Aufgrund dubioser Beweise wurde der afro-amerikanische Journalist Mumia Abu-Jamal im Sommer 1982 wegen angeblichen Polizistenmordes zum Tode verurteilt - seitdem kämpft er gegen seine Hinrichtung. Das Verfahren ist im vergangenen Jahr endgültig in die letzte Runde gegangen, in den kommenden Monaten soll über Mumias Schicksal entschieden werden. Dabei gibt es drei Optionen: Exekution, lebenslange Haft oder Freilassung.
Die Fakten dieses Falles sollten nach so langer Zeit eigentlich hinreichend bekannt sein - Michael Schiffmanns Wettlauf gegen den Tod. Mumia Abu-Jamal: Ein schwarzer Revolutionär im weißen Amerika beweist jedoch das Gegenteil. Der Autor liefert fast 25 Jahre nach Abu-Jamals Verurteilung zum ersten Mal eine schlüssige Rekonstruktion des Tathergangs
n des Tathergangs und präsentiert einen Zeugen, der als erster am Tatort war, aber bis heute nicht von der Polizei vernommen wurde: den Pressefotographen Pedro P. Polakoff, dessen Fotos eindeutig Manipulationen des Tatorts durch die Polizei belegen.Am 24. April 1954 wurde Wesley Cook geboren. Später, als er Mitglied der Black Panther Party (BPP) war, wurde aus ihm zunächst Mumia, und nach der Geburt seines Sohnes Mumia Abu-Jamal, Vater von Jamal. Er wuchs in den Sozialwohnungen, den PJ´s, in Philadelphia - der Stadt der brüderlichen Liebe, auf. Dass es mit dieser "brüderlichen Liebe" nicht weit her war - jedenfalls nicht für Schwarze und Arme, und schon gar nicht für arme Schwarze - bekam er von Kindheit an zu spüren. Die aufkommende "Black-Power"-Bewegung zog in deshalb magisch an. 1968, bei einer Demonstration gegen einen rassistischen Präsidentschaftskandidaten, wurden Wesley Cook und einige seiner Freunde von erwachsenen weißen Männern angegriffen, und er rief einen Polizisten zu Hilfe. "Der sah, wie ich am Boden lag und zu Brei geprügelt wurde, stürzte über die Straße und - verpasste mir einen Fußtritt ins Gesicht!", beschreibt Mumia in seinem Buch Aus der Todeszelle. "Ich bin diesem unbekannten Polizisten noch heute dankbar, denn mit diesem Tritt brachte er mich direkt in die Black Panther Party."Dort entdeckte der wissbegierige Jugendliche den wirklichen Sinn seines Lebens: Den Journalismus. Bereits mit 15 Jahren wurde er zum Verantwortlichen für Information der BPP in Philadelphia und war damit der jüngste Journalist in der Stadt. Er entpuppte sich als journalistisches Naturtalent, der Jesse Jackson und Bob Marley mit derselben Neugier interviewte, mit der er eine Nonne mit der Frage: "Hätten Sie nicht auch manchmal gern Kinder?" aus der Fassung brachte. Er bekam mehrere Medienpreise und wurde im Januar 1981 zum Vorsitzenden der Ortsgruppe der Vereinigung Schwarzer Journalisten gewählt. Er war mittlerweile so prominent und anerkannt, dass die Polizeiführung die ortsansässigen Medien derart unter Druck setzte, dass er keine Anstellung bekam und deshalb den Lebensunterhalt für sich und seine Familie durch Taxifahren erwerben musste.Am 9. Dezember 1981, 3.51h Ortszeit saß Mumia Abu-Jamal in seinem Taxi und beobachtete zufällig im Rückspiegel, wie ein Polizeibeamter (Daniel Faulkner) den Wagen seines Bruders Billy stoppte, dieser und sein Beifahrer Kenneth Freeman ausstiegen und es zu Handgreiflichkeiten kam. Abu-Jamal stieg aus dem Taxi und wollte den beiden zur Hilfe zu eilen. In dem Moment, wo er den Ort des Geschehens erreichte, fielen Schüsse. Faulkner starb, Abu-Jamal überlebte schwer verletzt. Die Kugel in seiner Brust stammte aus dem Revolver Faulkners, die in dessen Kopf laut Schiffmann "von einer Person, die sich auf dem Bürgersteig befand. Aller Wahrscheinlichkeit nach handelte es sich dabei um den Mitfahrer in Billy Cooks VW, Kenneth Freeman".Um circa 4.05 Uhr Ortszeit tauchte Polakoff auf, etwa zehn Minuten vor den Beamten der Spurensicherung. Er fotografierte, seine Fotos kamen jedoch nie in der Beweisführung zum Einsatz, obwohl er sie mehrfach anbot. Dabei belegen sie eindeutig, dass der Tatort manipuliert wurde, da es Abweichungen gibt zwischen Polakoffs Aufnahmen und den später aufgenommenen der Polizei. Schiffmann entdeckte eines der Fotos im Frühjahr zufällig im Internet und nahm Kontakt zu dem Fotoreporter auf.Gegen Abu-Jamal als Täter spricht laut Schiffmann unter anderem die schwere Verletzung, die er sich zugezogen haben muss, bevor der tödliche Schuss auf Faulkner abgegeben wurde, Abu-Jamals Verlangen nach einer Gegenüberstellung mit den Zeugen sowie seine stets wiederholte Forderung nach einer erneuten ballistischen Untersuchung der tödlichen Kugel.In dem Moment, wo die am Tatort eintreffenden Beamten in einem der Opfer den stadtbekannten Polizeireporter Mumia Abu-Jamal erkannten, hatten sie den passenden Mörder. Ein klassischer Fall rassistischer Polizeipraxis - Mumia hatte solche Fälle dutzendweise aufgedeckt.Der Verhaftung folgte ein Schnellverfahren, in dem manipulierte Beweise vorgelegt und Zeugen von der Polizei zu Aussagen gegen Mumia erpresst wurden. Der Vorsitzende Richter Sabo machte es sich zur Aufgabe, zu "helfen, den Nigger zu rösten" und eine fast ausschließlich weiße Jury verurteilte ihn schließlich zum Tode.Im Knast bildete Mumia sich autodidaktisch zum "Gefangenenanwalt" aus, schrieb mehrere Bücher und bis heute liefert er regelmäßig Kommentare und Kolumnen für Audio- und Printmedien. Sein beharrlicher Kampf gegen die rassistische Klassenjustiz, seine prägnanten politischen Analysen sowie sein konsequentes Eintreten für die Rechte aller Inhaftierten machten ihn zum berühmtesten politischen Gefangenen seit Nelson Mandela.Schiffmann beschreibt den persönliche und politischen Werdegang Mumias: die Entwicklung von dem kämpferischen Jugendlichen zur "Voice of the Voiceless", Stimme der Unterdrückten, und später zum berühmten Revolutionär, ohne den inhaftierten Journalisten zum Helden zu stilisieren. Der Autor belegt eindrucksvoll, warum Mumia kein "Posterboy" ist, sondern zu Recht weltweit zum Symbol für den Kampf gegen die Todesstrafe wurde.Michael Schiffmann: Wettlauf gegen den Tod - Mumia Abu-Jamal: ein schwarzer Revolutionär im weißen Amerika. Promedia, Wien 2006, 320 S., 21,90 EUR
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