FREITAG: Die Standort-Debatte meldet sich mit Wucht zurück: Opel will Zafira in Polen produzieren, Daimler droht mit Verlagerung der C-Klasse-Produktion von Stuttgart nach Bremen. Wie ernst nehmen Sie das?
TOM ADLER: Sehr ernst, weil es unabhängig vom Realitätsgehalt dieser Drohungen vor allem eine Drohkulisse darstellt, um Ängste zu erzeugen und eine allgemeine Verzichtsbereitschaft in die Köpfe zu prügeln. Allerdings hat sich Mercedes-Chef Jürgen Hubbert mit der Erwartung verkalkuliert, die Belegschaften in die Knie zwingen zu können. Die derzeitige Kampfbereitschaft übertrifft alles, was ich in diesem Betrieb jemals erlebt habe. Schrempp und Hubbert haben wieder einmal den Fehler begangen, von der Verzagtheit und Perspektivlosigkeit vieler führender IG Metaller in den Betriebsräten und im hauptamtlichen Apparat auf die Masse der Kollegen zu schließen.
Standorte multinational operierender Konzerne wurden schon oft gegeneinander ausgespielt. Bisher schienen die Belegschaften von Daimler noch immer mit einem blauen Auge davon zu kommen. Was hat sich geändert, dass die Konzernspitze jetzt so agiert hat?
Es geht um eine koordinierte und aggressive Offensive von Kapital und Politik zum Einreißen aller Schutzwälle. Die Agenda 2010 und die Erpressungskampagnen von Siemens über Bosch bis VW und Daimler sind zwei Seiten derselben Medaille. Daimler hat so wenig ein ökonomisches Problem wie Siemens. Bei letzterem wird im Übrigen die Rendite in der Handy-Produktion durch die unbezahlte Arbeitszeitverlängerung auch nur marginal vergrößert. Was bei Daimler passiert, ist ganz klar politisch motiviert und nur indirekt Ausdruck sich verschärfender Konkurrenz- und Verwertungsbedingungen für den Konzern.
Der Verdacht liegt nahe, dass die Belegschaft für die verfehlte Konzernpolitik mit Chrysler und Mitsubishi bezahlen soll und die Globalisierung eher als Vorwand dient.
So ist es. Zum Glück nehmen das die Kollegen genau so wahr. Auch das heuchlerische Gerede, man könne wegen der EU-Erweiterung nicht mehr anders, als die Standards zu senken, wird langsam durchschaut: Jeder weiß doch, dass die Konzerne hochbezahlte Lobbyisten-Stäbe in Brüssel unterhalten, die dafür sorgen, dass die Transportkosten lächerlich niedrig und die in Osteuropa abzugreifenden Investitions-Subventionen attraktiv hoch sind.
Wie beurteilen Sie das bisherige Agieren des Gesamtbetriebsrates bei Daimler?
Leider lassen diese Kollegen keinen Zweifel daran, dass sie die Konkurrenz- und Kostensenkungsprobleme "ihres" Unternehmens sehen und an der "Verbesserung" der Situation mitarbeiten wollen. Das neoliberale "there is no alternative" sitzt so tief in ihren Köpfen wie bei entsetzlich vielen führenden hauptamtlichen Gewerkschaftern.
Die Vereinbarung über die Wiedereinführung der 40-Stunden-Woche bei Siemens sorgt für viel Unruhe - nicht zuletzt in der IG Metall. Wie ist dazu bei Daimler-Benz die Position von Betriebsrat und Gewerkschaften?
Die Siemens-Vereinbarungen sind auf breite Ablehnung gestoßen, sowohl im Untertürkheimer Betriebsrat als auch in der IG Metall. Allerdings ist auch hier genaueres Hinschauen nötig: der Gesamtbetriebsrat bei uns hatte schon im März - kaum dass die Tinte unter dem Pforzheimer Tarifabschluss trocken war - dem Vorstand öffentlich angeboten, in Entwicklung, Forschung, Planung und Zentrale zu 100 Prozent die 40-Stunden-Woche zu ermöglichen. Also für rund 20.000 Kollegen in der Region Stuttgart. Mit anderen Worten, da gab es lange vor Siemens eine Offerte für verlängerte Arbeitszeiten. Nach heftigem Protest an der Basis der IG Metall wurde dieser Vorstoß zunächst zurückgezogen, um inzwischen wieder aufzutauchen.
Welche Haltung nehmen die Gewerkschaftslinken zu all diesen Auseinandersetzungen ein - was sollte jetzt getan werden?
Zunächst einmal muss die Gewerkschaftslinke dafür sorgen, dass die ganze Dimension des Kapitalangriffs erfasst wird. Offenbar sehen sich viele im Gewerkschaftsapparat und in den Betriebsratsspitzen dazu bisher nicht in der Lage. Zweitens kann die Schlussfolgerung aus dieser Konfrontationsstrategie des Kapitals nur sein, dass alle Kräfte gebündelt werden, die Widerstand leisten wollen, über den Betrieb und die Gewerkschaftsgrenzen hinaus. Warum nicht schärfere Aktionsformen wählen? Wenn 2.000 Mettinger Daimler-Kollegen am Daimler-Aktionstag die B10 - eine der Hauptverkehrsadern in der Region - besetzen konnten, was können dann erst 100.000?
Franz Steinkühler hat dieser Tage völlig richtig davor gewarnt, jetzt die Auseinandersetzung durch Konzessionen zu beenden, da man sich im Rückwärtsgang viel schlechter verteidigen könne. Er hat dazu geraten, den Kampf nach Kräften zu verschärfen. Der Mann hat im kleinen Finger mehr Verständnis und Gespür für die politische Lage und dafür, was man mit der für uns günstigen Massenstimmung machen könnte, als die ganze Führungsspitze der IG Metall. Schon die Proteste nur bei Daimler beeinflussen doch die veröffentlichte Meinung in unserem Sinne. Kein Wunder, dass Schröder jetzt vor Klassenkampf warnt: der "Rohstoff" für eine Gegenoffensive gegen Kapital und herrschende Politik ist vorhanden.
Das Gespräch führte Rolf Euler, SoZ
Tom Adler ist zugleich Mitglied des Stuttgarter Gewerkschaftsforums.
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