Steinbrücks mächtiger Kiefer

Gastkommentar Konsumgutscheine sind eine zu "pfiffige Idee"

Die Krise bringt nicht nur die Krise, sondern auch Albernheiten hervor. So hört und liest man, dass sie eine "neue Ehrlichkeit" im Schlepptau führe - gegen den Selbstbetrug der Derivate und die Lüge, dass breit gestreute Schulden breit gestreuten Reichtum hervorbringen. Die neue Ehrlichkeit tritt auf breiter Front gegen die Gier an, die etwas Verschlagenes an sich hat. Das Gesicht für diese Schlacht ist das des Cholerikers Steinbrück, der seine naturbelassene Ehrlichkeit mit wiederkehrenden muskulösen Bonmots feiert.

Eine weitere heitere Seite der Krise ist, dass sie Volkseigentum ist, "unsere" Krise, und "wir alle" in ihr stecken. Weil es bekanntlich ja auch unser Staat, unsere Autoindustrie und unsere Banken sind. Und natürlich unser Geld, mit dem sie gerettet werden müssen (das jedoch angeblich nur symbolisch gebraucht wird). Auch die Linke (Gregor Gysi) sagt: Wenn unser lieber Staat nicht unsere lieben Banken rettet, bricht unsere liebe Wirtschaft zusammen. Bei aller Liebe - dann sind wir alle tot.

Die Krise ist nicht zuletzt unsere, weil wir sie durch unsere verdammte Sparsamkeit provoziert haben. Diesen Vorwurf können "wir" "uns", bei allem Spaß, den wir an ihr haben, nicht ersparen. Ausgenommen von ihm sind nur Leute, die sich sehr teure geländegängige Autos kaufen und auch sonst den Luxus nicht scheuen. Aber diese, die Reichen, sind jetzt wegen uns auch arm dran. Wir haben sie durch Konsumzurückhaltung - also weil wir weniger ausgeben, als wir haben - mit ins Elend der Rezession gerissen.

Zur Krise gehören auch große Inszenierungen, an denen, weil wir alle Krise sind, alle mitwirken, jung und alt, Männlein und Weiblein, arm und reich. Wie bei den Altöttinger Prozessionsspielen. Eine läuft gerade: "Die deutsche Volkskaiserin gegen den nervösen Rest der ausländischen Geschäftswelt". Die andere ging pünktlich vor dem ersten verkaufsoffenen Sonntag zu Ende, erwartungsgemäß mit einem Steinbrückschen Kracher erster Sahne. Vor gut betuchtem Hamburger Publikum in den Kammerspielen "punktete Steinbrück mit Pointen" (Focus). Der Minister rief den schenkelklatschenden Pfeffersäcken ("unserem" Mittelstand) zu: "Machen Sie es wie im vorigen Jahr! Geben Sie Ihr Geld aus!" Weil das so gut ankam, bereitete er vor dem Bundesrat der "virtuellen" beziehungsweise "Gespensterdebatte" um Konsumgutscheine vollends den Garaus. Einleitend mit den Worten "Damit das ein für alle mal klar ist" herrschte er das gutscheingierige Volk via TV an und zermalmte dessen Hoffen auf regierungsseitiges weihnachtliches Almosen mit mächtigem Kiefer.

Das war das Finale. Dem vorausgegangen waren tagelange Tests auf offener Straße (das Fernsehen immer dabei), wie wir ein Milliardengeschenk aus den warmen Händen Merkels und Steinbrücks (Müntefering: "eine pfiffige Idee") empfangen würden. Würde es uns nicht tief in unserer Würde kränken? Würden wir die Spende realiter in Unterhaltungselektronik und Business-Kostümchen investieren, um unsere Krise zu überwinden - oder etwa ich-bezogen beiseite schaffen? Würden wir den Staat, also uns alle, nicht letztlich doch bitterlich enttäuschen?

Ja, einige von uns, die in kostbaren Mänteln aus teuren Autos gestiegen waren, riefen vor teuren Geschäften, unser Staat solle die Piepen mal lieber behalten und damit unsere Banken retten - aber die Mehrheit erwies sich der Verantwortung moralisch nicht gewachsen: Sie hätte das Geld genommen und so getan, als sei das Geld Steinbrücks ihr Geld, statt es umgehend unserer Wirtschaft zurück zu erstatten!

Mathias Wedel, Publizist

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