbeki nun zehn Jahre später den mächtigen Congress of South African Trade Unions (COSATU) im Dienste seiner Reformpolitik attackiert, kommt Lob dafür nicht zuletzt von seinem Vorgänger Nelson Mandela, der den Auftritt immerhin als "außergewöhnlich" bezeichnete. Aber auch Notenbankchef Tito Mboweni hofiert (ebenso wie die Wirtschaftsverbände) die "klaren Absichten" des Präsidenten. Die "härtere Linie" gegenüber den Gewerkschaften, notiert Peter Worthington, Wirtschaftsexperte der US-Investitionsbank JP Morgan in Johannesburg, sei ein "positives Signal für ausländische Investoren".

Ärger über die offensichtliche Brüskierung lässt die einst als recht kämpferisch bekannten COSATU-Führung - zumindest nach außen hin - nicht erkennen. COSATU-Generalsekretär Zwelinzima Vavi pflegt stattdessen den sozialen Burgfrieden: Da "neue Arbeitsplätze und wirtschaftliches Wachstum" unverzichtbar seien, wolle sich COSATU mit "nachdrücklichem Engagement" an der Debatte über angemessene Investitions- und Entwicklungsstrategien beteiligen.

Man weiß schließlich, viel mehr als die weltweit höchste Kriminalitätsrate, die Mbeki als "Investitionshemmnis", so die Kritik der größten Oppositionspartei Democratic Party, in seiner Parlamentsrede unerwähnt ließ, stören den Präsidenten Arbeitskämpfe, die der Regie des Allianzpartners COSATU zu entgleiten drohen. Die Arbeitsniederlegung wegen der Massenentlassung von mehr als 1.300 Beschäftigten des VW-Konzerns in der Industriestadt Uitenhage im Februar verurteilte Mbeki denn auch prompt als "illegalen und ungerechtfertigten Streik", der nicht toleriert werden könne. "Unser Ansehen in den Augen der Investoren darf keinesfalls von Elementen abhängen, die ihre eigennützigen und antisozialen Absichten verfolgen." COSATU begrüßt diese "konsequente Haltung des Präsidenten".

Seit 1994, als der ANC seinen ersten Wahlsieg davontrug und Südafrika aus der internationalen Islolation befreite, haben mehr als eine halbe Million Menschen im Land ihre Arbeit verloren. Die Rückkehr auf den Weltmarkt nach den Jahren der Sanktionen kostete einen hohen Preis - die Unternehmen entrichteten ihn auch dadurch, indem sie erst einmal Personalkosten durch Entlassungen reduzierten und damit das ehrgeizige Wahlprogramm des ANC zu Makulatur werden ließen. Makroökonomisch bescherte das keine Erholung, im Gegenteil: 1998 verfiel die südafrikanische Wirtschaft vollends der Rezession und verzeichnete nur noch ein minimales Wirtschaftswachstum von 0,5 Prozent, wobei die eigentliche Talsohle erst 1999 erreicht wurde.

Damit die möglichst bald durchschritten ist, hat Mbeki einen Konsultativrat internationaler Investoren gebeten. Neben dem irischen Medienmulti Tony O'Reilly, dessen Independent-Group in Südafrika die Hälfte aller großen Tages- und Wochenzeitungen gehört, sollen der Vizepräsident der US-amerikanischen Citigroup, ein Vorstandsmitglied des japanischen Mitsubishi-Konzerns, Martin Kohlhausen von der Commerzbank und Jürgen Schrempp, Daimler-Chrysler-Chef, Südafrika wirtschaftspolitisch beraten und Privatisierungen effektiv beschleunigen.

Eine Senkung des Zinssatzes soll dabei statt kurzfristiger Kapitalanlagen langfristige Anlageinvestitionen nach Südafrika bringen. Als weitaus schwieriger dürfte sich die Reform der öffentlichen Verwaltung darstellen. Schätzungen gehen von 30.000 bis 55.000 Beschäftigten aus, die von Rationalisierungen betroffen sein werden. Die geplanten Verkäufe der staatlichen Telekommunikations-, Transport- und Energieunternehmen, in denen zwei Drittel der Staatsbediensteten arbeiten, reflektieren auf Einnahmen von umgerechnet 40 Milliarden Mark.

Mbeki gibt sich entschlossen, nachdem er mehrmals die Bestandteile seiner Wirtschaftsreform "breit erörtert" habe, sie jetzt auch zu "implementieren" - und zwar "kooperativ, wo immer es möglich ist, und jede Opposition überwindend, wann immer es nötig ist", fordert die linksliberale Wochenzeitung mail guardian. Ob COSATU dabei auf Dauer mit seiner konzilianten Burgfriedenspolitik im Fahrwasser der Regierung Erfolg haben wird, erscheint indes höchst zweifelhaft. Eine landesweite Protestkampagne gegen den Verlust von Arbeitsplätzen in öffentlichen Dienst steht bevor - sie könnte in einen Generalstreik münden.

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