Stellung

Friedlich Ein deutsch-israelisch-palästinensisches Autorenforum in Idar-Oberstein

Kein Zweifel, das nunmehr neunte, in Idar-Oberstein ausgerichtete deutsch-israelisch-palästinensische Autorentreffen war das friedlichste von allen, fast ein bisschen aus der Welt. Kein Vergleich mit Mainz vor zwei Jahren, als die Sprach-Minen hochgingen und man nicht ablassen wollte von der gegenseitigen Aufrechnung der Leiden. Selbst die seit Anbeginn eher befangenen deutschen Schriftsteller brachten sich dieses Mal stärker ein. Sie diskutierten über Martin Lüdkes Referat "Die Verantwortung des Schriftstellers in kritischen Zeiten und seine "Anmerkungen zum Verhältnis von Ethik und Ästhetik, wenngleich sie sich nicht alle einverstanden wussten mit der darin geforderten Reduktion des Künstlers auf sein Werk. Und erfrischend wirkte allemal die Tatsache, dass mit der 27-jährigen israelischen Bestseller-Autorin Klil Zisapel und dem ungefähr gleich alten, an einem Nah-Ost-Roman arbeitenden Deutschen Norman Ohler sich endlich auch die junge Generation zu Wort meldete.

Meinungsfreudig, unbelastet von der deutschen Vergangenheit: Ohler. So kritisch wie idealistisch: Zisapel, die sich Georges Steiners Gebot, der jüdische Intellektuelle könne sich nur in den Nationalstaat integrieren oder müsse ihm fern bleiben, vehement widersetzte. Ihre Erzählung vom in der Schublade versteckten Stellungsbefehl beeindruckte alle, inhaltlich wohl mehr als literarisch, weil man die darin ausgedrückte Stimmung nur allzu gern exemplarisch nahm für die Bewusstseinslage der israelischen Jugend. Umso krasser wirkte dann Lea Fleischmanns fundamental religiöse Geschichte ("Ich will den Herrn loben alle Zeit), die schonungslos direkte Schilderung eines Selbstmordanschlags. Da befand man sich allerdings auch nicht mehr im Teppichboden-geschützten Casino der mit der rheinland-pfälzischen Landeszentrale für politische Bildung kooperierenden Sparkasse, sondern im Gesellschaftshaus in Kirn. Und überdies hatte nur wenige Minuten zuvor der israelische Palästinenser Ghanam Mazal zur Einigkeit der Schriftsteller gegen den Fanatismus aufgerufen.

So ereignete sich der bislang erstaunlich gut umschiffte Eklat - nur Michael Schneider hatte die Autoren in der internen Diskussion mit der Formel von der Instrumentalisierung der deutschen Schuldgefühle kurzfristig in Wallung gebracht - eben in aller Öffentlichkeit, vor den erstaunten Augen eines gutwilligen ländlichen Publikums, dessen eventuell vorhandene Möllemann-Reflexe der eine oder andere Zuhörer denn auch prompt formulierte. Erst Amir Or, neben Asher Reich der zweite herausragende Poet unter den israelischen Autoren, rettete die Situation und rief dazu auf, diesen voyeuristisch so ausbeutbaren "leidvollen Zirkus der Rede und Gegenrede" zu unterbrechen.

Dennoch, der Eindruck in Kirn war falsch. Hatte man doch an zwei verwunschenen Tagen wahrhaftig literarisch kommuniziert! Sich die Gedichte von Faruq Mawasi angehört und dabei nicht nur über die darin thematisierte Erschießung eines unschuldigen Knaben gesprochen, sondern auch über das erlaubte, ja geforderte Pathos der orientialischen Poesie. Die wunderbaren Prosastücke von Katja Müller-Lange genossen und sie als universell erkannt, Ruth Almogs deutlich der Gegenwart und nicht mehr ausschließlich dem Holocaust zugewandte Erzählung gehört. Salman Masalhas gänzlich neue, welthaltig offene Verse entdeckt, die sich zwischen Okzident und Orient bewegen wie Fische, sich sowohl auf Johano Strassers poetische Lakonie als auch auf Sami Al-Kilanis unverhüllte, auf die verhasste israelische Besatzung gemünzten und dennoch so friedenssüchtigen Texte eingelassen. Der dem palästinensischen Nationalrat angehörende Arafat-Vertraute war übrigens der einzige Autor aus den Autonomiegebieten.

Unbemerkt von den friedlichen und sichtlich von ihren Lebensumständen erschöpften Dichtern aber ereigneten sich neue Selbstmordattentate in Jerusalem und Tel Aviv, keiner von ihnen hat wohl nach der Rückkehr aus Kirn noch den Fernseher im Hotelzimmer angemacht, sonst hätten sie am Morgen nicht so gelassen miteinander gefrühstückt. Auch ich habe erst auf der Heimreise davon gehört, im Auto. Während ich mich durch die Weinberge auf Bad Kreuznach zu bewegte, flogen die ersten israelischen Kampfflugzeuge ihre Angriffe auf Gaza-Stadt. Alles wie immer also? Das nächste Treffen findet 2004 im pfälzischen Landau statt.

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