Stolpes Plan übererfüllt

Phase III - Toll Collect Von solch glänzender Inszenierung bleibt niemand verschont

Mit großer Gelassenheit konnte Manfred Stolpe die neuesten Enthüllungen der Birthler-Behörde über eine "Stasi-Vergangenheit" seiner Person als "olle Kamellen" zurückweisen. Er muss es am besten wissen. Schließlich gab es einen ehernen Grundsatz, von dem die SED nicht abwich. Wer als Mitglied oder im direkten Auftrag des Politbüros handelte, durfte mit dem geheimdienstlichen Untergrund nichts zu tun haben. Im höchsten Exekutivorgan der Staatspartei hielt man da auf Etikette. Manfred Stolpe wurde wegen seiner seriösen Erscheinung schließlich schon immer als der Perspektiv-Staatsmann gehandelt. Stäubchen an seiner Weste? Nein. Die Geschichte lief ganz anders.

In den Wirren der Wende traf sich das Politbüro mit dem Kirchenmann zu einer ultrageheimen Sitzung. Man diskutierte die Lage - die war nicht sehr ermutigend. Da blieb nur noch: es denen eines Tages heimzuzahlen. Und so geschah es.

Manfred Stolpe fand sich zunächst an der Spitze des brandenburgischen Kabinetts wieder und verhielt sich, wie verabredet, zunächst unauffällig. Prestige sammeln und zur authentischen Stimme des Ostens werden - das war Phase I. Fest etabliert und gegen jede Kritik gefeit, konnte Stolpe etwas mutiger werden. Das Pleiteprojekt Lausitz-Ring und jener Cargolifter, dessen Luftschiff-Traum nur eine riesige und nutzlose Halle hinterließ, waren seine ersten spektakulären Erfolge in Phase II. Später dann die gescheiterte Chipfabrik in Frankfurt/Oder und die Millionenverluste seiner Landesentwicklungsgesellschaft - keine Gelegenheit ließ er aus. Auch die Berufung des freigesetzten Bundeswehr-Generals Jörg Schönbohm zu seinem Stellvertreter und Innenminister entsprach dem "großen Plan". Denn Schönbohm hatte die Zonensoldaten als letzten Dreck behandelt und die Nationale Volksarmee abgewickelt, von der sich das Politbüro im Stich gelassen fühlte.

An dieser eindrucksvollen Bilanz konnte schließlich auch Gerhard Schröder nicht vorbei und berief Stolpe als Verkehrsminister ins Bundeskabinett. Ob er, der neue Minister, pflichtgemäß geprüft habe, was für ein Vertrag über das Mautsystem ihm da auf dem Tisch liege? "Selbstverständlich," antwortete Stolpe den übereifrigen Journalisten, als die dritte Phase begann. "Bei mir und bei den Herren von Toll Collect läuft alles wie geplant."

Er hatte, wie schon zuvor in Brandenburg, alles bedacht. Am 2. November sollte die LKW-Maut mit dem modernsten elektronischen Erfassungssystem der Welt starten. Es lief phantastisch. Vor dem Start stellten die Experten des Bundesverkehrsministeriums mehr als 80 Mängel fest, und von den 600.000 unerlässlichen Erfassungsgeräten fehlten noch 450.000. Der Start des neuen Systems verzögerte sich immer weiter, und bis heute ist ungewiss, ob es überhaupt jemals in Betrieb gehen wird.

Stolpes Vertragspartner waren in seinem Sinne und in jeder Hinsicht kooperativ. Aber auch das war nicht anders zu erwarten. Schließlich hatte die Deutsche Telekom bereits im Rahmen ihrer Privatisierung bewiesen, wie man mit tollkühnen Angaben alle betrügen kann, die sich betrügen lassen wollen. Auch die hohe technologische Qualität von DaimlerChrysler stand außer Frage. Insgesamt 28 Rückrufaktionen seit 1995 und die immer wieder aus dem Verkehr gezogenen Pendolino-Züge der Daimler-Tochter Adtranz - dieser Konzern würde exzellente Arbeit leisten, daran hatte Stolpe keinen Zweifel.

Ob er nun, wie der Bundestagshaushaltsausschuss wünscht, den Vertrag zum Jahresende kündigt oder nicht, das tut nichts mehr zur Sache. Denn Stolpes Spiel ist längst entschieden. Was auch immer jetzt noch passiert, der Bundeshaushalt muss auf fest eingeplante Milliarden aus der Maut verzichten. Der Bau zusätzlicher ICE-Strecken, etwa von Mannheim über Frankfurt nach Fulda, ist nun ebenso gefährdet wie die Modernisierung zahlreicher Bahnhöfe für die Fußball-Weltmeisterschaft 2006. Und die Autoraserei zum Gelingen der deutschen Einheit bleibt auch auf der Strecke - Baustopp zwischen Schweinfurt im Westen und Erfurt im Osten. Der haushaltspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Dietrich Austermann verlangte, Stolpe dürfe sich von Toll Collect "nicht mehr wie ein Bär am Nasenring durch die Arena ziehen lassen". Der Ahnungslose, wenn er wüsste, wer hier die Strippen zieht.


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