Sterne sehen

Der Trinker Eine echte Alternative? Knallt deutscher Winzersekt genauso wie Champagner? Der Trinker Klaus Kosok beantwortet einmal im Monat alle Fragen rund um den Weingenuss
Sterne sehen

Illustration: Otto

„Brüder, kommt, ich trinke Sterne!“ Der Jubelruf, den der Benediktiner Dom Pérignon zur Geburtsstunde des Schaumweins ertönen ließ, klingt der Welt seit langem in den Ohren. Nirgends aber knallen die Korken so oft wie hierzulande. Statistisch entfällt auf die BRD jährlich ein Viertel des weltweiten Konsums. So ergiebig der Sekt in deutsche Kehlen fließt, so übersichtlich gestaltet sich seine Vermarktung. Vier Großunternehmen – allen voran Rotkäppchen-Mumm – teilen sich 85 Prozent des deutschen Marktes. Die kesse Frage „Wo ist der Deinhard?“ hat also eher rhetorischen Charakter: Die einschlägigen Produkte sind Massenware und zwangsläufig in aller Munde.

Kein Schaumwein ohne launigen Anlass! Dem Champagner zum Beispiel schlägt die Stunde bei gehobener Stimmung: auf einem Ball, beim Stapellauf, oder als Apéritif eines festlichen Mahls. Der Kenner genießt ihn beim Essen: zu Fisch und Geflügel. Wer es sich leisten kann, schwört wie schon Napoleon, später Coco Chanel, die Monroe, Andy Warhol und natürlich auch 007 auf Dom Pérignon, benannt nach seinem legendären Urheber. Heraus­ragend sind neben Bollinger vor allem die Erzeugnisse von Krug, deren Herstellung als familiäres Handwerk verstanden und sehr penibel betrieben wird. Krugs Grande Cuvée, ein Verschnitt von 60 Lagenweinen, besitzt ein Bouquet aus Honig, Mandeln, Hefegebäck, Nougat, Marzipan, Lebkuchen, Zitrusfrüchten und Blüten.

Seinen tiefgründigen Geschmack verdankt der Champagner neben seinen Grundweinen der Zweitgärung und dem ­jahrelangen Hefelager in der Flasche. Während dieser Zeit sorgt die Zersetzung der Hefe für ­vielschichtige Aromen. Der Hefesatz bindet zudem die Gär­kohlensäure ein, sodass eine stabile Perlage entsteht, die für den ­rassigen Ausdruck sorgt. Delikate Beispiele liefern Winzer wie ­Selosse, ­Prévost, Lassaigne oder Tarlant.

Getränk für Eiserne

Die méthode champenoise gilt als Königsweg zu edlem Schaumwein. Rütteln und Degorgieren sowie die Dosage, ein Zusatz von Zucker und anderen Zutaten, sind wie die Flaschenlagerung und die Agraffe typisch für die Herstellung hochwertiger Produkte. Minderwertige Sekte werden dagegen in riesigen Drucktanks ausgebaut, teils noch mit Kohlensäure versetzt, sind schnell fertig und schon unter vier Euro auf dem Markt. Wenn man an die im Preis enthaltene Sektsteuer sowie die Kosten für Herstellung und Vertrieb denkt, stellt sich die Frage, was man da eigentlich trinkt.

Seit geraumer Zeit bietet der deutsche Winzersekt – wie in alten Zeiten – eine Alternative zum Champagner. Anders als Spumante oder Cava wird er auf ähnlich akribische Weise hergestellt wie sein Vorbild aus der Champagne. Güter wie Kirsten an der Mosel, Solter im Rheingau, Raumland in Rheinhessen und Wilhelmshof in der Pfalz liefern erstklassige und noch bezahlbare Beispiele. Die Palette der Aromen umfasst in mineralisch geprägten Rieslingsekten Anklänge an Birne, Quitte, Pfirsich, Ananas, Limette, Bienenwachs, Blumen und Lindenblüten. Winzersekte sind zwar Nischenprodukte, erfreuen sich aber zunehmender Aufmerksamkeit und machen unterdessen dem Lieblingsapéritif der Deutschen, dem Prosecco, überfällige Konkurrenz.

Gute Schaumweine gehören in tulpenförmige Gläser. Ihr Genuss verlangt ausgesprochen dezente Umgangsformen. Will man sie lagern, dann tunlichst nicht im Kühlschrank, sondern im Keller, dort aber nicht unter Leucht­stofflampen. Bis um 1800 begab man sich übrigens nur mit Eisenmasken ins Flaschenlager: Das damals noch unbeherrschbare Zeug knallte oft anders als erwartet. Und schließlich wollte man Sterne trinken – nicht sehen!

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