„Nein, das könnt ihr nicht machen!“, ruft eine Kollegin durchs Telefon, „wer ist schon der Freitag, dass er es mit dem Stern-Cover von damals aufnehmen will?!“ Vielleicht hat sie recht. Vielleicht ist es anmaßend, es mit der größten feministischen Medienintervention für das Recht auf Abtreibung in der Bundesrepublik aufzunehmen. Aber: Als der Stern im Juni 1971 den Titel „Wir haben abgetrieben!“ brachte und 30 Frauen abbildete, die dadurch eine Gefängnisstrafe riskierten, war das auch nachgemacht. Kopiert aus Frankreich, wo der Nouvel Observateur schon davor die öffentliche Erklärung von 343 Prominenten, die abgetrieben haben, abgedruckt hatte. Die Idee war gut, und die Welt bereit. Ist sie das jetzt wieder? Keine Ahnung. „Ist mir egal“, sagte ich der Kollegin. „Ist mir egal, wie das jetzt ankommt. Wir finden es jetzt richtig.“
Wir finden es deshalb jetzt richtig, weil es doch nicht reicht, wie über den Paragrafen 219a gesprochen wird. Da wird ja so getan, als ginge es wirklich darum, zwischen Werbung und Information über Schwangerschaftsabbrüche zu unterscheiden. Da wird so getan, als sei es kein Eingriff in die Entscheidungsfreiheit von Frauen, wenn der Staat die ärztliche Information über Abtreibung reguliert. Über spezielle Webseiten. Da wird so getan, als seien die Gesetze zur Abtreibung in Deutschland schon vollkommen, wenn man nur für Rechtssicherheit für Ärztinnen sorgt. Die Debatte um 219a ist eine Scheindebatte. So hat es auch Teresa Bücker Anfang des Monats in der Sendung Anne Will gesagt: und hat damit endlich die Diskussion über den Paragrafen aufgemacht, um den es eigentlich geht. Um § 218, der Abtreibung noch immer verbietet und nur unter Umständen straffrei hält. Dank Teresa Bücker steht die entscheidende Frage endlich im Raum: Sollen Frauen frei und selbstbestimmt über ihren Bauch entscheiden dürfen, oder darf sich der Staat in ihre Entscheidung einmischen?
Uns ist klar, dass unsere Antwort, dass nämlich der Bauch den Frauen gehört, noch nicht die einfache Lösung für den ganzen Problemkomplex bedeutet. Und dass es für die Politik nicht leicht sein wird, schon nur die Frage zu stellen. „Ich habe Angst, was am Ende rauskommt“, bekannte die ehemalige Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger bei Anne Will. Lieber solle man die Möglichkeiten der Fristenregelung ausschöpfen. Fristenregelung meint: die Zeit, in der ein Schwangerschaftsabbruch straffrei bleibt, in Deutschand sind das die ersten drei Monate einer Schwangerschaft. Davor muss eine Beratung stattgefunden haben. Darüber kann man diskutieren, muss man diskutieren. Die dreimonatige Fristenlösung gilt in vielen Ländern, weil da der Embryo zum Fötus wird. Das sind Begriffe. Dabei geht es um werdendes Leben. Und um die Verantwortung für dieses Leben. Schon klar! Nur sollte diese Verantwortung eben nicht in den Händen des Staates liegen. Was ist das eigentlich für ein Menschenbild, das Frauen nicht zutraut, verantwortungsvoll zu entscheiden?
In unserem Wochenthema auf den Seiten 6, 7 und 11 haben wir uns dem komplexen Thema Abtreibung mit gebotener Vorsicht genähert, und die Autorinnen haben es sich nicht leicht gemacht. Aber wenn wir uns jetzt nicht mit diesen schwierigen Fragen beschäftigen, dann tut es die rechte Politik mit ihren schrecklich einfachen Antworten. Man will Jens Spahn ja nichts unterstellen: Aber zu welchem Zweck gibt er fünf Millionen Euro für eine Studie über die Folgen einer Abtreibung aus? Wirklich um zu hören, was die vielen Studien besagen, die es dazu bereits gibt: dass die meisten Frauen mit ihrer Entscheidung im Reinen sind? Hinter Spahn lautert die AfD. Sie und der christliche Fundamentalismus nennen es „Schutz des ungeborenen Lebens“. Nein, ein ganz anderer Gedanke schleicht sich da ein: der einer „Gebärpflicht“. Die Bundesrepublik ist aber kein totalitärer Staat. Wenn man will, dass Kinder geboren werden, kann man nur die richtigen Bedingungen dafür schaffen.
Kuschen vor der AfD bringt nichts. Man muss ihr selbstbewusst entgegentreten. Und eine Debatte entfachen. Seit der Stern das 1971 versucht hat, hat sich vieles verändert, die Gesellschaft ist progressiver geworden (und die AfD eine Reaktion darauf!), und der § 218 hat Novellierungen erfahren. Gefängnis riskiert keine mehr, die dagegen aufsteht. Aber gerade weil das so ist, muss er jetzt weg. Das Einzige, was §218 noch bringt, ist Stigmatisierung.
Das sehen auch die 24 prominenten Frauen so, die das Ansinnen mit ihrem Bild und ihrem Namen unterstützen. Unter dem Slogan „Mein Bauch gehört mir!“ sind ganz unterschiedliche Professionen, Milieus, Herkunftsgeschichten und Generationen zusammengekommen. Unter diesem Slogan Männer zu versammeln, wäre etwas komisch. Aber mit Luca Ehrhardt ist doch einer dabei: ein Transmann. Denn die Forderung „Mein Bauch gehört mir!“ vereint 2019 nicht nur Frauen, sondern alle Menschen mit Uterus.
Wir konnten auch Ines Geipel gewinnen, die ehemalige Weltklasse-Läuferin, heute Schriftstellerin, die für ihre schonungslose Aufklärung des DDR-Dopings bekannt ist. Ambivalenzen auch hier: Der gleiche Staat, der seine SportlerInnen paternalistisch kaputt gemacht hat, verfügte über eine äußerst liberale Schwangerschaftsregelung. Besonders gefreut hat uns natürlich, dass Alice Schwarzer dabei ist; sie hatte damals die Kampagne des Stern initiiert. Umrankt wird Schwarzer von Exponentinnen eines jüngeren Feminismus: von Margarete Stokowski, der Autorin, und Teresa Bücker, Chefredakteurin von Edition F. Zu ihrer Linken steht mit Reyhan Şahin aka Lady Bitch Ray eine selbstbewusste deutsche Rapperin mit muslimisch-alevitischen Wurzeln, dazu promovierte Sprachwissenschaftlerin. 1971 hätte es das alles so noch nicht gegeben.
Stimmen
Lady Bitch Ray, Wissenschaftlerin, Autorin und Rapperin:
„Es ist unfassbar, dass es derart reaktionäre Paragraphen wie §218 und §219a im deutschen Grundgesetz gibt! Diese verbieten einem schwangeren Menschen die Abtreibung und der behandelnden Ärzt*in das Angebot oder den Hinweis auf eine Abtreibung. Immer noch müssen sich Schwangere sowohl von Ärzt*innen als auch von Beratungsstellen ins Gewissen reden lassen, wenn’s um die Entscheidung gegen ein Kind geht. Jeder schwanger gewordene Mensch hat ein Recht auf umfassende medizinische und psychosoziale Informationen und Versorgung bei dieser Lebensentscheidung. Wir sind keine Gebärmaschinen, wir sind Menschen mit Hirn, Herz und Verstand, verdammt nochmal! Nicht nur mein Bauch gehört mir, meine Sexualität gehört auch mir, meine Vagina gehört mir, mein Leben gehört mir, und meine Entscheidungsfreiheit einschätzen zu können, ob ich zu jener Zeit ein Kind großziehen kann und will, gehört auch mir!“
Sineb El Masrar, Journalistin und Autorin:
„Frauen 2018 mitten im fortschrittlichen Deutschland. Ein Gesetz, das Frauen noch immer – ob religiös oder nicht – unter Rechtfertigungsdruck setzt. Im Interesse der Selbstbestimmung, Verantwortung und auch zum Wohle des Ungeborenen muss § 218 abgeschafft werden. Selbst das traditionelle und muslimische Tunesien ist in dieser Frage fortschrittlicher!“
Julia Neigel, Künstlerin:
„Das ist eine schwierige Gewissensentscheidung. Der Pflicht des Schutzes eines ungeborenen Kindes steht die Freiheit der Frau gegenüber, über ihren Körper selbst entscheiden zu dürfen. Ich selbst bin glücklich zu leben und dankbar, dass meine Mutter entschieden hat, mich auf die Welt zu bringen. Ich halte es aber grundsätzlich für wichtig, dass jede Frau selbst entscheiden darf - ohne Druck oder Drohungen durch Staat oder Mann, sei es in die eine oder in die andere Richtung. Denn ansonsten verstößt das gegen das Willkür-/Schikaneverbot. Die Frau ist keine Gebärmaschine des Staates oder Mannes. Es liegt zwar in der Natur der Frauen, Kinder zu bekommen, und das ist gut so. Aber es obliegt immer jeder einzelnen Frau, selbst zu entscheiden. Was den § 219a StGB betrifft, müsste man ja nur die Worte „anbietet“ und „ankündigt“ entfernen. Vielmehr hat der Staat frauenfreundliche und ökonomisch wohlhabende Umstände zu garantieren, damit Frauen bei ihren Überlegungen und Abwägungen einer möglichen Familiengründung oder als alleinerziehende Mutter grundsätzlich in keine wirtschaftliche, berufliche und persönliche Entscheidungsqual geraten und somit angstfrei entscheiden können, ob sie Mutter werden wollen oder nicht.“

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