Es hätte so schön werden können. Adventliches stand ins Haus, im pränatalen Stadium der Geburt einer gesamtdeutschen Linkspartei war nur noch ein bisschen Schwangerschaftsgymnastik zu absolvieren. Die einst postulierte "historische Mission" schien nicht so weit weg von der in Dresden oft beschworenen "historischen Chance" einer vereinigten Linken. Senior Wolfgang Gehrcke legte, nein drückte sie eindringlich am zweiten Tag den 341 konfus abstimmenden Delegierten geradezu ans Herz. Du hast ja ein Ziel vor den Augen. Dazu einen Wahlerfolg von 8,7 Wählerprozenten mit dem Wiedereinzug in den Bundestag im Rücken. Gregor Gysi, auf Fußspitzen hinter dem Rednerpult schwebend, frohlockte wie der Engel des Herrn und verkündete "Freuet Euch!" Das Erreichte
te sei doch "nicht nichts". Nun tanzt doch mal ein bisschen!Am Sonnabendvormittag war der bewährte rhetorische Massentherapeut der Linkspartei noch in Bestlaune und in Höchstform. Er hätte gar nicht daran erinnern müssen, wie man sich sonst üblicherweise auf PDS-Parteitagen gekracht habe. Jeder dachte an Gera 2002 oder die mühsame Programmdebatte in Chemnitz. Der überquellende große Saal im Dresdner Kongress-Center klatschte Gysi nach der drögen und leider auch wenig strukturierten Rede des Parteivorsitzenden Lothar Bisky dankbar Beifall. Und wen man auch fragte: In der Tat waren die Genossen froh, einmal den latenten Dauerstreit zwischen fundamentalopponierenden Sozialvisionären und realopportunistischen Sozialpragmatikern los zu sein. Aufgehoben im gemeinsamen Projekt einer kämpferisch-unfrohen Zukunft, streitend für eine gerechtere Welt.Hat man dafür nicht ein herrliches Führungsduo? Eine Berliner Gysi-Schnauze, die das Politiker- und Journalistendeutsch ins pralle Leben übersetzen kann, die mühsam geschminkte Absurditäten wie die CIA-Affäre beim Namen nennt, über den Linkstrend in Bayern witzeln und sogar einige Erfolge der rot-roten Berliner Koalition aufzählen kann. Und einen eher nüchternen Analytiker, der in einer auch in der PDS mittlerweile ungewohnten Klarheit die Widersprüche zwischen Kapital und Arbeit benennt, Deregulierungstendenzen als Freiheit des Stärkeren entlarvt und daher Merkels Brandt-Plagiat "Wir wollen mehr Freiheit wagen" als "pervers" geißelt. Den Sprachnebel und die Begriffsverwirrung als Machtinstrument nahm Oskar Lafontaine brillant aufs Korn. "Wir können niemals glücklich sein, wenn andere unglücklich sind", schloss er seine emphatische Rede und wurde ebenso begeistert gefeiert wie die andere Hälfte der Fraktions-Doppelspitze. Optisch war die für 2007 geplante Fusion von Linkspartei und Wahlalternative in Dresden längst vorweggenommen. Oskar Lafontaine thronte im Präsidium, als gehöre er selbstverständlich dazu. Auf seinen Platz gelangte er mit genau 68 Minuten Verspätung übrigens standesgemäß: Mitten in der Grundsatzrede von Lothar Bisky defilierte er mit Gefolge über die Bühne. Soweit, so einträchtig. Auf dem Weg zum gemeinsamen Kind, das auch noch einen Namen braucht, der "dann für längere Zeit bleiben sollte", so Gysi, musste man eigentlich nur noch den Leitantrag des Parteivorstandes durchwinken und das Statut für Doppelmitgliedschaften öffnen. Freilich, einige besonders überzeugte Genossen aus dem nördlichen Westen müssen immer stänkern. Ob es denn richtig demokratisch sei, wenn die Parteispitzen von Linkspartei und WASG schon am Nikolaustag eine Rahmenvereinbarung zu konkreten Vereinigungsschritten unterzeichnen und der Parteitag nur noch abnicken darf? Die übergroße Mehrheit der Delegierten aber nickte offenbar gern.Aus dem Nicken wurde allerdings schon während der Aussprache häufiger ein Kopfschütteln. Da waren sie wieder, die anscheinend ewigen Fragen der Linken, die bekannten Fronten. Wie denn der demokratische Sozialismus zu definieren sei, ob man sich durch Regierungsbeteiligungen im real existierenden Kapitalismus verschleiße, und ob Jung und Alt und Ost und West sich je unter dem in großen Lettern proklamierten "Gemeinsam" vereinen ließen. Probleme, die die Linkspartei.PDS im Grunde mit der WASG und ihren Strömungen teilt und die nur in Berlin oder Mecklenburg-Vorpommern so scheinbar entlang der Parteigrenzen aufeinanderstoßen. Wen wundert´s, sammelten sich dort in der Wahlalternative gerade die frustrierten Gegner der PDS-Regierungsbeteiligungen. Gregor Gysi wünschte sich jedenfalls als ersten Satz im künftigen Programm die Bezeichnung als Partei des demokratischen Sozialismus. Ob er das so unterschreiben könne, ruft einer quer durch den Saal dem WASG-Chef Klaus Ernst zu. Prompt kommt ein deutliches "Ja" zurück. Ernst ist an diesem Adventswochenende überhaupt nicht ernst, sondern von unerschütterlicher guter Laune und freut sich, dass seine WASG nun nicht mehr "Mitgliederversammlungen in der Telefonzelle abhalten muss". Nur einmal, als am Abend bei der Schatzmeister-Wahl die Stasi plötzlich mit im Saal ist, raunt er stirnrunzelnd etwas wie: "Das haben die nicht richtig überlegt, wie das im Westen ankommt!"Aber der Reihe nach. Die immergleichen Kontroversen steckte der Parteitag noch einigermaßen locker weg. Lothar Bisky hat den Pioniergruß "Seid bereit - immer bereit!" noch nicht vergessen und will sich für Regierungskoalitionen auf Bundesebene 2009 verfügbar halten. So vermessen ist das nicht, wenn die Grüne Renate Künast inzwischen auch offen über die Möglichkeit bisher unmöglicher befristeter Zweckbindungen nachdenkt. Sarah Wagenknecht hingegen warnt erwartungsgemäß: "Die Senatspolitik in Berlin hat der PDS viel Vertrauen und Mitglieder gekostet!" Ein Grundkonflikt, der sich auch in der Kommunalpolitik spiegelt. Die Dresdner Linkspartei flog fast auseinander, weil die Hälfte der Stadtratsfraktion für den Totalverkauf der städtischen Wohnungsgesellschaft stimmte.Dann kamen diese irgendwie deplatzierten Wahlen. Warum überhaupt jetzt Personalentscheidungen, fragten sich viele, wo doch im nächsten Frühjahr ohnehin Vorstandswahlen anstehen? Dass Dietmar Bartsch wieder Bundesgeschäftsführer werden sollte, hatte sich herumgesprochen. Aber den neuen Schatzmeister Bernhard Walther kannte keiner. Ein Mann ohne Ausstrahlung und politisches Profil. "Ein Buchhaltertyp", hieß es in den Reihen unten im Saal über den früheren Mitarbeiter des SKET-Außenhandelsbetriebs der DDR. Und dann noch diese lapidaren Sätze über seine damit im Zusammenhang stehende IM-Tätigkeit. "Wenn sie wenigstens offensiv vertreten worden wäre!" meinte der sächsische WASG-Sprecher Enrico Stange. Es musste zu peinlichen Nachfragen kommen. 68,5 Prozent immerhin für ihn, vier Prozent mehr als für Bartsch, aber dass Walther sein Amt bis zur Beschaffung der MfS-Akte ruhen lassen würde, war dann nur noch Rückzugstaktik. Ein schwerer Regiefehler, der das Abendgespräch und die Medienberichterstattung plötzlich bestimmte, und ein ziemlicher Alleingang von Lothar Bisky, wie aus dem Bundesvorstand gemunkelt wurde. "Der Parteitag hat eine Menge Probleme gelöst, die es ohne diesen Parteitag nicht gegeben hätte", wird der am Ende mit einer Träne im Knopfloch und einem Rest Selbstironie sagen.Noch einmal versagte die Regie, am Sonntag, als das Statut geändert werden sollte, um Doppelmitgliedschaften in beiden Parteien zu ermöglichen. Präventiv übrigens auch ein wichtiger Schritt, um bereits eingegangenen Klagen gegen das Zustandekommen der gemeinsamen Bundestagsfraktion zu begegnen. Aber das sagte keiner. Statt dessen Verwirrung über Änderungsanträge, Ängste vor Unterwanderungen, Streit um die Einbeziehung der DKP. Die Abstimmung musste auf Antrag wiederholt werden, um die erforderliche Zweidrittelmehrheit zu sichern.Nur Stolpersteine auf dem kurvenreichen, aber klar vorgezeichneten Weg zu einer gemeinsamen deutschen Linken? Es war in dieser Richtung auch viel Hoffnungsvolles zu erfahren. "Nicht so viel theoretisieren, einfach was zusammen machen", hieß es am Tisch von Jugendlichen und Neumitgliedern aus Dresden und Berlin. In Sachsen, wo die WASG noch im Sommer abwehrend die Hände gehoben hatte, macht man längst etwas zusammen. Fraktionssitzungen im Landtag beispielsweise. Irgendwie bezeichnend auch, wie Fernsehteams durch die Reihen irrten und WASG-Mitglieder ausfindig zu machen suchten. Deren sekundäre Merkmale unterscheiden sich offenbar nicht wesentlich von denen der Linkspartei-Genossen. Interessant auch, am Rande von einer Wiederannäherung zwischen Gewerkschaften und Linkspartei zu erfahren. "Völker hört die Signale!" klang am Schluss zwar immer noch etwas bemüht. Das letzte Gefecht aber war dies gewiss nicht.
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